Kommentiert

Die Sorge vor der Neuen Rechten

Freitag
26.01.2024, 15:27 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
In ganz Deutschland war zuletzt viel los auf den Straßen, für den kommenden Sonntag sind auch in Nordhausen wieder Demonstrationen angemeldet. Unter dem Motto "Nie wieder ist jetzt" will man gegen den Rechtsruck im Land Gesicht zeigen. Doch woher kommt die Sorge vor der Neuen Rechten eigentlich? Ein paar Gedankengänge...

Demonstration in Nordhausen, Symbolbild (Foto: agl) Demonstration in Nordhausen, Symbolbild (Foto: agl)


Differenzierung und Komplexität stehen in der öffentlichen Debatte in diesem unserem Zeitalter nicht sonderlich hoch im Kurs. Die Wahrheit ist ein Netz des Faktischen in dem man die Übersicht in Eile leicht verlieren kann, und so leidet der allgemeine Diskurs unter dem Zwang zur Verkürzung. Wenn keine schmissige Schlagzeile bei heraus kommt, wird’s nichts mit dem „trenden“.

Aktuelles Fallbeispiel: der „Geheimplan gegen Deutschland“, das nicht ganz so geheime, konspirative Treffen neurechter Kräfte zur „Remigration“ nahe Potsdam. Die Wellen sind hoch geschlagen, „Wannsee 2.0“ heißt es auf der einen Seite, nur ein Stammtisch wie es ihn zu hunderten im ganzen Land gibt, beschwichtigt die Gegenseite. Die Wahrheit liegt wohl wieder einmal in der Mitte. Der direkte, historische Vergleich mit der Wannseekonferenz drängt sich schon ob der geographischen Nähe auf - nur eine knappe halbe Stunde Autofahrt trennen beide Orte voneinander, etwas mehr als 14 Kilometer. Auch inhaltliche Parallelen lassen sich ziehen, Umfang und Konsequenz beider Treffen liegen, nüchtern betrachtet, deutlich weiter auseinander. Zwischen „Remigrations“-Fantasien und „Endlösung“ liegen dann doch noch einige nicht ganz triviale Schritte.

Disclaimer
Bevor nun manchen Leser der Kamm ob etwaiger Verharmlosung schwillt - ruhig Blut, bitte, zur Einschätzung der „Lehnitzsee-Konferenz“ kommen wir noch. Zuvor müssen aber ein paar Dinge vorangestellt werden. Erstens möge das der AfD zugeneigte Publikum bitte pro forma zur Kenntnis nehmen, dass sie hier nicht samt und sonders in die viel beschworene „rechte Ecke“ gestellt werden sollen. Sie sind nicht alle Nazis, aber es gibt tonangebende Kräfte innerhalb der AfD und ihrem Umfeld, die man mit Fug und Recht als Neonazis bezeichnen muss. Weiterhin ist nicht automatisch jede Person, die sich gegen die rechtsextremen Tendenzen in diesem Land stellt, ein arbeitsloser Genderstudent und Staatszersetzer der die Erstgeborenen für den Kampf gegen den Klimawandel am Habeck-Schrein opfern würde. Die Gemengelage ist vielschichtig, hüben wie drüben.

Zweitens muss festgestellt werden, dass es leider eine ganze Reihe an Gründen gibt, in diesen Tagen seinem Unmut Luft zu machen, im Fokus stehen sollen an dieser Stelle aber vor allem die Proteste gegen den Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Drittens ist es durchaus möglich, mehrere Positionen in der Brust zu tragen. Nur weil man gegen das Eine ist folgt nicht, dass man gegen das Andere sein muss. Sie können auf der Seite der Bauernproteste stehen und sich trotzdem Sorgen um den Aufstieg rechten Gedankenguts machen, sie können gegen die AfD protestieren und gleichsam mit Scholz, Lindner und Co hadern, können die Migrationspolitik kritisch betrachten und Massendeportationen ablehnen - alles ohne größere kognitive Dissonanzen möglich. Menschen und ihre Meinungen, Ansichten und Regungen sind komplex, nicht binär.

