Nordhausen und seine künstlerischen Werke (17)

Heinz Scharrs Arbeiten in der KZ-Gedenkstätte

Sonntag
14.04.2024, 13:52 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
„Begegnen wir der Zeit, wie sie uns sucht.“, äußerte der Dramatiker William Shakespeare. „Einmal ist keinmal! Ich bleibe dran, wenn ich etwas angefangen habe!“, so der Künstler Heinz Scharr. Über Scharrs große Kupferreliefwand des Häftlingszuges und andere Bauwerke am Appellplatz...

Heinz Scharr, Kupferreliefwand (Foto: H.Kneffel) Heinz Scharr, Kupferreliefwand (Foto: H.Kneffel)


Als Heinz Scharr zu DDR-Zeiten den Auftrag bekam, für die Mahn- und Gedenkstätte Dora ein Kunstwerk zu schaffen, gab es dort vor dem Krematorium seit 1964 eine 5 Häftlinge umfassende Figurengruppe von Jürgen von Woyski (1929 - 2000). Etwa zur gleichen Zeit, als seine Kupferreliefwand fertig wurde, 1979, stellte man im Krematorium von Theo Balden (1904 - 1995) aus Bronze ein emporstrebendes Natursymbol einer Blüte auf als Sinnbild der Hoffnung.
Begleiten wir den Künstler Scharr aus unseren Breiten, denn sein Weg durch diese Welt begann am 1. Juli des Jahres 1924 in Sondershausen, das heißt, er wurde vor 100 Jahren geboren.

Heinz Scharr an der Kupferreliefwand, 2008 (Foto: H.Kneffel) Heinz Scharr an der Kupferreliefwand, 2008 (Foto: H.Kneffel)


Als er 1947 aus dem Krieg und aus englischer Kriegsgefangenschaft zurückkam, - schnell hintereinander hatten ihn also extreme Lebensbedingungen ereilt, - zogen ihn seine Pfade zum künstlerischen Tun. Das wurde ihm fortan elementares Lebensbedürfnis. Der junge Mann schloss sich dem Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands an, denn nach dem Inferno musste Neues gestaltet werden. Die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig nahm ihn auf, damit wurde ein solider Grundstein gelegt. Er wurde Mitglied des Verbandes Bildender Künstler in der DDR und freischaffend. Seit 1957 war er Mitglied des Dortmunder Künstlerbundes, andere Wege eröffneten sich, auch durch mehrere Studienreisen. Er war wieder in seiner Geburtsstadt Sondershausen ansässig, verbündete sich ab 1964 durch Heirat mit Jutta Frank.

Jutta und Heinz Scharr in der Klostergalerie in Utterode (Foto: H.Kneffel) Jutta und Heinz Scharr in der Klostergalerie in Utterode (Foto: H.Kneffel)


Immer ist Scharr auf Kunstpfaden, vielfältige Werke entstehen, er probiert aus, Neugier und Schaffensdrang sind groß, Herausforderungen werden angenommen, ja, gesucht, Hoch-Zeiten und Nackenschläge kommen über ihn, er ist rastlos, tatkräftig, grübelnd, immer wach, also verletzbar. Und „Moment mal! Da sind doch diese gewaltigen Kerle, deren Kunst verdammt gut ist!“ Er schätzte bei zeitgenössischen Kollegen Talent, Arbeitsintensität, einen aufrechten Charakter, suchte den künstlerischen Erfahrungsaustausch, ein anregendes Gespräch, wobei er gern die Führung übernahm.
Wir überspringen einige Jahre. 1975 bahnte sich etwas Entscheidendes an, das Ehepaar kaufte im Kreis Nordhausen ein aus dem Mittelalter stammenden Vierseitenhof, in dem Geschichtliches in allen Ecken sitzt und sich Landschaftliches ringsumher entfaltet - Utterode mit Namen, einen ehemaligen Komturhof des Deutschritterordens in der Nähe Rehungens, von Scharr auch das „Hochland“ genannt. Seit 1976/77 wohnen die Scharrs hier, sie werden zu Denkmalschützern, Denkmalgestaltern. Wieso kam es zu diesem Ortswechsel?

