Stadtratssitzung mit hohem Besuch und ohne Haushaltssperre

Ein langer Abend voller Stolz und Kontroversen

Freitag
22.03.2024, 12:00 Uhr
Autor:
emw
veröffentlicht unter:
Im Stadtrat von Bad Langensalza lag für gestern Abend Ärger in der Luft, denn eine Gruppe Abgeordneter wollte gegen den Willen des Bürgermeisters eine Haushaltssperre erwirken. Doch es gab auch zwei erfreuliche Punkte auf der Tagesordnung …

Bad Langensalzaer und Ukmergér Würdenträger bei der Vertragsunterzeichnung (Foto: Eva Maria Wiegand) Bad Langensalzaer und Ukmergér Würdenträger bei der Vertragsunterzeichnung (Foto: Eva Maria Wiegand)

Die grenzten zeitlich den öffentlichen Teil dieser denkwürdigen Stadtratssitzung ein. Mit dem Botschafter der Republik Litauen in Deutschland, seiner Exzellenz Ramūnas Misiulis, konnten die Langensalzaer Stadträte hohen Besuch begrüßen. Anlass war die feierliche Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages zwischen Bad Langensalza und Ukmergé sowie ein Eintrag ins Goldene Buch der Stadt. Auch der Bürgermeister der Kreisgemeinde, Darius Varnas, sowie seine Verwaltungsdirektorin Inga Pračkailé hatten den weiten Weg auf sich genommen, um das Papier würdig zu ratifizieren. In ihren kurzen Ansprachen würdigten sie die Hilfe, die sie aus Deutschland und speziell aus Bad Langensalza im Laufe der Jahre erfuhren. Botschafter und Bürgermeister bedankten sich und wünschten eine gedeihliche Zusammenarbeit. Ramūnas Misiulis merkte noch an, dass er für die Sitzung einen friedlichen Verlauf erhoffe. Wie um solche friedlichen Verläufe zukünftig abzusichern wählten die Räte im Anschluss Matthias Herty für die nächsten fünf Jahre als neue Schiedsperson der Stadt.

Schon beim folgenden Tagesordnungspunkt, den Informationen des Bürgermeisters wurde klar, wie viel Arbeit er bekommen könnte. Denn Matthias Reinz war sichtlich angefressen und teilte ordentlich aus. Er wolle die Wahrheit sagen und mit den Gerüchten aufräumen, er hätte die Rücklagen der Stadt in Höhe von 12 Millionen „auf den Kopp gehauen“. Er habe im Jahre 2018 bei Amtsantritt 8 Millionen Euro an Rücklagen übernommen und bis zum Jahresende 2019 war die Summe auf 11,3 Millionen Euro angewachsen. Dann kam die Corona-Pandemie mit all ihren Maßnahmen und ein halbes Jahr lang habe der Betrieb nahezu aller Einnahmestellen und Steuerzahler geruht. Bis 2022 zog sich ein Zustand der Verunsicherung durch und dann begann eine nie da gewesene Inflation und Preissteigerungen im Energiebereich. Schwerpunk der städtischen Finanzierungen und Nachbesserungen seien die Therme und die Investitionen in den Ortsteilen gewesen. An dieser Stelle werde er mit Fakten arbeiten und es müsse offen eingestanden werden, dass die Stadt momentan Pleite sei. Da nütze es nichts, richtete er sich direkt an seinen Herausforderer Patrick Kosiol, mit der Vision eines Naherholungsgebietes um die Häuser zu ziehen und Leuten Sachen zu versprechen, die keiner einhalten könne. Das werde er, so Matthias Reinz, definitiv nicht tun und dafür lieber den Menschen reinen Wein einschenken. Es muss gespart werden und zwar kräftig.