Der Versuch einer Einschätzung
Ebenso muss zur Kenntnis genommen werden, dass die Umtriebe der extremen Rechten und ihr Vorstoß in die Mitte der Gesellschaft einer Menge Leute in diesem Land große Sorgen bereitet. Die Wiederrum stoßen in den einschlägigen Kreisen scheinbar auf Unverständnis. Was ist schon dabei wenn ein paar Damen und Herren, ganz privat, über ihre persönlichen Ansichten zur Migrationsdebatte reden? Und überhaupt war das alles ja auch nicht geheim, der Herr Sellner aus Österreich - einer der führenden Köpfe der Neurechten „Identitären Bewegung“ - hat das ja alles in Buchform veröffentlicht, für jeden einsehbar. Nichts geheimes dran. Nichts schlimmes dran. Der neuen Rechten geht es doch nur um die illegale Migration. Und wirklich was zu sagen hat da auch keiner, also keine Sorgen bitte, hier gibt es nichts zu sehen, eine infame Kampagne der Systempresse, mehr nicht. Weiter gehen, weiter gehen.

Derlei Argumentation lässt sich im Netz ohne weiteres finden und bei manchem Zeitgenossen wird sie wohl auf fruchtbaren Boden fallen. Die Medien sind gesteuert, die Bilder gefälscht, die Demonstranten „Schlafschafe“, die den Schuss noch nicht gehört haben, echte Nazis gibt es nur noch im Altersheim, wenn überhaupt und das waren auch gar keine Rechten, sondern Linke, weil es heißt ja „NationalSOZIALISMUS“, du links-grün versiffter Faschist, du.

Wie weit wird es gehen?
Etwas decorum in der Sache ist in der digitalen Weite deutlich schwerer zu finden als solche Aussagen, oder, wie schon erwähnt, die Differenzierung. Betrachten wir die Sache ehrlich, dann war das tatsächlich keine neue „Wannseekonferenz“. Das man am extrem rechten Rand nach Umsturz und radikaler Veränderung strebt ist nichts Neues, es ist nicht einmal neu, dass man es offen sagt. Faktisch ist hier nicht viel mehr zu greifen.

Der Einschub, der so viele Menschen auf die Straße treibt, ist aber kein faktischer, sondern ein gedanklicher: es war noch keine neue „Wannseekonferenz“. Aber für einen Probelauf im Kleinen reicht es aus. Gepaart mit den hohen Umfragewerten der AfD, der bröckelnden „Brandmauer“ der Christdemokraten, der Teilnahme der „Werteunion“, führenden Köpfen der „Alternative“ und rechtsextremen Vordenkern mischt sich der nächste Gedanke in die Melange: Wie weit wird es gehen?

Das ist die zentrale Frage, die zentrale Sorge. Zumindest für mich und wenn die sehr realen Bilder der letzten Tage ein Maßstab sind, dann bin ich wohl nicht allein. Sollten Sie, liebe Leser, wirklich nicht verstehen, warum gerade jetzt gegen die AfD und das, wofür sie für viele Menschen steht, demonstriert wird, dann lassen sie sich die folgenden Zeilen gut durch den Kopf gehen.

Was passiert, wenn die extreme Rechte wirklich an die Schalthebel der Macht gelangt? Wo hört die „Rückabwicklung der Migration“ auf? Macht man bei Asylbewerbern, Ausländern mit Bleiberecht und „nicht assimilierten Staatsbürgern“, wie es in den „Masterplan“ Gesprächen umrissen worden sein soll, wirklich Halt? Es ist bei weitem nicht der erste Mal, dass man laut über„Remigration“ nachdenkt, dass Thema ist groß in Mode in den einschlägigen Kreisen und, laut dem „Correctiv“ Bericht, auch in der Wahrnehmung der Teilnehmer das eine große Thema, auf das man sich in "der Bewegung" einigen kann.

