Betrügerbande griff Briefe und Pakete ab

Der Große Greußener Postraub

Mittwoch
31.01.2024, 17:25 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
In Greußen und Umgebung muss es um die Weihnachtszeit einige enttäuschte Gesichter gegeben haben - rund 2.000 Briefe, darunter viele Weihnachtskarten, fanden ihren Weg nicht in die Briefkästen sondern in den Besitz einer Postmitarbeiterin. Mit drei weiteren Tatverdächtigen wird ihr nun bandenmäßiger Betrug vorgeworfen…

Mehr als 30 Pakete und über 2000 Briefsendungen wurden im Raum Greußen unterschlagen (Foto: agl) Mehr als 30 Pakete und über 2000 Briefsendungen wurden im Raum Greußen unterschlagen (Foto: agl)


Wenn man sich die Geschehnisse, die Staatsanwaltschaft und Polizei heute Mittag in Nordhausen darlegten, einmal in Ruhe auf der Zunge zergehen lässt, ließe sich ohne weiteres ein TV-Drama daraus stricken. Der „Große Greußener Postraub“ könnte der Titel lauten.

Aber beginnen wir von vorne.

Dramatis personae:
  • die Leiterin der Postzustellungszentrale Greußen
  • ein Zusteller, ihr Ex-Ehegatte
  • ein weiterer Zusteller, ihr derzeitiger Partner
  • ein Techniker im Zustellzentrum Erfurt, ein Bekannter der Drei, nicht in das Dreiecksverhältnis eingebunden
  • interne Ermittler der Deutschen Post
  • ein Onlinehändler
  • Beamte der Landespolizei Nordthüringen
  • die Staatsanwaltschaft Mühlhausen


Die Szenerie eröffnet in Greußen, am vergangenen Donnerstag. Ermittler der Deutschen Post observieren einen dringend verdächtigen Mitarbeiter, der Pakete unter der Vorgabe falscher Lieferadressen unterschlagen haben soll. Der Herr ist im Nebenerwerb Discjockey und wie sich zeigen wird, hat er sich über die letzen Monate die passende Ausrüstung - vom Lautsprecher, über Nebelmaschine und Licht bis zum Mischpult - zusammengeklaut.

Bei einem Online-Händler soll der Tatverdächtige Bestellungen mit realen Adressen im Raum Greußen aufgegeben haben, allein die angeblichen Besteller gab es am angegebenen Ort nicht. Das Paket geht Retour, über den Zuständigkeitsbereich des Verdächtigen bei der Post und statt wieder beim Händler zu landen, verschwinden die Pakete im Fahrzeug des umtriebigen DJ’s.

Angefangen hat die Masche, so der Stand der Ermittlungen im Moment, im März vergangenen Jahres. Im Abstand mehrerer Wochen gingen immer wieder Pakete „verloren“. Der betroffene Elektronikfachhändler kontaktierte die Post, die schließlich auf die Unregelmäßigkeiten aufmerksam wurde und zu ermitteln begann. Schließlich wurden auch Polizei und Staatsanwaltschaft hinzugezogen. Vergangene Woche war es dann wieder soweit: der Händler meldete, dass ein ins Muster passendes Paket gen Greußen geliefert werden sollte.

Der Verdacht der Postermittler erhärtete sich, man konnte den Mitarbeiter beim umladen des Kompromats beobachten. Die Polizei stand da schon mit einem Durchsuchungs- und Beschlagnahmungserlass in den Startlöchern. Mit acht Beamten rückte man an, durchsuchte zunächst das Fahrzeug und die Wohnung des Verdächtigen.

Nun führte eins zum anderen. Bei den Durchsuchungen stieß man neben mehr als 30 Paketen auch auf Kartons mit Postkarten und Briefen, etwa 2000 an der Zahl. Ein Großteil der Postsendungen soll von der Leiterin der Zustellungszentrale in Greußen geöffnet worden sein, die mit den zwei Verdächtigen Zustellern liiert war. Da es sich dabei in der Mehrheit um Weihnachtspost handelte, ist anzunehmen, dass sich die Dame widerrechtlich bereichern wollte. Die Tatverdächtige habe angegeben, aus finanzieller Not heraus gehandelt zu haben, erklärte Grit-Möller Lustermann, die zuständige Ermittlerin im Betrugskommissariat. Als Tatmotiv komme aber durchaus auch Gier mit der Möglichkeit zur Umsetzung in Betracht. Auch der zweite Tatverdächtige Zusteller betätigt sich im Nebenerwerb als DJ und soll sich an dem Paketbetrug beteiligt haben. Der Techniker aus Erfurt gehöre zwar nicht im familiären Sinne zu dem Trio, soll sich aber an der Beiseiteschaffung der Pakete beteiligt haben.

