Synagogengrundstück in Bleicherode

Ein Gedenkort im Wandel der Zeit

Dienstag
21.05.2024, 16:45 Uhr
Autor:
red
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Dr. Marie-Luis Zahradnik leitet ein Projekt in Bleicherode, das darauf abzielt, das ehemalige Synagogengrundstück neu zu gestalten und die Erinnerung an dessen jüdische Geschichte zu beleben...

 Dr. Marie-Luis Zahradnik bei der Vorstellung des Gedenkprojekts auf dem historischen Synagogengrundstück in Bleicherode, unterstützt von lokalen Partnern und der Hochschule Nordhausen. (Foto: Maurice Töpfer) Dr. Marie-Luis Zahradnik bei der Vorstellung des Gedenkprojekts auf dem historischen Synagogengrundstück in Bleicherode, unterstützt von lokalen Partnern und der Hochschule Nordhausen. (Foto: Maurice Töpfer)

Dieses Vorhaben, unterstützt von lokalen Partnern und der Hochschule Nordhausen, verbindet moderne Gedenkkultur mit Bürgerwissenschaft, um das Andenken an die zerstörte Synagoge lebendig zu halten.

Viele Juden siedelten sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts im wirtschaftlich aufstrebenden Bleicherode an. Um 1880, zur Zeit des Baubeginns der Synagoge, zählte die stetig wachsende jüdische Gemeinde 169 Mitglieder. Der Architekt und Königliche Baurat Edwin Oppler aus Hannover, der eine ähnliche Synagoge bereits in Hameln hatte erbauen lassen, wurde für das Bauvorhaben engagiert. Die Gemeinde wollte aber vom Hamelner Modell abweichen, da dieses für sie zu teuer war. So wurde die Synagoge etwas kürzer mit weniger Material und in der Innengestaltung schlichter gebaut. Nach nur zwei Jahren Bauzeit wurde die neue Synagoge am 1. Juni 1882 mit einem großen Programm eingeweiht. Ihre Größe und Baulichkeit prägte das Stadtbild mit und zeigte, dass das jüdische Leben seinen religiösen und kulturellen Platz hatte.

In Folge der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 wurde der in Teilen von Politik und Gesellschaft zuvor schon vorhandene Antisemitismus systematisch und mit Brutalität und Gewalt vorangetrieben. In der „Reichskristallnacht“ fiel auch die Bleicheröder Synagoge einem Brandanschlag zum Opfer, sodass sie als Ort jüdischen Glaubens aus dem Stadtbild Bleicherodes für immer verschwand.
Im Gedenken an die Zerstörung der Synagoge im nationalsozialistischen Terror wurde 1988 ein Gedenkstein an den Ort gesetzt. Dieser wurde 2005 durch einen neuen ersetzt. Jährlich wird am 9. November an die Opfer der Pogromnacht von 1938 erinnert. Zu diesem Anlass wird der Gedenkort zum Mittelpunkt der Andacht und des Trauermarschs mit Teilnehmenden aus Politik und Gesellschaft gemacht.
Mit dem Setzen des Gedenksteins mit neuer zeitgemäßer Inschrift signalisierte die Stadt, dass ihr Bewusstsein für die Historie reflektiert und sich kritisch mit ihr auseinandersetzt.

Dem schließt sich nun das Vorhaben der Partner Stadt Bleicherode, Wohnungsbaugenossenschaft eG Südharz (WBG) und Hochschule Nordhausen an. Den Impuls dafür gaben konstruktive Gespräche zwischen Forschung, Einwohnern, evangelischer Kirche und der Stadt Bleicherode. Beflügelt wurde dies durch die neuen Erkenntnisse aus der Forschung zur Geschichte und zum Bau der Synagoge, die bereits am 24. März 2024 in einem eintägigen und gut besuchten Programm in Bleicherode vorgestellt wurden.

Mit der Forschung zur einstigen Synagoge in Bleicherode ergab sich auch ein Fund vor Ort. Dieses soll nun in würdiger Gestaltung wieder sichtbar gemacht werden, denn es ist im Moment das einzig sichtbare Zeugnis des jüdischen Gotteshauses, das das Grundstück als ein Synagogengrundstück historisch aufwertet und eine neue Aufmerksamkeit dem historischen Ort zukommen lässt. In Anbetracht dessen besteht die Überlegung, das Grundstück auf weitere Überreste näher zu untersuchen, diese gegebenenfalls sichtbar zu machen und dem Areal ein neues Gesicht zu geben, welches auf die kommunale und zugleich jüdische Gedenk- und Erinnerungskultur Rücksicht nimmt. Die neue Gestaltung des Areals für ein zeitgemäßes Gedenken kann mit einem Citizen Science-Projekt verknüpft werden, um mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen den Platz mit neuen Elementen aufzubauen.

Eine Zusammenarbeit mit Handwerkern vor Ort und Kirchen ist dabei unterstützend. Das Vorhaben wird durch unterschiedliche Hilfen mitgetragen: Die Hochschule Nordhausen beabsichtigt, sich um die Akquise von Drittmitteln für dieses Projekt zu bemühen und ein Netzwerk mit den verschiedenen Institutionen aufzubauen. Initiatorin, Verantwortliche und Ansprechpartnerin für dieses Projekt ist Dr. Marie-Luis Zahradnik. Die Partnerin und Eigentümerin des Grundstückes, die Wohnungsbaugenossenschaft (WBG Südharz) unterstützt die abgestimmten Schritte und sieht dabei auch die Einwohnerinnen und Einwohner, die den Gedenkort mitgestalten, pflegen und weiterhin begehen können. Die Stadt Bleicherode ist Partnerin und Mentorin zwischen dem Vorhaben und den Einwohnern, denn der stetige Austausch und die Abstimmung mit allen Beteiligen sind für das Gelingen und Mittragen des Vorhabens und dessen Ergebnis maßgeblich.

Ein Wunsch aller Mitwirkenden ist, das Vorhaben mit dem 90-jährigen Gedenken an die Zerstörung der Synagoge der Öffentlichkeit präsentieren zu können und einen Impuls zu setzen, das Erinnern und Gedenken nicht verblassen zu lassen, sondern dem Wandel der Zeit anzupassen, damit die Vergangenheit nah am Menschen dranbleibt.