Der Thüringer AfD Chef, Björn Höcke, schrieb schon vor Jahren es werde „ein groß angelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein. Und bei dem wird man, so fürchte ich, nicht um eine Politik der „wohltemperierten Grausamkeit“, wie es Peter Sloterdijk sagte, herumkommen. Das heißt, dass sich menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden.“ Im selben Traktat sinniert Höcke davon, dass man „leider ein paar Volksteile verlieren werde[n]“. Die Zahlen liefert der AfD Kandidat für die anstehende Europawahl, Maximilian Krah: „[…]bleibt die Frage, was mit den dann im Land befindlichen Menschen mit Migrationshintergrund geschehen soll. Das werden in Deutschland prognostisch über 25 Millionen Menschen sein, davon deutlich über 15 Millionen deutsche Staatsangehörige.“

Es gibt noch mehr solcher Zitate und Passagen, nicht nur von Höcke, Krah und Sellner. Was die neue Rechte vorhat, wird nicht geheim gehalten, für Jeden der will, sind die Aussagen nachlesbar. Man kleidet die Sache freilich sprachlich so, dass sie nicht zu sehr an die alten Vorbilder erinnert - „Deportation“ weckt andere Assoziationen als „Remigration“ und so ist Ersteres wohl auch bei der besagten Konferenz tatsächlich nicht gefallen. Und man betont, legale Wege zur Realisierung finden zu wollen. Was „legal“ ist, ließe sich natürlich auch neu definieren, wenn man erst einmal an den richten Schalthebeln sitzt. Das in deutschen Landen de jure alles seine Ordnung hat, das war auch in der Vergangenheit schon wichtig .

Die Frage, die offen bleibt, ist: Wie weit gehen solche Gedankengänge wirklich? Wer sind die Volksteile, die man da zu verlieren bereit ist? Was bedeutet „verlieren“ hier überhaupt? Ab wann gilt jemand als ausreichend migrantisch um in die engere Auswahl der Remigrationsfantasien zu geraten? Erste Generation? Zweite? Dritte? Wer definiert, wann man als „nicht-assimilierter Staatsbürger“ gilt?

Diese Gedanken kommen nicht von ungefähr, nicht allein aus der Assoziation zum Geschichtsunterricht oder den Debatten im Netz, sondern aus dem direkten Lebensumfeld. So hat AfD-Chef Höcke im vergangenen Jahr angekündigt, dass er von Inklusion an den Schulen des Freistaates nichts hält und das „Ideologieprojekt“ beendet werden müsse. Muss ich also damit rechnen, dass der Nachwuchs in meiner eigenen Familie in einem „blauen“ Thüringen bald die weiterführende Schule nicht mehr besuchen darf? Bleibt es dann dabei, oder kommt der nächste Schritt zurück in dunklere Tage? Der Ausschluss vom Leben für unerwünschte Elemente des gesunden Volkskörpers? Andere Teile der Familie haben syrische Wurzeln. Wer muss gehen, wenn eine rechte Mehrheit im Land ihre Pläne wahr macht? Dürfen die hier geborenen Kinder bleiben oder ist das schon zu viel Migrationshintergrund? Wie wird es Staatsbürgern gehen, die Ahmed oder Mustafa heißen, wenn die schöne, reine Patriotenwelt in vollem Schwung ist? Waren Sie mal bei der Linken? An Demos teilgenommen? Die Grünen gewählt? Sozialarbeit im Migrationsbereich gemacht? Im Ehrenamt beim Spracherwerb geholfen? Mit den falschen Leuten Bier getrunken? Ab wann reicht’s zum Volksverräter?

Wie geht es mit mir selbst weiter? Was man in der extremen Rechten von Pressevertretern hält, die nicht auf Linie liegen, ist kein Geheimnis. Auch darüber redet man offen.

Bei uns bekannten Revolutionen wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverlage gestürmt und die Mitarbeiter auf die Straße gezerrt. Darüber sollten die Medienvertreter hierzulande einmal nachdenken, denn wenn die Stimmung endgültig kippt, ist es zu spät!