Utterode, Eingang in den Vierseitenhof (Foto: H.Kneffel) Utterode, Eingang in den Vierseitenhof (Foto: H.Kneffel)



Die Vorgeschichte! Der Sondershäuser hatte im März 1974 vom Rat der Stadt Nordhausen den Auftrag erhalten, für die Gedenkstätte Lager Dora eine künstlerische Arbeit zu schaffen. Seit 1972 gab es dort nämlich Überlegungen, eine „Konzeption zur weiteren Gestaltung der Gedenkstätte Lager Dora“ zu erarbeiten, um bis zum 25. Jahrestag der Gründung der DDR am 7. Oktober 1974 insbesondere den Appellplatz neu gestaltet eröffnen zu können, was allerdings nicht eingehalten werden konnte. Das Projekt wurde vom Institut für Denkmalpflege in Berlin erarbeitet. Zum vorgeschlagenen Entwurf gehörten eine Bogenmauer aus Beton, davor das Tribünenpostament mit einer Flammenschale. Auf der leicht gebogenen Mauer sollte der Leidenszug der Häftlinge dargestellt werden, die kurz vor Kriegsende vor allem nach Bergen-Belsen getrieben wurden, für viele ein Todesmarsch. Beabsichtigt war, die Figuren erhaben in Beton auszubilden. Anfang 1974 war dann also endlich klar, dass die künstlerische Gestaltung der Betonwand dem Künstler Heinz Scharr übertragen würde. Dieser entschied sich jedoch für ein aus Kupferblech bestehendes Relief des Leidenszuges. Er erhält auch den Auftrag, die Texte für die Gestaltung des Eingangs der Gedenkstätte und für das Tribünenpodest, bestehend aus 125 großen Metallbuchstaben, zu entwerfen und anzufertigen, später kommt noch der Flammenschalenturm hinzu. Wegen des enormen Umfangs der Arbeit kam beim Ehepaar Scharr deshalb ein Domizil im Kreis Nordhausen ins Gespräch, in dem sie auch die sehr großen polierten Kupferplatten bearbeiten könnten, was langwierig sein würde, denn man musste sie ausglühen. Die Vorrichtung dazu baute man sich selbst und zwar bereits in Utterode. Dort entstanden vorwiegend auch die zahlreichen schwarz-weiß-Blätter mit den Vorstudien für den Häftlingszug und mehrerer kleinerer kupferner Reliefentwürfe.

Scharr übergibt in der Gedenkstätte 2008 Zeichnungen Gefangenenzug (Foto: H.Kneffel) Scharr übergibt in der Gedenkstätte 2008 Zeichnungen Gefangenenzug (Foto: H.Kneffel)


Man wuchs mit dieser Hügellandschaft und den Gebäuden zusammen, für Scharr wurde es ein künstlerisch fruchtbarer Ort. „Er bewirkt, dass man was machen muss!“ Hin und wieder wünschte er sich allerdings nach Patagonien. Scharr ist kein Kupferschmied, kein Kunsthandwerker. Aber, er war von der geistigen und körperlichen Herausforderung angezogen, und wusste aus Erfahrung: „Man wächst daran und zieht es durch!“ Für ihn galt: „Nun mach mal!“ In seiner Frau Jutta hatte er eine Verbündete

Leidenszug der Häftlinge Doppelfigur (Foto: H.Kneffel) Leidenszug der Häftlinge Doppelfigur (Foto: H.Kneffel)


getrieben, in der Nähe des ehemaligen Appellplatzes.
Die Betonwand, die er brauchte, wurde vom VEB (K) Baureparaturen Nordhausen ausgeführt mit vertikaler Schalung als Sichtbeton. 103,0 Quadratmeter betrug die Bildwandschalung für den Leidenszug der Häftlinge. Vierzehn überlebensgroßen Personenreliefs schuf Scharr, eine gewaltige Arbeit. Der Fries zeigt vier Einzelpersonen, zwei in einer Zweiergruppe und drei in einer Dreiergruppe. Gruppendarstellungen in solchen Dimensionen sind eine besondere Herausforderung. Zwischen den Häftlingsreliefs befinden sich personenfreie Kupferreliefs, die die Konzentration auf die Teile mit den Gefangenen vertiefen. Seit 1979 zeichnen die Jahreszeiten ihre Spuren in das Kupfer. Dadurch wird der Ausdruck der Wand auf Leben und Vergehen gesteigert, die Scharr bei der Gestaltung mitgedacht wurde.

Scharr setzte ans Ende des Häftlingszuges eine liegende Rose und das Datum 1979 (Foto: H.Kneffel) Scharr setzte ans Ende des Häftlingszuges eine liegende Rose und das Datum 1979 (Foto: H.Kneffel)


Der Präsident der Akademie der Künste in Berlin, der Künstler Heinz Staeck, schrieb in seinem Glückwunsch zum 90. Geburtstag des Künstlers: „... mit ihrer künstlerischen Gestaltung der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora haben sie sich bravourös einer großen ästhetischen und technischen Herausforderung gestellt, national und international beachtet, wovon ich selbst mich zu überzeugen Gelegenheit hatte.“