Für die Gewerkschaft scheinbar am Wichtigsten:

Kampf gegen Rechtsextremismus

Mittwoch
14.02.2024, 12:12 Uhr
Autor:
psg
veröffentlicht unter:
In einem offenen Brief hatten die Industrie- und Handelskammer Anfang des Monats die Ampel-Regierung und vor allem deren Wirtschaftspolitik in ungewöhnlich scharfer Weise kritisiert. Jetzt bekommen die ostdeutschen Kammern Gegenwind vom DGB...


Sehr geehrte Damen und Herren,
irritiert haben wir Ihren „Offenen Brief des Heringsdorfer Kreises“ zur Kenntnis genommen. Sie konstatieren einen „sich zuspitzenden Dauerkrisenmodus“, befürchten einen „Flächenbrand“ und sehen Landwirte und Teile des Mittelstands „rebellieren“.

Uns stellt sich die Frage, was Sie mit einer derartigen Rhetorik, die an diejenigen erinnert, vor denen Sie mit Ihrem Brief warnen, bezwecken wollen. Zunächst einmal möchten wir daran erinnern, dass die Industrie- und Handelskammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts zu den Parafisci zählen. Ihre Zuständigkeit ist klar geregelt, und sie unterliegt in § 1 Abs. 5 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und
Handelskammern auch Beschränkungen.

Bezugnehmend hierauf möchten wir Sie darauf hinweisen, dass Sie sich aus unserer Sicht mit Ihrem offenen Brief unter anderem in die Belange der Sozialpartnerinnen einmischen. Insbesondere obliegt es allein den Sozialpartnerinnen, Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zu bestimmen. Befremdlich ist aus unserer Sicht auch, dass Sie mit unbelegten Unterstellungen und Mutmaßungen argumentieren.

Sehr deutlich wird Ihre Unzufriedenheit mit der Bundespolitik, Ihre Forderungen sind weniger konkret. So schreiben Sie zum Beispiel, dass Sie „in der nächsten Zeit massiv steigende regulatorische
Anforderungen an Unternehmen, die immer mehr Kosten und Verdruss verursachen“ erwarten. Hierfür führen Sie keinen einzigen Beleg an. Daher scheint der Ruf nach Entbürokratisierung erneut eher die Forderung nach dem Abbau von Schutzstandards für Arbeitnehmer*innen und Umwelt als nach besseren Verfahren zu sein.

Damit kommen wir zum Inhalt Ihrer Ausführungen. Ganz grundsätzlich läuft die von Ihnen beklagte abnehmende „Einbindung verschiedener Interessen“ auf eine einseitige Durchsetzung von Partikularinteressen hinaus. So vertreten Sie mit Ihrer implizit erhobenen Forderung nach „Entlastungen von Unternehmen von Steuern, Abgaben und Arbeitskosten“ ein neoliberal ausgerichtetes Programm, das die Spaltung der Gesellschaft durch eine weitere Umverteilung von unten nach oben weiter vorantreiben würde. Das aber wäre Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten. Ohne jeden Beleg behaupten Sie zudem die Erosion „der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“.

Diese Behauptung ist angesichts der hohen Außenhandelsüberschüsse, die Deutschland Jahr für Jahr erzielt, vollkommen überzogen. Nach den Angaben des Statistischen Bundesamts beläuft sich der Außenhandelsüberschuss im vergangenen Jahr auf 209,6 Milliarden Euro. Das entspricht gut fünf Prozent (!) des Bruttoinlandsprodukts. Als Ausweis mangelnder Wettbewerbsfähigkeit kann dies kaum angesehen werden.

An der Realität vorbei gehen auch Ihre Ausführungen zu „aufgeblähten Sozialleistungen“ und dem „Setzen von Anreizen für Nicht-Arbeit“ – was dann angeblich auch noch von Unternehmerseite finanziert werden müsse. Letzteres ist sachlich nicht richtig: Der größte Teil der Steuern wird von den abhängigen Beschäftigten erbracht, und zwar durch die von ihnen an den Staat gezahlten Lohn- und Verbrauchssteuern. Falsch ist auch Ihre Unterstellung, dass Sozialleistungen je nach Höhe einen Anreiz für „Nicht-Arbeit“ darstellen. Diese Behauptung ist durch zahlreiche empirische Erhebungen widerlegt.

Spätestens seit Feststellung des sehr wirtschaftsliberalen Ifo-Instituts „Arbeit
führt in Deutschland immer zu höheren Einkommen als Nichtstun“, ist klar, dass damit lediglich Ressentiments bedient werden. Dabei ist die übergroße Mehrheit der Erwerbslosen um Arbeit bemüht oder kann aus verständlichen (etwa gesundheitlichen) Gründen keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Arbeit ist nun einmal mehr als Broterwerb, sie bedeutet oft auch soziale Teilhabe und
Anerkennung. Bedenklich ist die Höhe der Sozialleistungen aus unserer Sicht allerdings auch – aber diese fällt angesichts einer von Jahr zu Jahr steigenden Armutsquote nicht zu hoch, sondern zu niedrig aus.

Nach wie vor beträgt der Lohnunterschied zwischen Ost- und Westdeutschland ca. 20 Prozent. Während es unrealistisch ist, dass Beschäftigte Ihrer Mitgliedsunternehmen kündigen, um dann Bürgergeld zu beziehen, ist eine Abwanderung angesichts der niedrigen Einkommen möglich und nachvollziehbar. Das Problem sind die niedrigen Löhne, nicht die Höhe der Sozialleistungen.

Und um noch einen letzten Punkt zu nennen: Wir sehen in dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Schuldenbremse auch ein Problem. Gerade in dieser Situation ist die von Ihnen geführte verkürzte Debatte über die Steuerbelastung von Unternehmen kontraproduktiv. Sie wird den vielschichtigen Strukturproblemen nicht gerecht.

Wesentlich dringlicher ist der Handlungsbedarf bei den Themen Infrastruktur, Fachkräftemangel, Energiewende und -kosten sowie Bildung. Vielmehr zeigt sich aufs Neue: Die Abschaffung oder mindestens eine Reform der Schuldenbremse ist unumgänglich. Die Kreditfinanzierung von öffentlichen
Investitionen, die der künftigen Wirtschaftskraft und dem Wohlstand in unserer Gesellschaft dienen, muss zulässig sein.

Wir teilen nachdrücklich die von Ihnen geäußerte Sorge um die „Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die
demokratische Kultur“. Die DGB-Gewerkschaften stehen geschlossen gegen Rechtsextremismus und menschenverachtende Einstellungen! Die von Ihnen formulierten Vorschläge halten wir jedoch für kontraproduktiv. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird stattdessen durch mehr soziale Sicherheit, mehr Demokratie in Wirtschaft und Gesellschaft sowie die klare Absage an rechtspopulistische Narrative gestärkt.

Trotz unserer kritischen Ausführungen halten wir die Industrie- und Handelskammern für wichtige Institutionen im Staatsgefüge der Bundesrepublik Deutschland. Aber wir würden Ihnen empfehlen, sich auf die Ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben zu konzentrieren.