Diesen kleinen Text hat eine AfD Fraktion aus Hessen Ende 2019 abgesetzt. Wer ein bisschen sucht, der findet am rechten Rand mehr solcher Aussagen, auch deutlichere, explizitere Drohungen. Etwas jüngeren Datums: „Schmutzwerfer und linke Extremisten, die unter dem Deckmantel des Journalismus ihre Propaganda verbreiten, müssen in ihre Schranken gewiesen werden!’. Das ging nach dem „Geheimplan“-Artikel über die Netzwerke der AfD. Gehöre ich da jetzt auch dazu? Wie geht das weiter wenn die Damen und Herren dann einmal das Sagen haben? Besiegele ich mit diesen Zeilen schon mein Schicksal oder bekomm ich dann einfach nur öfter mal ein Knöllchen, so als Systemschreiberling? Ein bisschen Schikane, alles ganz legal, versteht sich. Vielleicht doch Berufsverbot? Abschiebung, weil nach neuer, „maßgeschneiderter“ Rechtslage nicht ausreichend assimiliert?

Geben wir noch ein paar Munitionsenthusiasten, Anhänger des lang verblichenen Kaiserreichs, bewaffnete Staatsbedienstete von fragwürdiger Gesinnung, erlebnisorientierte Wehrsportler und sonstige frei drehende Elemente am rechten Rand hinzu, eine allgemeine Prise grundsätzlicher Weltkrise nicht zu vergessen, dann kommt der ganze Sorgentopf erst so recht zum Köcheln. Tja. Der Urgroßvater ist für die Legion Condor geflogen, vielleicht gibt das ja Bonuspunkte.

Gut, das war jetzt etwas überspitzt. Panikmache und Übertreibung wird man mir auch ohne diese Zeile vorwerfen, so sicher wie das Amen in der Kirche, der Vorwurf niederträchtigster Hetze gegen die wahren Demokraten ist sicher auch nicht weit. Allein, dies sind tatsächlich Gedanken, die mir in diesen Tagen durch den Kopf gehen und nicht zum ersten Mal. Gedanken, die mich ernsthaft überlegen lassen, wie es für mich und die meinen in diesem Land weitergehen wird. Und ich denke nicht, dass ich damit alleine bin. Um es in der Sprache populärer Politik auszudrücken: Die Bürger machen sich Sorgen. Und diese Sorgen muss man ernst nehmen.

Wie weit wird man gehen? Wenn die Wählerschaft in diesem Jahr an die Urnen gerufen wird, sollte sich jeder selbst diese Frage stellen. Eine ganze Menge Leute, vermute ich, hoffe ich, haben dabei Martin Niemöllers berühmte Zeilen im Hinterkopf. Sind die Hürden erst einmal aus dem Weg geräumt, kann man sehr weit gehen.

Heißt das also, dass jedes Parteimitglied der AfD mit Schaum vor dem Mund danach giert sofort und gleich jeden auszuweisen, der nicht bis in die fünfte Generation alabasterweiß, blond und blauäugig ist? Nein, natürlich nicht. Wir erinnern uns an die Voranstellung weiter oben und bleiben zivilisiert. Unbestreitbar gibt es aber Elemente, die in der Partei ein Vehikel sehen, rechtsextreme Weltentwürfe in Deutschland wieder aufleben zu lassen. Bisher gelingt es der „Alternativen“ nicht glaubhaft zu machen, dass man diese Kreise im Griff hat. Im Gegenteil, Episoden wie die „Lehnitzsee-Konferenz“ schüren eher die Befürchtungen, dass hier etwas ganz und gar gefährlich falsch läuft. Deswegen gehen Tausende auf die Straße, im ganzen Land. Am Sonntag wird man sehen, ob sich auch die Nordhäuserinnen und Nordhäuser sorgen, oder der kurze Schreck aus dem letzten Herbst im Winterschlummer verweht ist.
Angelo Glashagel, privat