Der Botschafter der Republik Litauen in Deutschland, Seine Exzellenz Ramūnas Misiulis (Foto: Eva Maria Wiegand) Der Botschafter der Republik Litauen in Deutschland, Seine Exzellenz Ramūnas Misiulis (Foto: Eva Maria Wiegand)
Die Personalkosten der Verwaltung seien in den Jahren seiner Amtszeit allein um über drei Millionen Euro gestiegen bei gleichbleibenden Bestand von Mitarbeitern. Die Ausgaben für städtische Kitas stiegen um 784.500 Euro. Es sei einfach unseriös zu versprechen, man wolle die Elternbeiträge kürzen und möglichst ganz abschaffen. Die Schulumlagen wären von 6,4 Millionen Euro im Jahre 2018 auf nun 9,4 Millionen gestiegen. Die städtischen Kulturveranstaltungen, das Museum, die Bibliothek, die Rumpelburg, das Brunnenfest und die Gottesackerkirche oder der Erhalt des KKZ sind alles Zuschussunternehmen. Für den Kur- und Badebetrieb schiesse die Stadt jährlich 1,1 Millionen Euro zu. Das alles summiere sich auf fünf Millionen Euro für freiwillige Leistungen der Stadt im Jahre 2023. Allein für die Therme seien durch die energetische Sanierung Zusatzkosten von 452.000 Euro für Fernwärme angefallen und 250.000 Euro für Energiekosten. Durch unglückliche Verträge vor seiner Amtszeit, die immer noch bestehen, sei der Stadt eine Summe von geschätzten drei Millionen Euro nur in der Friederikentherme entgangen. Von den Streitereien um den Badmantelgang einmal ganz abgesehen. Die Besucherzahlen der Therme lagen im letzten halben Jahr 2023 um 70.000 unter den Erwartungen.

Und Reinz wollte mit „dem Märchen aufräumen, die fehlenden Steuereinnahmen eines großen Unternehmens lägen daran, dass ich das Sommerfest der Firma nicht besucht habe.“ Das Unternehmen sei in eine Holding umgewandelt worden, was schon vor diesem Fest geplant war.

Besonders den Fraktionsvorsitzenden der WIR-Fraktion, Uwe Domni, warnte der Bürgermeister, sich nicht in den Bereich der strafbaren Beleidigung zu begeben. Und zum diskutierten Jugendzentrum, für das die AWO angeblich investieren wolle, hatte Reinz eine dezidiert ablehnende Haltung, die er auf gesammelte Erfahrungen mit führenden Vertretern der Organisation stützte. Der Wunsch nach einem neuen Gewerbegebiet sei ebenfalls illusorisch, zumal eine solche Einrichtung von der Landesentwicklungsgesellschaft in Erfurt geplant würde und nicht von der Stadt. Konkret zählte er Uwe Domni für eine abfällige Bemerkung an, die in den sozialen Medien verbreitet wurde. Reinz habe im September 2009 im Kampfeinsatz in Afghanistan gestanden und „dort sicherlich mehr für das Vaterland getan, als der Herr Domni in seinem ganzen Leben.“ Für seine geäußerte Bemerkung entschuldigte sich der Ufhovener Ortsteilbürgermeister anschließend ausdrücklich
bei Reinz.

Ein angriffslustiger Bürgermeister Matthias Reinz sorgte für Kontroversen  (Foto: Eva Maria Wiegand) Ein angriffslustiger Bürgermeister Matthias Reinz sorgte für Kontroversen (Foto: Eva Maria Wiegand)
„Ich bin stolz darauf, Bürgermeister dieser wunderschönen Stadt zu sein“, sagte Reinz abschließend. „Und ich setze mich für alle Bürger ein, aber ich werde mich nicht mit unhaltbaren Wahlversprechen einzuschleimen versuchen.“

Die nächsten Punkte der Tagesordnung wurden zügig abgearbeitet, Projekte auf den Weg gebracht und Planungsverfahren beispielsweise für neue Solaranlagen beschlossen. Immer auch mit Zustimmung der Fraktionen, die den Antrag gestellt hatten, sofort Einsicht in die unvollständigen Abrechnungen des Jahres 2023 zu erhalten und eine Haushaltssperre zu verhängen. Dagmar Kleemann (SPD) kritisierte, von dem Haushaltsloch erst über die Medien erfahren zu haben und Uwe Domni verstehe die Verzögerungstaktik nicht, äußerte er. Man wolle die Informationen endlich aus erster Hand von der Verwaltung erhalten. Auch die örtliche CDU schloss sich dieser Forderung an und so stimmten 13 der erschienenen Stadträte dafür, dass bis Ende nächster Woche die vorläufigen Haushaltsabrechnung mit Stand vom 29. Februar den Stadträten zur Verfügung gestellt werden. Drei Abgeordnete stimmten mit nein und vier enthielten sich der Stimme.

