IHK Nordthüringen stellte Konjunkturumfrage vor

Von wirtschaftlichem Aufschwung nichts zu spüren

Donnerstag
06.06.2024, 20:02 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Eine Konjunkturumfrage der IHK unter ihren Unternemen ist wie Fiebermessen beim Arzt. Heute war sozusagen Visite und die Presse durfte mit den Experten die Zahlen und Fieberkurven diskutieren. Für die nnz war Olaf Schulze dabei...

Stellten sich heute der Presse: Sebastian Gedecke, Uli Schlegel, Marc Weinrich und Hausherr Christian Böduel (Foto: oas) Stellten sich heute der Presse: Sebastian Gedecke, Uli Schlegel, Marc Weinrich und Hausherr Christian Böduel (Foto: oas)


„Deutschland als das einstige Zugpferd der europäischen Wirtschaft ist Klassenletzter. Das sagt alles aus und ist sehr bedenklich", formulierte Uli Schlegel in seiner Funktion als Vizepräsident der IHK Erfurt heute bei der Vorstellung der neusten Konjunkturumfrageergebnisse die aktuelle Lage.

Und der Inhaber einer Dämmstoffirma in Nordhausen spricht dabei aus einer eigenen, tiefen Einsicht in die derzeit ablaufenden Prozesse. Die Stimmung in der regionalen Wirtschaft habe sich leicht verbessert, das sei die gute Nachricht. Sie bewege sich aber weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau. Mit 67 von 200 möglichen Punkten liegt der Klimaindikator, der sowohl die Einschätzung der aktuellen Geschäftslage als auch die Erwartungen und Pläne für die kommenden Monate berücksichtigt, deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt von 105 Punkten.

Als Verursacher dieser Missstimmung macht Schlegel die exorbitanten Energiepreise aus, die von vielen Unternehmen nicht mehr zu stemmen sind. Trotz leicht gesunkener Beschaffungspreise definieren 67 Prozent der Unternehmer nach wie vor die hohen Energie- und Rohstoffpreise als Risikofaktoren für die wirtschaftliche Entwicklung. Zu den größten Hemmnissen zählen außerdem der Arbeits- und Fachkräftemangel (60 Prozent der Nennungen) sowie damit verbunden die steigenden Arbeitskosten (ebenfalls 60 Prozent der Nennungen). Die Bauwirtschaft laufe richtig schlecht, private Bauaufträge seien Mangelware und die Firmen, die sich nicht darauf eingerichtet hätten, müssten mit einem Auftragseinbruch von 92 Prozent rechnen. Aber auch die Bauaufträge der öffentlichen Hand seien zurück gegangen. Das bedeute nicht nur weniger Profit für die Unternehmen, sondern berge auch die Gefahr, dass gute Mitarbeiter die Firmen verlassen und sich zu berufsfernen Jobs orientieren, die sicherer seien und besser bezahlt würden. Wer aber einmal seinen Handwerksberuf aufgegeben habe der kehre nicht mehr dahin zurück, was den ohnehin latenten Fachkräftemangel weiter verstärkt.

Der Wohnungsbau, so pflichtete ihm Marc Weinrich bei, der Hauptgeschäftsführer der Nordthüringer Kreishandwerkerschaft, sei vom Neubau größerer Häuser meilenweit entfernt. Bauarbeiter, die einmal weg sind, kommen nicht wieder. Dieses „Ausscheren von Fachkräften“ bereitet den IHK-Experten extreme Sorgen.

Branchenübergreifend wird die allgemeine Situation der Nordhäuser Industrie- und Handelsbetriebe im Vergleich zum Jahresbeginn 2024 etwas verhaltener eingeschätzt. 18 Prozent der Befragten bewerten die momentane Geschäftslage mit „gut“. Für 32 Prozent laufen die Geschäfte schlecht. In der vorherigen Umfrage sprachen 20 Prozent von einer guten Lage und ebenfalls 32 Prozent der Unternehmer beurteilten sie als schlecht.

Bei den Erwartungen und Plänen für die nächsten Monate blieben die befragten Firmen eher zurückhaltend. Aktuell rechnet niemand mit einer Verbesserung der Situation. Knapp die Hälfte, 48 Prozent, nach zuvor 61 Prozent, gehen von einer ungünstigeren Entwicklung in der nahen Zukunft aus.

