Kriminalstatistik für Nordthüringen vorgestellt

Die Menschen werden dünnhäutiger

Freitag
19.04.2024, 16:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Die Zahl der Straftaten ist im Jahr 2023 in den vier Nordthüringer Kreisen deutlich angestiegen. Vor allem Diebstahl, Einbruch, Körperverletzungen und Trickbetrüger beschäftigten die Polizeibeamten. Die ausführliche Statistik wurde heute in Nordhausen vorgestellt...

Polizeibericht, Symbolbild (Foto: agl) Polizeibericht, Symbolbild (Foto: agl)


Mit vier Landkreisen und einer Fläche, die anderthalb mal so groß ist wie Deutschlands kleinstes Bundesland, hat die Landespolizeiinspektion Nordthüringen zwar das größte Einsatzgebiet im ganzen Freistaat, aber über all das Land verteilen sich nur 360.000 Einwohner.

Und einige davon kamen im vergangenen Jahr auf die eine oder andere Art mit dem Gesetz in Konflikt, insgesamt zählt die heute in Nordhausen vorgestellte Kriminalstatistik 22.811 Straftaten auf, von denen 63,2 Prozent aufgeklärt werden konnten. Die Aufklärungsquote bewegt sich in etwa auf dem Niveau der Vorjahre, bei den Straftaten verzeichnete man einen Anstieg um etwa 2000 Fälle, also knapp zehn Prozent.

Die Entwicklung folge dem Landestrend, erklärte der Leiter der Nordthüringer Polizeikräfte, Matthias Bollenbach. Man habe das zweithöchste Fallaufkommen nach der Stadt Erfurt, allerdings liegen die Schwerpunkte im ländlichen Raum anderswo. „Herausragende“ Straftagen wie Mord oder schwere organisierte Kriminalität habe man hier weniger, aber auch die „kleineren“ Vergehen seien mit Arbeitsaufwand verbunden, so Bollenbach.

Für die Einsatzkräfte der Polizei im Thüringer Norden hat der durchaus Relevanz, denn aktuell ist der Personalbestand so niedrig wie nie zuvor. Im Freistaat ist man im Moment die Polizeibehörde mit dem höchsten Altersdurchschnitt und entsprechend hoch ist auch die Pensionierungsrate. „Wir begrüßen es daher, dass die Einstellungszahlen von Landesseite nach oben korrigiert werden“, so der Polizeichef, eine „überwiegende Erneuerung“ im Personalbestand werde man aber erst in einigen Jahren erreicht haben.

Einen Tag ohne Leichen gibt es kaum
Vor diesem Hintergrund sei die Aufklärungsquote bei hohem Fallaufkommen immer noch ein erfreuliches Resultat. „Jede aufgeklärte Tat ist wichtig und sendet ein Signal für die Sicherheit der Bürger. Wir leben insgesamt immer noch in einem sehr friedlichen Land“, sagt Bollenbach.

Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik für 2023 in Nordhausen (Foto: agl) Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik für 2023 in Nordhausen (Foto: agl)


Die Kollegen von der Kriminalpolizei (Kripo) hatten 2023 keinen einzigen Fall von Mord und Totschlag und lediglich zwei „versuchte Tötungsdelikte“ zu bearbeiten. „Dank weniger herausragender Kapitaldelikte konnten wir uns auf die Abarbeitung anderer Fälle fokussieren. Außerdem gab es größere Brände, mit denen wir uns zu beschäftigen hatten, die aber ohne größeren Aufwand zu ermitteln waren“, summierte Kripo-Chef Detlef Grabs. Insgesamt eine vernünftige Arbeitssituation, wobei aber einschränkend zu erwähnen ist, dass auch ohne Mord und Totschlag ein Tag ohne Leiche bei der Kripo eine Seltenheit ist. Ermitteln muss man in jedem Fall, ob bei einer häuslichen Tragödie, einem Unfall oder all den anderen Wegen, auf denen Menschen aus dem Leben scheiden.

Trickbetrüger viel zu oft erfolgreich
Ein hohes Fallaufkommen und frustrierend niedrige Aufklärungserfolge verursachen Internetstraftaten und Telefontrickbetrüger. Insgesamt 3884 Vermögens- und Fälschungsdelikte registrierte man im vergangenen Jahr, darunter fallen auch Maschen wie der „Enkeltrick“ und Schockanrufe.