Die Anwesenheit von nur 80 Prozent der aktuellen Stadträte sollte bei der nächsten Abstimmung über eine geforderte Haushaltssperre von den Fraktionen SPD/Grüne, LINKE, WIR und BLU noch eine entscheidende Rolle spielen. Denn trotz des eindringlichen Appells vom Fraktionsführer Patrick Kosiol, die Befugnisse des Bürgermeisters zu beschränken und jegliche Ausgaben von über 500 Euro durch den Haupt- und Finanzausschuss genehmigen zu lassen, weil die Leistungsfähigkeit der Stadt sonst gefährdet wäre, scheiterte das Vorhaben. CDU-Chef Ingo Winterberg wies das Ansinnen im Namen seiner Fraktion als lächerlich zurück, da es bei einer solch geringen Summe zu unglaublichen bürokratischen Aufwand käme, wenn bei jeder Rechnung über 500 Euro der Ausschuss zusammentreten und der kaputte Rasenmäher wochenlang auf seine Reparatur warten müsste. Die darauf einsetzende Diskussion über die eventuell zu ändernde Höhe des Betrages wurde von Winterberg beendet mit der Bemerkung, so viel Vertrauen in den Bürgermeister müsse schon gegeben sein, dass er das Geld sinnvoll verwaltet und nicht unnütz ausgibt. Die Abstimmung, bei der auch wieder vier Abgeordnete fehlten, die den Antragsteller zu einer Mehrheit hätten verhelfen können endet mit einer Pattsituation: zehn Räte stimmten mit ja und zehn mit nein. Damit fand der Antrag auf eine Haushaltssperre keine Mehrheit und wurde abgelehnt.

Patrick Kosiol erläuterte im Anschluss noch einmal, dass er ein Fehlverhalten beim Bürgemeister sehen, der als Gesellschafter der städtischen Holding beispielsweise hätte reagieren müssen als Fehlbeträge auftraten. Auch die steigenden Personalkosten seien vorher planbar gewesen und im übrigen habe es eine Personalaufstockung um zehn Prozent im Rathaus gegeben. Er und seine Mitstreiter wollten nur verhindern, dass die Stadt in eine Zwangsverwaltung käme und deshalb freiwillig ein Haushaltssicherungskonzept erstellen, ehe es zu spät ist.

Bürgermeister Reinz stimmte ihm dahingehend zu, dass ein Haushaltssicherungskonzept erstellt und der Kommunalaufsicht nachgewiesen werden müsse, wie die Stadt aus dieser Lage wieder herausfindet. Er berichtete von den Schwierigkeiten der städtischen Betriebe, die Kunden verloren hätte, weil sie für eine weitere Belieferung mit Erdgas durch die verstaatlichte Firma Uniper zehn Millionen Euro Bürgschaft hätte hinterlegen müssen. „Das konnten wir nicht leisten“, sagte Reinz. Als Wortführer Kosiol für seine Fraktionen darauf beharrte, dass für die Großprojekte aus der Zeit des Bürgermeisters Schönau schon alle Folgekosten mit berechnet gewesen seien, wurde er vom Stadtratsvorsitzenden Volker Pöhler mit den Worten: „Jetzt hören Sie aber mal auf, Herr Kosiol“ unterbrochen. „Der Kurbetrieb ist keine freiwillige Leistung“, behauptete Patrick Kosiol daraufhin. „Doch, ist es“, war die knappe Entgegnung des Bürgermeisters.

Ronald Fromm geht nach 33 Jahren im Stadtdienst in seinen wohlverdienten Ruhestand (Foto: Eva Maria Wiegand (Monitorfoto)) Ronald Fromm geht nach 33 Jahren im Stadtdienst in seinen wohlverdienten Ruhestand (Foto: Eva Maria Wiegand (Monitorfoto))

Und so wurde es 22.30 Uhr bis endlich ein zweiter erfreulicher Punkt nach dem Kooperationsvertrag mit Ukmergé zum Tragen kam. Das Verwaltungs-Urgestein Ronald Fromm geht nach 33 Dienstjahren in der Bad Langensalzaer Verwaltung in den Ruhestand. Der langjährige Leiter des Rechnungsprüfungsamtes war vorher in der Personalabteilung des Rathauses tätig und wurde von den Versammelten mit stehenden Ovationen verabschiedet. „Es war mir eine Ehre, für meine Heimatstadt tätig zu sein“, erklärte Fromm und fügte hinzu, stolz auf das Erreichte zu sein. Die vom Bürgermeister scherzhaft in Aussicht gestellten Eintrittskarten für ein Fußballspiel in Jena wies der Geehrte als eingefleischter Rot-Weiß Erfurt-Fan entschieden zurück. Es standen allerdings noch andere Präsente bereit, die den Dank seiner Kollegen für das Geleistete zum Ausdruck brachten.
Eva Maria Wiegand