Polizei, Staatsanwaltschaft und Post arbeiten bei den Ermittlungen zusammen (Foto: agl) Polizei, Staatsanwaltschaft und Post arbeiten bei den Ermittlungen zusammen (Foto: agl)


Viele Geschädigte
Wie hoch der angerichtete Schaden ist, lässt sich noch nicht beziffern. Allein die Kosten, die der Post durch den Paketbetrug entstanden sind, sollen sich auf rund 10.000 Euro belaufen. Die Technik, die sich die beiden DJ’s ergaunerten ist nicht eben billig, alleine ein beschlagnahmtes Mischpult kostet im Handel rund 3.500 Euro. Zur weiteren Veräußerung war die Beute wohl nicht vorgesehen, die beiden Herren gedachten scheinbar, die Technik in ihrem Nebenerwerb selber zum Einsatz zu bringen. Der Kasten eines illegal erworbenen Mischpultes etwa wurde von den Verdächtigen mit allerlei Stickern verziert, eventuell um den Anschein von längerem Gebrauch vorzutäuschen.

Unbezifferbar ist im Moment auch der Schaden, der den Menschen in und um Greußen entstanden ist, die ihre Post nicht erhalten haben, erklärte die Polizei heute. Der Zuständigkeitsbereich der Verteilerzentrale erstreckt sich über den Ort hinaus bis in den Kreis Sömmerda. Eine Vielzahl der Briefe ist Weihnachtspost, aber auch amtliche Schreiben fanden sich in dem Sammelsurium. Unter anderem habe man in den Postsendungen bereits in Anspruch genommen Gutscheine gefunden, zur höher etwaiger Bargeldbeträge schweigt sich die Tatverdächtige noch aus.

Sachbearbeiterin Franziska Enger zeigt ein beschlagnahmtes Mischpult (Foto: agl) Sachbearbeiterin Franziska Enger zeigt ein beschlagnahmtes Mischpult (Foto: agl)


Die Post habe bereits umfangreiche Zuarbeit geleistet und sei bereit, die Auswertung der Lieferwege und die Rekonstruktion des Falles nach Kräften zu unterstützen. „Die Post hat gute Systeme, um den Weg von Paketen und Briefen nachzuverfolgen, dass muss nun alles im Einzelnen ausgewertet werden. Beschlagnahmt wurden auch die Mobiltelefone der Verdächtigen, die ebenfalls ausgewertet werden müssen. Das wird viel Kleinarbeit und für uns ist das nur ein Fall von vielen“, sagt Ermittlerin Lustermann.

Fest steht: die Vermögens- und Fälschungsdelikte haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Musste das Betrugskommissariat vor drei Jahren noch rund 750 Fälle bearbeiten, liegt man aktuell bei etwa 1.200 pro Jahr, erläuterte der Leiter der Nordthüringer Kriminalpolizei, Detlef Grabs. Personell habe man die Zahl der eingesetzten Kollegen entsprechend erhöht, trotzdem sei die Verfahrensflut kaum zu stemmen. Eigentlich sollte man die mit 15 Beamten eindämmen, durch eine weitere Sonderkommission und die saisonbedingten Ausfälle liegt man im Moment aber deutlich darunter. Knapp 500 Fälle hat man aus dem vergangenen Jahr noch „mitgenommen“, eigentlich bräuchte man die doppelte Zahl an Ermittlern, um mit allem fertig zu werden.

Ähnlich aber nicht ganz so arg sehe die Situation in der Justiz aus, ergänzte die zuständige Staatsanwältin aus Mühlhausen, Anna Merker. Auch hier sehe man die „Ruhestandswelle“ auf sich zu rollen, man sei aber dabei, aktiv gegenzusteuern.

Den Verdächtigen werden nun bandenmäßiger Kreditbetrug und Verstöße gegen das Post- und Fernmeldegeheimnis vorgeworfen. Vorstrafen liegen nicht vor, wie das Strafmaß ausfallen könnte ließe sich noch nicht sagen. Das Gesetz sieht ein bis zehn Jahre Haft vor. Festgesetzt wurden die vier Verdächtigen nicht, da man keinen Haftgrund sehe, „es gibt hier nichts mehr zu verdunkeln“, so Kripo-Chef Grabs. Bei Verfahren im Postwesen habe man es in der Regel mit Einzeltätern zu tun, erklärten die Ermittler weiter, einen Fall wie diesen habe es in Nordthüringen in den letzten 30 Jahren nicht gegeben.

Die gute Nachricht in all dem: nicht alle Briefe wurden auch geöffnet und da, wo sich die eigentlichen Empfänger ausfindig machen lassen, soll die geklaute Post noch versandt werden. Und dann endet das Drama für den einen oder anderen vielleicht doch noch mit einer verspäteten Weihnachtsüberraschung.
Angelo Glashagel