Es vergehe fast keine Woche mehr, ohne das der Polizei ein solcher Fall gemeldet werde. „Die Täter haben immer wieder neue Ideen und selbst die dubiosesten Maschen führen viel zu oft zum Erfolg. Wenn Sie jemand dazu auffordert, ihren Schmuck zu sammeln und an die Haustür zu hängen, damit ein vermeintlicher Beamter das dann als Bezahlung für das Gericht abholen kann, sollte man sehr, sehr, sehr hellhörig werden.“, erzählt Bollenbach. Den Täter habhaft zu werden sei nicht leicht, es wird viel mit prepaid Telefonkarten, falschen Peronalien und hohem Organisationsgrad gearbeitet, wobei die Drahtzieher oft im Ausland sitzen. „Es gibt im ganzen Land zu dem Thema Ermittlungsgruppen aber man hat Glück, wenn man jemanden erwischt. Wenn wir hinzukommen, ist es meist schon zu spät und der Schaden ist da.“

Wo die Strafverfolgung nicht greift, versucht man es verstärkt mit Prävention. Jüngst hat man wieder eine Informationsbroschüre unter das Volk gebracht, die vor allem ältere Mitbürger zu den Taktiken und Maschen der Kriminellen aufklären soll. Aber auch an anderer Stelle kann das Wissen um die Tricks der Betrüger Schlimmeres verhindern, etwa wenn Bankangestellte aufmerksam sind. Die Broschüre zur Kampagne „Nicht mit uns!“ findet sich unter anderem hier .

Wieder vermehrt Diebstahl und Einbruch
Einen deutlichen Anstieg hatte man im Bereich Diebstahl und Einbruch zu verzeichnen. In 2022 lagen die Fallzahlen hier bei 4.721 Vorkommnissen, in 2023 wurden 5.375 Fälle bekannt. Im Unterbereich der Wohnungseinbrüche hatte man über die Pandemie hinweg weniger Fälle zu bearbeiten, aus offensichtlichen Gründen, schließlich waren sowohl mögliche Opfer wie auch potentielle Täter jeweils auf die eigenen vier Wände beschränkt.

Die Zahl der Ladendiebstähle stieg von 753 auf 951 Fälle. Bei der Landespolizeiinspektion vermutet man hier auch einen Zusammenhang mit der allgemeinen Teuerung, wenn das Geld knapper wird, ist Ladendiebstahl wieder im kommen. Reisende Tätergruppen suchten sich Ziele mit hoher Beuteerwartung aus, was man unter anderem im Eichsfeld vermehrt beobachten könne, Einzeltäter stehen oft in Verbindung mit der sogenannten „Beschaffungskriminalität“. Da wird dann etwa des Nachts unter Autos gekrochen, um Katalysatoren auszubauen, zu verhökern und damit den Drogenkonsum für ein paar weitere Tage zu finanzieren.

Im Unstrut-Hainich-Kreis hatte man es im vergangenen Jahr mit einer größeren Einbruchsserie zu tun, die sich aus eben diesem Feld speiste - junge Drogenabhängige, die ihren Konsum finanzieren wollten. Da Diebstahl aber ein „Tatortdelikt“ ist, konnte die Polizei aus dem Vollen ihres Instrumentariums schöpfen, erläuterte Kripo-Chef Grabs. Dank qualifizierter Spurensicherung, der „digitalen Umfeldsuche“ nach Kameraaufnahmen, der Sicherung von DNA-Spuren und einem Abgleich mit bekannten Konsumenten kam man den Tätern schließlich auf die Schliche. Bei einem Beschuldigten ist die „juristische Verarbeitung“ bereits abgeschlossen, der Herr sitzt hinter Gittern, die anderen befinden sich noch im Verfahrenslauf.

Mehr Rauschgift im Straßenverkehr
Eine deutliche Änderung zu früheren Zeiten bemerke man im Straßenverkehr, so die Beamten weiter. Während der Polizei früher zumeist Alkoholsünder ins Netz gingen, registriere man zunehmend Fahrten unter dem Einfluss von Rauschgift, die fast 50 Prozent der Vorfälle ausmachten. Insgesamt blieb die Zahl der Rauschgiftdelikte aber mit 1824 Fällen im Vergleich zum Vorjahr (1841 Fälle) weitestgehend konstant.

Vermeintliche Arbeitserleichterungen durch die Teillegalisierung von Cannabis erwarte man eher nicht, so die Einschätzung Bollenbachs, man werde trotzdem weiter ermitteln müssen. „Die Politik hat Regeln gesetzt und was in der öffentlichen Debatte oft zu kurz kommt ist der Umstand, dass darin auch Straftatbestände enthalten sind. Es ist nicht alles legal und erlaubt“. Für die Umsetzung der gesetzlich vorgegebenen Regelungen seien primär die Kommunen zuständig, etwa wenn es um die von den angedachten „Cannabis-Clubs“ zu erfüllenden Auflagen geht. Die Polizei habe als Ermittlungsorgan eine sekundäre Funktion.

