junge Fachkräfte analog und digital ansprechen

Lebensgefühl Azubi

Donnerstag
07.03.2024, 17:30 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Der Nachwuchsmangel hat sich im Thüringer Norden in einigen Branchen schon vor Jahren abgezeichnet, inzwischen zieht das Problem weitere Kreise. In Nordhausen wollen IHK und Ausbildungsverbund nun sowohl digitale wie auch analoge Register ziehen, um junge Leute das „Lebensgefühl Ausbildung“ zu vermitteln…

Analoge Werbung für die digitale Kampagne - in Nordhausen soll zweigleisig für Ausbildungsberufe geworben werden (Foto: agl) Analoge Werbung für die digitale Kampagne - in Nordhausen soll zweigleisig für Ausbildungsberufe geworben werden (Foto: agl)


Unter „Studentenleben“ kann man sich landläufig einiges vorstellen, das gilt natürlich für die, die es erlebt haben, aber auch wer nie einen Campus betreten hat, hat eine vages Konzept vom „Lebensgefühl“ Student. Und die Ausbildung? Da ist der Satz „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ wahrscheinlich das Motto, welches noch am ehesten in der breite der Gesellschaft verankert sein dürfte. Der Azubi holt Kaffee und wird zum kopieren geschickt. Das Bild ist lange überholt, versichert Marc Leineweber gestern in Nordhausen, der Zu- und Umgang mit den Auszubildenden ist heute ein ganz anderer, muss ein anderer sein, wenn man im Kampf um die Köpfe noch mithalten will.

Leineweber ist im Berufsbildungsausschuss der Thüringer Industrie- und Handelskammer, von Haus aus aber Spediteur. Gerade die Logisitikbranche ächzt seit Jahren unter dem ausbleibenden Nachwuchs. Nicht umsonst trifft man sich gestern bei den Nordhäuser Verkehrsbetrieben und deren Chef, Thorsten Schwarz. Über den Firmenausbildungsverbund hat man im Thüringer Norden schon manche Idee ausprobiert, um die jungen Leute für Bus, Bahn und Lkw zu begeistern, weiß Schwarz, vom Klinkenputzen an den Schulen bis zu großen Aktionstagen auf dem alten Autodrom und zuletzt auch dem Rückgriff auf alte Ideen mit dem „Tag in der Praxis“.

Der Bus wurde gestern bei den Stadtwerken übergeben, v.l.: Mariana Kohlause von VerkehrsMedien Thüringen, Marc Leineweber, Uli Schlegel und Thomas Wahlbusch von der IHK und Thorsten Schwarz (Foto: agl) Der Bus wurde gestern bei den Stadtwerken übergeben, v.l.: Mariana Kohlause von VerkehrsMedien Thüringen, Marc Leineweber, Uli Schlegel und Thomas Wahlbusch von der IHK und Thorsten Schwarz (Foto: agl)


Der Schwund kommt nicht von ungefähr, die Zahl der Schulabgänger hat sich in den letzten zwanzig Jahren halbiert. Gleichzeitig gehen die geburtenstarken Jahrgänge der Rente entgegen und verabschieden sich nach und nach aus den Betrieben. Der Fachkräftemangel, er ist keine Mär sondern kalte Mathematik. Bis 2035 werden laut Rechnung allein in Thüringen rund 250.000 Arbeitskräfte fehlen.
„Das klingt jetzt erst einmal weit weg aber das sind gleich nur noch zehn Jahre. Das ist nicht viel Zeit“, sagt IHK Vize und Baustoffhändler aus Nordhausen, Uli Schlegel. Die Aussichten sind düster, es gibt zwar Lichtblicke - die Zahl der Ausbildungsverträge stieg im Nordbezirk zuletzt gegenüber dem Vorjahr auf 272 an - in der Gesamtlage sind die aber nur Tropfen auf den heißen Stein. Der Markt ist wie leergefegt, manch Unternehmen bekommt keine einzige Bewerbung mehr ins Haus.

Schlegel sieht drei Lösungen - Migration aus dem Ausland, jüngst blickt man mit Hoffnung gen Mongolei und Kasachstan, die Aktivierung der Einheimischen, die dem Arbeitsmarkt im Moment nicht zur Verfügung stehen und eben der Kampf um den Nachwuchs, der noch da ist. Aber was will man noch tun, um an die „Gen Z“ heranzukommen?

Peer to Peer
Der direkte Weg soll eingeschlagen werden, über die Medien, die von den jüngeren genutzt werden -Youtube, Instagramm, TikTok und Co. Und es sollen nicht die Alten sein, die von ihrem Schaffen berichten, sondern die Azubis selber die mit ihren Altersgenossen in Kontakt treten.

Das alte Bild vom großen Meister und dem kleinen Auszubildenden hofft man so etwas gerade biegen zu können. Natürlich müsse man den jungen Menschen in der Ausbildung gewissen Grundwerte wie Ordnung und Pünktlichkeit vermitteln, sagt Schwarz. Wenn der Busfahrer nicht rechtzeitig zum Dienst erscheint, ist am Ende nicht nur der Meister, sondern allen voran der Fahrgast sauer. Das versteht man auch in der „Gen Z“. „Wir müssen ein Stück weit auf die Bedürfnisse und Vorstellungen der jungen Erwachsenen eingehen, aber an der Qualität der Ausbildung können und wollen wir nicht rütteln“, sagt der Chef der Nordhäuser Verkehrsbetriebe. Gute Bezahlung sei nur eine Sache, eine bessere Balance zwischen Arbeit und Freizeit, flache Hierarchien, mehr Vertrauen und mehr Verantwortung, im Ganzen das „Drumherum“ falle auch ins Gewicht, berichtet auch Marc Leineweber. „Die jungen Leute haben viel Motivation und Spaß bei der Sache, wenn man sie als vollwertige Kollegen betrachtet, denen man die Grundlagen noch vermitteln und die man an Verantwortung heranführen muss.“

Die digitale Kampagne auf den sozialen Medien „Ausbildung macht mehr aus uns“ hat man im vergangenen März bereits gestartet und verfolgt hier die „peer to peer“ Strategie - junge Auszubildende suchen über die TikTok und Co. den Kontakt zu ihren Altersgenossen um vom „Lebensgefühl“ in der Ausbildung zu berichten. Um das Potential voll auszuschöpfen, macht man in Nordhausen nun auch den Sprung zurück in die analoge Welt. Ein Linienbus der Verkehrsbetriebe soll die Kampagne durch die Region tragen, die Vollendung des Kreises zurück in die digitalen Kanäle wird über QR Codes ermöglicht.
Bus und Bahn sind immer noch sehr gute Werbeträger, sagt Schwarz, die Fahrzeuge sind im ganzen Landkreis unterwegs und sind überall zu sehen. Auch hier wird das althergebrachte also mit den Neuen verbunden, vielleicht hilft es ja.
Angelo Glashagel