EINE BETRACHTUNG:

Ließ der Staat Unheil gewähren?

Sonntag
26.05.2024, 11:48 Uhr
Autor:
psg
veröffentlicht unter:
Staatsakt zu „75 Jahre Grundgesetz“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hielt eine Rede. Beim aufmerksamen Lesen vertiefen sich die Sorgenfalten bei allen Demokraten hierzulande. Neben dem Stolz über das Grundgesetz, ein Meisterwerk der Demokratie, sprach Steinmeier über die Angst um ihre Zukunft, über die Kräfte, die sie schwächen und aushöhlen wollen, über Hass und Gewalt.


Raue und härtere Jahre kämen auf uns zu. „Wir leben in einer neuen Unübersichtlichkeit“, meinte er. Steinmeier bemühte sich um eine objektive Schilderung der Realität in diesem Land. Das Grundgesetz, das zu Besten gehört, was Deutschland hervorgebracht hat, wird heute von mehreren Seiten attackiert: Rechts- wie Linksextreme wollen es nicht, religiöse muslimische Fundamentalisten missachten es und die so genannten Reichsbürger planten gar einen Umsturz.

Wehret den Anfängen, heißt es. Tat man das auch? Zweifel sind angebracht. Hat man die unheilträchtige Entwicklung, die der Bundespräsident heute beklagt und uns besorgt in die Zukunft blicken lässt, nicht kommen sehen? Den Hass, der gesät wurde? Die Angriffe auf Demokratie und Grundgesetz?

Die Demonstrationen muslimischer Fundamentalisten in Hamburg, welche lautstark die Errichtung eines Kalifats forderten, kamen doch nicht aus heiterem Himmel. Man wusste doch über Hasspredigten in Moscheen, bevor der Staat sich rührte. Die da am rechten Rand Millionen abschieben wollen, haben auch eine lange Vorgeschichte. Und jene, die den Staat nicht anerkennen und ihn stürzen wollten, sind doch auch nicht von gestern.

Doch der Staat ließ Unheil gewähren. Man beschwichtigte, tolerierte, sah hinweg und keine Gefahr. „Spinner“ müsse man nicht ernst nehmen. Doch die Spinner von gestern erstarkten, sind heute die Gefahr für dieses Land. Trotz aller Liberalität: Wo hören da Meinungsfreiheit und Toleranz in einer Demokratie auf?

Der Vergleich mag gewaltig hinken, doch sollte zu denken geben, was kürzlich in einer Tageszeitung zu lesen war. An den Zielen der NSDAP im Parlament ließ Joseph Goebbels schon 1928 keinen Zweifel: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns aus dem Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen“, schrieb er im „Völkischer Beobachter“. „Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache“. Als Wolf im Schafsbild errangen die Nazis die Macht – als Folge der Schwäche der Weimarer Regierung und der Uneinigkeit der Demokraten, sahen doch manche in Hitler auch nur einen Spinner.

Wer soll jetzt richten, um die härteren Jahre, von denen Steinmeier sprach, abzumildern? Die Ampel? Die macht mehr mit gegenseitigen Wortgefechten als Handlungen auf sich aufmerksam. Von der beschworenen Zeitenwende und dem damit einhergehenden Fortschritt ist kaum noch jemand überzeugt. Diesem Regierungsbündnis wird kaum jemand eine Träne nachweinen. Aber was kommt nach ihr? Wer soll es richten?

Niemand kann sich derzeit eine konkrete Vorstellung machen. Das liegt an den Kräfteverhältnissen. Mit einer lagerübergreifenden Koalition darf gerechnet werden, nur das dann die Union den Kanzler stellt. Wer auch immer sie da unterstützen mag. Das führt zu der Befürchtung, dass alles so ähnlich weitergehen könnte wie unter der Ampel, nur in anderer Farbmixtur.

Die CDU gab sich auf ihrem jüngsten Parteitag alle Mühe, nach dem Linksschwenk der Merkel-Jahre sich wieder als bürgerliche konservative Kraft zu geben. Doch hält ihre nach außen getragene Geschlossenheit? Hendrik Wüst und Daniel Günther sind noch jung an Jahren. Sie könnten sich nach Friedrich Merz warmzulaufen. Wollen sie, wie es den Anschein hat, in die Bahnen der Ära Merkel zurücklenken?

Vielleicht richten es die Grünen? Die aber beschworen in der Opposition Schwerter zu Pflugscharen und rufen heute nach Panzern und Raketen. Und das Bündnis um Sarah Wagenknecht? Was das eigentlich will, vermag derzeit keiner zu sagen. So gesehen müssen wir uns auf die härteren vor uns liegenden Jahre einstellen.
Kurt Frank