Die Menschen werden dünnhäutiger
Weiter ist zu konstatieren, dass die Fäuste schneller zu fliegen scheinen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Die Zahl der Körperverletzungen stieg auf 2.506 Fällen in 2023 (2022: 2.397). „Die Menschen werden dünnhäutiger, das erleben auch die Kollegen im Einsatz immer öfter. Klare Anweisungen werden erst einmal hinterfragt und man schaut, wie weit man gehen kann. Tätliche Angriffe auf Polizeibeamte sind aber immer noch selten, Verbalattacken hingegen weniger. Grundsätzlich bekommt man den Eindruck, dass es an Kommunikation mangelt. Die Leute reden nicht mehr miteinander. Wenn der Nachbar Lärm macht, wird gleich die Polizei geholt, anstatt erst einmal selbst das Gespräch zu suchen. Und wenn die Leute doch einmal aneinander geraten, greift man öfter zu schlagenden Argumenten“, moniert der Nordthüringer Polizeichef.

Die landläufige Meinung
Die Statistik führt auch den Anteil Tatverdächtiger auf, die nicht-deutscher Herkunft sind. Mit rund 21.100 Personen lag der Ausländeranteil im Zuständigkeitsbereich der LPI Ende 2022 bei bei 5,9 Prozent. Die Zahl der hier zugeordneten Straftaten lag damals bei 1.154 oder 14,1 Prozent. In 2023 stieg der Wert auf 1.334 Straftaten oder 16,4 Prozent an der Gesamtzahl der Straftaten. Die Schwerpunkte lagen in den Deliktbereichen Ladendiebstahl und Körperverletzung, wobei sich letztere zumeist untereinander zugefügt wurden.

Probleme gab es im Bereich Asyl und Migration unter anderem in Obermehler im Unstrut-Hainich-Kreis, wo es zu einer ganzen Reihe von Straftaten gekommen war. Wie sich in der Folge herausstellte, waren von den rund 800 Menschen, die nahe dem kleinen Dorf in einer Sammelunterkunft untergebracht waren, gerade einmal vier für die Straftaten verantwortlich. Drei sind bereits „weg“, an Nummer Vier arbeite die Justiz noch, so die Polizeiführung. Man müsse sich vor Pauschalverurteilungen hüten, sagt Bollenbach, Gefühle, die in der Bevölkerung mitunter weit verbreitet seien, ließen sich statistisch nicht belegen. Entgegen der landläufigen Meinung gebe es zum Beispiel keine besondere Beteiligung von nicht-deutschen Tätern an Sexualdelikten.

Politisch motivierte Straftaten
Bei den politisch motivierten Straftaten verzeichnete man in 2023 einen leichten Rückgang von 466 auf 421 registrierte Fälle. Mit 55,6 Prozent der Vorfälle liegen die politisch motivierten Straften „Rechts“ weit vor den anderen Kategorien. In der Mehrzahl handelte es sich hier mit 153 Fällen um sogenannte „Propaganda-Delikte“, also etwa das zeigen verfassungsfeindlicher Symbole. Hinzu kamen 42 Fälle von Volksverhetzung, 12 Beleidigungen und neun Körperverletzungen, vier davon gefährlich.

Im Bereich „Links“ sind in der Statistik 30 Fälle aufgelistet, drei mehr als im Vorjahr. Mit 23 Fällen liegt der Fokus hier vor allem auf Sachbeschädigung, Gewaltdelikte gab es keine.

Religiöse Ideologie geriet in drei Fällen ins Visier der Ermittler, wobei zwei Fälle aufgeklärt werden konnten. Zu allem kommen 130 Vorfälle hinzu, die keinem der genannten Bereiche eindeutig zuzuordnen waren.

Für das laufende Jahr rechnet man mit einem enormen Anstieg des Deliktfeldes, mit drei großen Wahlen gebe es viel Angriffsfläche für politisch motivierte Straftaten.

Schwerpunkte in den Landkreisen
Zu guter Letzt ein kurzer Blick in die Besonderheiten der Landkreise. Allen gemein war ein Anstieg der Diebstähle. Die Zahl der Körperverletzungen waren im Kreis Nordhausen (569 Fälle) und dem Unstrut-Hainich-Kreis (619 Fälle) deutlich höher als in den anderen Kreisen. Im Eichsfeld wird hingegen noch eher gedroht als zugeschlagen, aber auch öfter betrogen (597 Fälle), im Kyffhäuserkreis beleidigt man sich öfter als in den anderen Kreisen (303 Fälle). Der Unstrut-Hainich-Kreis sticht zudem bei den Rauschgiftdelikten (399 Fälle) hervor.

Auch die Verkehrsunfallstatistik wurde heute in Nordhausen vorgestellt, der Bericht zum Straßengeschehen folgt morgen.
Angelo Glashagel

Die ausführliche Statistik findet sich hier .