Bauarbeiten am Ossietzky Hof stehen vor dem Abschluss

Ein Experiment geht seinem Ende entgegen

Donnerstag
22.02.2024, 13:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Bagger, Bauarbeiter, mancherlei Gewerk - am Ossietzky-Hof sieht es aus wie auf jeder anderen Baustelle. Hinter den Kulissen hat die SWG als Bauherr im Quartier aber experimentiert, vor allem in Sachen Wärme und Energieversorgung. Die ersten Ergebnisse sind positiv wie auch ernüchternd…

Am Haus "Sophia" wird derzeit letzte Hand angelegt, im Sommer sollen die ersten Mieter einziehen können (Foto: agl) Am Haus "Sophia" wird derzeit letzte Hand angelegt, im Sommer sollen die ersten Mieter einziehen können (Foto: agl)


Wenn im Juli diesen Jahres die ersten Mieter in den frisch sanierten Wohnblock in der Ossietzky-Straße einziehen, wird der Startschuss für dieses Experiment schon ein paar Jahre in der Vergangenheit liegen. Die ersten Überlegungen kamen mit der „Internationalen Bauausstellung“, aus ganz Thüringen wurden Projekte eingereicht, darunter auch der Ansatz der SWG, in Nordhausen Nord die energetische Sanierung eines ganzes Quartiers einmal nicht nur zu denken, sondern auch praktisch umzusetzen.

Folgender Versuchsaufbau: im Quartier existieren drei alte Wohnblöcke aus DDR-Zeiten. Der als „Schwesternheim“ bekannte Bau wird abgerissen, der zweite Block in der Ossietzky Straße leergezogen und dessen Mieter nach Möglichkeit in Haus Nummer 3 an der Robert-Koch-Straße umgezogen. Die Sanierung erfolgt hier im Haus „Ludwig“ dann unter Vollbelegung, während man im dem nun leeren Gebäude „Sophia“ volle Baufreiheit hat. Unter diesen Bedingungen wird in der Folge erprobt, wie sich die Gebäude klimafreundlich, sozialverträglich sowie möglichst energie- und ressourceneffizient sanieren lassen.

Bis zu 44 Prozent der benötigten Energie für Heizwärme und Warmwasser sollen im Quartier erzeugt werden. Solaranlagen gibt es auf beiden Dächern, die Hauslüftung und Wärmerückgewinnung, Wärmepumpen und andere Haustechnik mit Energie versorgen. Geheizt wird „Ludwig“ über Fernwärme, „Sophia“ über Abluftwärmepumpen, in den Spitzen kann die Versorgung über externe Quellen zusätzlich abgesichert werden.

Im Haus „Sophia“ konnten Ingenieure und Planer noch etwas weiter gehen, die Fußbodenheizung etwa hat man direkt in die Oberfläche des Estrichs gelegt und die Fenster sind mit Thüringer Recyclingtechnik entstanden. Die Planungen für die Arbeiten am Ossietzky Hof seien hochgradig komplex gewesen, sagt SWG Chefin Inge Klaan gestern, was Fluch und Segen zugleich gewesen ist. „Man kann großflächigen Strukturwandel nicht per Verordnung Realität werden lassen, was funktioniert und was nicht, wird man erst wissen, wenn man es ausprobieren und danach ehrliche Schlüsse ziehen kann.“, sagt Klaan. Auch innerhalb der SWG sei man dem Vorhaben Anfangs mit Skepsis begegnet, die sich aber nach und nach abgebaut habe. Rund 5,6 Millionen Euro hat man in die Sanierung der 40 Wohnungen im Haus „Sophia“ gesteckt, die Miete wird bei rund neun Euro pro Quadratmeter liegen. Das ist über dem Schnitt im sozialen Wohnungsbau, durch das energetische Zusammenspiel beider Häuser sollen aber die generellen Betriebskosten deutlich niedriger ausfallen.

Hinter der Fassade des alten Plattenbaus hat sich eine ganze Menge getan, vor allem in Sachen Wärme- und Energieversorgung. Leicht war es nicht, berichten gestern SWG Chefin Inge Klaan und Projektleiter Karsten Grüneberg  (Foto: agl) Hinter der Fassade des alten Plattenbaus hat sich eine ganze Menge getan, vor allem in Sachen Wärme- und Energieversorgung. Leicht war es nicht, berichten gestern SWG Chefin Inge Klaan und Projektleiter Karsten Grüneberg (Foto: agl)


