Zugehört und abgefeiert:

Von Highwaystar bis Stormbringer

Sonnabend
16.03.2024, 11:08 Uhr
Autor:
psg
veröffentlicht unter:
Es war genau das, was die rund 500 Menschen gestern Abend in Neustadt erwarteten: Hardrock vom Feinsten, brilliant “vorgetragen von vier Vollblutmusikern und einer Legende, die - wie seit über 50 Jahren - optisch mehr im Hintergrund trommelte. Rundherum: Es war ein Genuss für Augen, Ohren und manch’ eine Seele…

Rockspektakel im Südharz (Foto: nnz) Rockspektakel im Südharz (Foto: nnz)
Es war irgendwann im Jahr 1970, ich hatte meine Jugendweihe überstanden, als ich in einem alten Röhrenradio bei meiner Großmutter, ganz hinten auf Mittelwelle, den Saarländischen Rundfunk “einfing”. Es war ein Montagabend und da gab es eine Hitparade, die mir nicht nur die Ohren öffnete, sondern auch das Tor zu einer Musik aufstieß, die ich bis dahin nicht kannte und die mich nicht wieder loslassen sollte: die Rockmusik.

Denn auf dieser Frequenz der Europawelle Saar präsentierte ein gewisser Manfred Sexhauer die Sendung “Hallo Twen” und am Montag immer die Hitparade. Auf dieser Parade tummelten sich nicht etwa die Schlagersternchen des bösen Kapitalismus, sondern die “Ausgeburten der imperialistischen Musikexzesse”. Unter den ersten fünf Plätzen waren damals zum Beispiel “Hotel Room” der Edgar Broughton Band, das irre “Paranoid” von Black Sabbath und ganz vorn die “Black Night” von Deep Purple zu hören. Und damit war klar, das tiefe Purpur würde mich Zeit meines Lebens begleiten.

Dass dies mehr als 50 Jahre später auch mal in einem Festzelt in Neustadt sein wird, wo ich dem Trommler der Lieblings-Band “hautnah” gegenüberstehen würde, das nennt man vermutlich Schicksal. Was ich nicht verschweigen will, die legendäre Band sah ich nie in der vermeintlichen Bestbesetzung, die sich 1973 auflöste. Sei es drum, bis auf einen kamen die anderen vier Herren ja wieder zusammen und ich konnte Deep Purple mehrfach live erleben.

Voller Einsatz - auch mit 75: Ian Paice (Foto: nnz) Voller Einsatz - auch mit 75: Ian Paice (Foto: nnz)

Da ging auf der Bühne immer die Post ab, doch einer behielt nicht nur die Ruhe, sondern auch die Übersicht. Er thronte nicht etwa hinter Trommeln oder Becken, nein, bei Ian Paice habe ich immer den Eindruck, dass er an seinem Schlagwerk sitzt wie am Frühstückstisch. So auch gestern Abend in Neustadt. Der 75jährige hat sich mit seiner Band Purpendicular vermutlich nicht nur einen Wunsch zum musikalischen Lebensabend erfüllt, sondern mit Robert Thomas Walsh (Gesang), Herbert Bucher (Gitarre), Nick Fyfee (Bass) und Christoph Kolger (Keyboard) auch exzellente Musiker an seine Seite geholt.

Das Quintett spielte die Rockmusik nicht nur geradlinig, sondern gab sich auch Zeit für Solis und erinnerte an den viel zu früh verstorbenen Jon Lord. Wer Paice in diesen Minuten zusah, als Kolger ein Stück des Deep Purple Keyboarders spielte, der ahnte, wie stark die Verbindung der beiden war und immer noch ist. Das nur als Momentaufnahme am Rande.

In Neustadt erlebte das Publikum (vorwiegend ältere, oftmals grau- und/oder weißhaarige Männer ab 45) einen wunderschönen Abend zum Abrocken, zum Mitsingen und zum Schwelgen in musikalischen Erinnerungen, die überwiegend geprägt waren von handgemachter, elektronisch verstärkter Musik. Die in den Mark-II-Jahren von Deep Purple geprägt waren von griffigen Rockstücken, die man heute noch mit der Band verbindet, die aber auch zum Experimentieren neigten.

Vollblutmusiker auf der Bühne: Purpendicular in Neustadt (Foto: nnz) Vollblutmusiker auf der Bühne: Purpendicular in Neustadt (Foto: nnz)
In Neustadt saß der Schlagzeuger im Hintergrund, der all diese - oftmals auch schwierigen - Phasen der Purples - mit- und durchgemacht hat. Er war dabei vielleicht das Verbindende der Band im Wechsel der Musiker. Er war das, was einen der besten Drummer der Rockmusik ausmacht, er gab den Takt vor. Ob nun in Osaka 1972, in der Royal-Albert-Hall 2014 oder im Festzelt in Neustadt.

Dank sei an dieser Stelle wieder einmal an Frank Poitinger gerichtet. Der Mann machte es möglich, dass der Südharz ein musikalisches Event hatte, dass Menschen auch aus anderen Bundesländern anlockte und das 500 Fans für 90 Minuten “glücklich” machte. Zum Schluss aber entlockte Frank Poitinger dem Ian Paice nicht nur eine Zugabe, sondern auch so etwas wie eine Zusage. Man muss auch dabei ganz genau hinhören.
Peter-Stefan Greiner

Das Zeugnis einer Zusage: Frank Poitinger und Ian Paice