Die Beschäftigungspläne sind im Vergleich zum Jahresbeginn 2024 nahezu unverändert. Die überwiegende Mehrzahl der Unternehmer (82 Prozent) will den aktuellen Mitarbeiterbestand beibehalten. Neueinstellungen stehen angesichts der schwierigen konjunkturellen Rahmenbedingungen nicht auf der Tagesordnung. 18 Prozent der Befragten müssen sogar über einen Stellenabbau nachdenken, um gestiegene Kosten und fehlende Aufträge zu kompensieren.

Viele Firmen würden sich unter dem eigentlich nötigen Preis anbieten, um überhaupt noch Aufträge zu bekommen. Das bestätigte auch der IT-Experte Sebastian Gerecke, der zusätzlich einen hohen Druck bei der Suche nach fähigen Mitarbeitern beobachtet, der mitunter zu skurrilen Abwerbeaktionen in der Branche führt. Die Cyber-Sicherheitsvorkehrungen der meisten Unternehmen bezeichnete er als „desaströs“. Auch würde teure Computertechnik in vielen Firmen falsch oder wenig optimal eingesetzt.

Die demografische Entwicklung zeigt ein großes Dilemma auf: in den nächsten zehn Jahren gehen branchenübergreifend sieben von zehn Mitarbeitern in Rente. Wenn alles gutgeht, rücken drei dafür aus der Ausbildung nach. Leider deute auch darauf nur sehr wenig hin. Über die Hälfte der Thüringer Schulabgänger nimmt ein Studium auf, die anderen haben oftmals Schwierigkeiten mit ihrem erworbenen Wissen die Voraussetzungen für einen Handwerksberuf zu erfüllen. Auch sei die Lohnspanne vom hoch qualifizierten Meister zum Facharbeiter ebenso zu klein wie die vom nicht arbeitenden Sozialhilfeempfänger zum arbeitenden Angestellten.

Gibt es aber keine gesunden Firmen mehr in der Region fiele auch eine ganze Reihe privater Unterstützungen im sozialen, kulturellen oder sportlichen Bereich weg, warnte Uli Schlegel. Der Firmenchef weilte gerade in Kasachstan, Kirgisistan und der Mongolei, um dort junge Menschen zu werben, die sich in Deutschland eine berufliche Zukunft vorstellen können. In diesen Ländern, so erzählte Schlegel, hätten die meisten Familien vier Kinder und deshalb viel Potential, im Ausland ihr berufliches Glück zu finden.

Im Gegensatz zu vielen deutschen Schulabgängern seien die Jugendlichen dort gut ausgebildet, hoch motiviert und voller Zukunftspläne. Was die zum heutigen Pressetermin Versammelten auf das Thema der Schulbildung in der Bundesrepublik brachte, das gelinde gesagt ausbaufähig sei. Einen „Tag in der Praxis“ wie er von der Agentur für Arbeit und der IHK derzeit unter Schülern angeboten wird, ist ein Schritt auf dem Weg zu mehr praktischer Berufsorientierung. Marc Weinrich betonte, dass die Firmen während der Ausbildung aber nicht ausgleichen könnten, was in Schule und Elternhaus vorher nicht funktioniert habe.

Die Kreishandwerkerschaft unterstützt Schülerpraktika auch finanziell und will helfen, die Motivation für die Ergreifung handwerklicher Berufe wieder zu stärken.

Die Kritik der regionalen Wirtschaftsvertreter richtete sich deutlich an die Ampelregierung in Berlin, die keine ausreichenden Anreize schaffe, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Die Spanne vom Sozialhilfeempfänger zum Arbeitnehmer sei zu gering, ein höherer Mindestlohn für alle benachteilige wiederum die gut Ausgebildeten, deren Gehälter dann lange nicht vom kleinen mittelständischen Unternehmer gesteigert werden könnten.

„54 Prozent des Bundeshaushaltes für Sozialleistungen auszugeben ist nicht mehr machbar“, appellierte Uli Schlegel an die Politik, wohl wissend, dass die derzeitige Koalition seine Kritik nicht erhören wird. Und Schlegel fragte sich angesichts der hier beschriebenen Entwicklungen, wo das Geld für alle Sozialleistungen zukünftig herkommen soll?
Antworten auf diese Frage gab es heute keine. Was nicht verwunderlich war.
Olaf Schulze

In der angehängten. pdf-Datei finden Sie die exakten Angaben zur Konjunkturbefragung.