Ein (Arbeits)Leben lang auf der Schiene

Die "Königin" gefahren

Sonntag
28.04.2024, 16:00 Uhr
Autor
psg
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Der Bahnhof Altentor ist nicht nur für Nordhäuser ein Begriff. Er steht für jugendliche Erinnerungen, für Fahrten in den (Süd)Harz - er gehört einfach zu Nordhausen. Fahrkarten kann man hier schon eine Ewigkeit nicht mehr kaufen, auch werden keine Schranken bedient. Aber man kann darin wohnen. Die nnz ging auf Spurensuche…

Mit Herz und Verstand Eisenbahner: Klaus Goldhammer (Foto: nnz) Mit Herz und Verstand Eisenbahner: Klaus Goldhammer (Foto: nnz)
Am 3. April 1981 bezogen Klaus Goldhammer, seine Frau und die beiden Kinder das obere Stockwerk. Der Lokführer der Deutschen Reichsbahn (DR), der eigentlich Jagdflieger werden wollte, aber zu viel Westverwandtschaft hatte, war 1970 von Bautzen nach Nordhausen gezogen. Nachdem 1980 das zweite Kind geboren wurde, war die kleine Wohnung in der Neanderstraße wirklich zu klein. Eine größere musste her.

Zu den damaligen Zeiten war ein solcher Wohnungswechsel leichter gesagt als tatsächlich getan. Der Orkan, der 1980 über Nordhausen fegte, hatte das Bahnhofsgebäude auch in Mitleidenschaft gezogen. Doch die obere Etage konnte als Wohnung wieder hergerichtet werden. “Das waren dann 84 Quadratmeter und wir waren richtig stolz und glücklich, als wir Anfang April 1981 dort einziehen konnten”, erzählt der heute 82jährige.

In unzähligen Stunden wurde in Eigenleistung sowie mit der Familie und Freunden nicht nur die Wohnung hergerichtet, sondern auch das Außengelände in die Obhut der Familie Goldhammer genommen. “Wir hatten alle Bäume gepflanzt, darunter eine Weißbuche. Wir wollten einfach alles schöner machen und haben uns auch um die Einzäunung gekümmert”, so seine Erinnerung an diese Zeit. Seine Frau schulte um und war schließlich im Betriebsdienst der DR angestellt. Ihr Arbeitsplatz befand sich im Haus, im Erdgeschoss. Ein enormer Pluspunkt ebenso wie der kurze Schulweg für die Kindern der Goldhammers.

Klaus Goldhammer war nicht nur Eisenbahner schlechthin, er war Lokführer und fuhr so ziemlich alles, was bei der Deutschen Reichsbahn und später bei der Bundesbahn auf Schienen unterwegs war: Personenzüge, Güterzüge, Eilzüge, Sonderzüge, Touristikzüge. Unter Dampf fuhr er die Baureihen 41, 52, 65 und die legendäre 44er, die “Königin”. In Bautzen sogar die Baureihe 01. Später kamen die dieselelektrischen Zugpferde hinzu: 110, 118, 119, 132. Letztere sind heute noch auf den Schienen in Deutschland “auf Achse”. Nach dem Abschluss der Elektrifizierung der bahstrecke zwischen Halle und Kassel fuhr Klaus Goldhammer auch “voll elektrisch”. Noch heute erinnert er sich an eine Fahrt, kurz nach der Grenzöffnung. Er war mit einer BR 132 vor einem Eilzug von Kassel nach Arenshausen unterwegs, begleitet von einem RTL-Kamerateam.

Wohnt 43 Jahre im Bahnhof Altentor (Foto: nnz) Wohnt 43 Jahre im Bahnhof Altentor (Foto: nnz)
Mit der Wende wechselte schließlich auch der Vermieter der Familie Goldhammer. Die Deutsche Reichsbahn war Geschichte, die Harzer Schmalspurbahnen übernahmen auch den Bahnhof Altentor. Ein Schlaganfall riss den Lokführer, der seinen Beruf liebte, aus dem aktiven Dienst in den Vorruhestand. Das war der 18. August 2000, seine Frau arbeitete bis zu ihrer Rente weiter für die HSB.

Als die Gesundheit von Klaus Goldhammer wieder hergestellt war, pflegten er und seine Familie das Grundstück samt des Umfeldes, auch um den eigenen Garten inklusive der Gartenbahn kümmerte er sich. Doch der Spaß an dem schönen Umfeld wich dem Frust zusehen zu müssen, wie Vandalismus immer mehr um sich griff. “Die Menschen, ob junge oder ältere, hatten und haben keinen Respekt mehr vor dem Eigentum anderer. Immer wieder wurden Wände beschmiert, Fenster eingeworfen, Abfälle hingeworfen. Tiere und Menschen verrichteten dort ihre Notdurft. Als ich einmal Schüler, die auf den Triebwagen warteten, zur Rede stellte, drohten sie das Haus anzuzünden”, sind nur einige Beispiele.

Im vergangenen Sommer rissen Unbekannte den Drahtzaun nieder, knickten Äste von einem Kirschbaum ab und nahmen sie mit in den Triebwagen der HSB, mit dem sie weiterfuhren. Das alles habe es zu DDR-Zeiten nicht gegeben. “Heutzutage gibt es kaum noch ein Miteinander, nur noch ein Gegeneinander”, ist sein Resümee.


Nun, mit 82, kann er sich nicht mehr um das Außengelände kümmern. Das hat er der HSB-Zentrale bereits mitgeteilt. Da schwingt ein wenig Wehmut in seinen Worten, doch in seiner Erzählung überwiegt der Stolz auf das Erreichte, denn nicht jeder konnte eine 01er oder die Königin unter den Dampfloks, die 44er fahren. Das war schon was…
Peter-Stefan Greiner