Großprojekte wie den Ausbau des Ossietzkyhofes werden in der Branche in diesen Tagen kritisch gesehen, „Wer heute baut, der geht bankrott“, war in dieser Woche der Präsident des zentralen Immobilien-Ausschusses, Andreas Mattner zu vernehmen. Die Baukostensteigerungen haben auch das IBA-Projekt eingeholt, allein bei den Ausbaugewerken habe man Preissprünge von bis zu 30 Prozent gesehen, so Klaan. In den allgemeinen Trauergesang der Wohnungsbauer will sie aber nicht einstimmen. „Auch unsere Branche ist voll von Vorurteilen und Wunschdenken. Es gibt da bei einigen die irrige Annahme, dass mit einem Regierungswechsel sofort alle Regeln fallen würden. Fakt ist aber, dass wir ein rohstoffarmes Land sind und damit immer die Aufgabe besteht, unsere eigenen Ressourcen effektiv zu heben, egal welche Regierung gerade am Hebel ist. Es ist die Verknappung der Produktionsmengen, die ins Geld gehen, dort müssen Kapazitäten gefunden und erweitert werden. Wir müssen Geist genug haben, uns mit diesen Tatsachen auseinanderzusetzen, in der Politik, der Industrie und der Wirtschaft.“, sagt die SWG Chefin. Das heißt auch, besser mit dem arbeiten, was man hat. Mehr Recycling, mehr Rückgewinnung von Wärme und Energie, bessere Lösungen aus der Feder gut ausgebildeter Ingenieure.

Gerade Letztere seien in den kommenden Jahren von essentieller Bedeutung, sagt Klaan, denn die Krux zwischen „Ludwig“ und „Sophia“ liegt auch in der Komplexität der Planung. Was man bei den beiden Gebäuden gelernt habe, lasse sich nicht einfach eins zu eins auf jede andere Liegenschaft übertragen. Umbauvorhaben auf Quartiersebene werde es deswegen bei der SWG so schnell nicht wieder geben. „Man kann nicht einfach alles mit dem Einbau von Wärmepumpen lösen, es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die bei jedem Gebäude anders ausfallen können und andere, komplexe Lösungen erfordern“, erläutert die SWG-Chefin. Für die Zukunft brauche es eine langfristige Förderung auf Bundesebene und technologieoffenen Ansätze, anders sei der Strukturwandel nicht lösbar. Zudem müsse man in Sachen Dekarbonisierung nicht allein auf die Wohnungswirtschaft setzen, auch die Seite der Energieerzeuger müsse dem entgegen gehen, was aber politisch weiter schwierig sei.

Mit den Erkenntnissen aus dem Nordhäuser Experiment will und muss man nicht hinter dem Berg halten, vor Ort habe man bereits diverse nationale wie auch internationale Delegationen begrüßt und stelle die Erkenntnisse auf Fachtagungen und Podiumsdiskussionen bundesweit vor. „Wir müssen die Möglichkeiten und die Grenzen aufzeigen. Man kann nicht einfach wahr reden, was nicht wahr ist.Dazu gehört auch eine Selbstüberprüfung und die hört nicht auf, wenn wir hier fertig sind.“, so Klaan.

Erstbezug im Juli
Den Mieter kümmert es in der Regel freilich eher wenig, wie Wärme und Strom in den eigenen vier Wänden ankommen, vom jährlichen Kostenbescheid einmal abgesehen. Geht es sich so aus, wie man bei der SWG erwartet, sollten die Betriebskosten für die Mieter im Ossietzky-Quartier deutlich niedriger ausfallen. Attraktiv seien die Wohnungen, gerade für Ältere, aber auch aus ganz anderen Gründen. Zum einen werden „Ludwig“ und „Sophia“ barrierearm erschlossen - von der schwellenfreien Duschkabine bis zum Aufzug im Haus. Die Wohnungszuschnitte orientieren sich in etwa an dem, was man aus dem alten DDR-Bau gewohnt ist und liegen bei den Zwei- bis Vierzimmer-Wohnungen zwischen 40, 55 und 76 Quadratmetern mit großzügig dimensionierten Balkonen. „Ludwig“ ist voll belegt, die Mieter in der Parterre erhalten auf der Rückseite noch kleinere Gartenanbauten, die Gewerbeflächen unbegrünte Freiflächen. Für das Haus „Sophia“ stehen die ersten Mietergespräche demnächst an, mit einem Erstbezug rechnet man Anfang Juli, es gibt bereits Wartelisten.

Haus "Ludwig" wurde unter Vollbelegung im Strang saniert (Foto: agl) Haus "Ludwig" wurde unter Vollbelegung im Strang saniert (Foto: agl)


Bis zum Ende des Jahres soll dann auch der letzte Bauarbeiter abgezogen und die Hoffläche ansehnlich gestaltet sein, mit reichlich Grün, Kinderspielplatz und Fahrradhaus. Auch für den Verkehr ergeben sich noch Veränderungen, die Ossietzky-Straße wird etwa auf Höhe der Ampelanlage einen direkten Zugang zur Robert-Koch-Straße erhalten, an der bisherigen Zufahrt will man so Stellflächen gewinnen, die auf dem Innenhof wegfallen.

Ein kleiner Endspurt bleibt also noch, ehe der Bau final abgeschlossen wird, die Beobachtung des „Experiments“ wird danach noch einige Zeit länger durchgeführt.
Angelo Glashagel