Hochwasserschutz für die Goldene Aue

Was lange währt kommt viel zu spät

Donnerstag
25.01.2024, 19:19 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
In Windehausen kam man heute zusammen, um über den Hochwasserschutz entlang der Zorge zu sprechen. Die Pläne, dass Wasser in Zukunft in Zaum zu halten, sind ausdifferenziert, kommen für die Windehäuser aber ein paar Wochen zu spät. Und sie stoßen nicht auf vorbehaltlose Gegenliebe…

Die Sandsäcke sind aus Windehausen noch nicht verschwunden (Foto: agl) Die Sandsäcke sind aus Windehausen noch nicht verschwunden (Foto: agl)


Die Mühlen der deutschen Bürokratie, sie mahlen bekanntermaßen langsam. Mitunter, so scheint es, ist selbst ein Gletscher schneller. Sechzehn Jahre (in Zahlen: 16) ist es her, dass man die ersten Gespräche zum Hochwasserschutz für Windehausen geführt hat. Vom Erstkontakt bis zum Beginn konkreter Planung gehen acht Jahre ins Land. Noch einmal acht und wir schreiben den Januar 2024, vor Ort Termin, es gibt heute immerhin Konkretes zu besprechen: wenn man sich einig wird, kann nächstes Jahr gebaut werden. Vor dem Sportlerheim liegen da noch die Sandsäcke, mit denen man vor ein paar Wochen vergebens versucht hat, das Dorf vor dem Wasser zu retten.

Um die glaziale Geschwindigkeit der Behörden und Planer soll es heute aber gar nicht gehen, sondern darum, was genau geschehen muss, damit das Wasser den Ort nicht noch einmal in einen See verwandelt. Die Datenbasis dafür ist, zum Leidwesen der Windehäuser muss man wohl sagen, mehr als solide. Die in den letzten Jahren erarbeiteten Prognosen und Pläne sind nahezu deckungsgleich mit der Realität, dass haben die Weihnachtsfeiertage den Damen und Herren vom Fach „in situ“ bestätigt.

Tief blau ist die Überschwemmungskarte des Ortes, gelingt der Ausbau der Schutzmaßnahmen, zeigen die Pläne an gleicher Stelle nur mattes Pastell - der Unterschied zwischen überfluteten Straßen und dem einen oder anderem feuchten Keller. Und so soll es gelingen:
  • Am Krummbach im Nordwesten wird die vorhandene Verwallung verstärkt, breiter und höher ist die Devise
  • Von dort gen Osten abbiegend folgt ein Wirtschaftsweg, der erhöht werden muss, außerdem will man den Mühlgraben weiter in das dortige Feld hinein verlegen
  • Im nächsten Teilabschnitt schließt die Kleingartenanlage des Ortes an, hier ist auf rund 550 Metern Länge eine Deichanlage mit 3,3 Metern Höhe geplant, der kreuzende Mühlgraben könnte im Notfall abgeschottet werden
  • Weiter gen Westen will man eine Hochwasserschutzwand aus Beton anschließen, zwei notwendige Durchgänge könnten mit „mobilen Elementen“ bei Bedarf verschlossen werden
  • Am kreuzenden Krummbach will man ein Absperrbauwerk errichten, um die Entwässerung des Ortes sicher stellen zu können sollen außerdem zwei Pumpen zum Einsatz kommen
  • Ein weiterer Deich schottet auch den Rest der Ortschaft ab, 125 Meter lang und 1,75 Meter hoch
  • Im Südosten findet sich ein weiterer Wirtschaftsweg, der ebenfalls erhöht werden soll
  • Auf Höhe des Kieswerkes soll die Straße hingegen abgesenkt werden, um ein Aufstauen des Wasser zu verhindern und die Entwässerung in Fließrichtung der Zorge zu ermöglichen
  • Weitere „Geländemodellierungen“ sind entlang der Bahnstrecke am anderen Zorgeufer und der Autobahnbrücke vorgesehen
  • Zu guter Letzt braucht es für all das Ausgleichsflächen für die Eingriffe in Landschaft und Gewässer, die an der Krummbachmündung ausgeführt werden könnten

Die Verfahren, die all das mit Daten untermauern sind hinreichend kompliziert und die Verantwortlichen nehmen sich vor dem zahlreich erschienen Publikum viel Zeit, die Grundlagen darzulegen, von geohydraulischer Modellierung und artesisch gespanntem Grundwasser bis zu Genehmigungsverfahren, DIN-Normen, Berg- und Naturrecht.

Zur Anhörung kam man heute im Sportlerheim zusammen (Foto: agl) Zur Anhörung kam man heute im Sportlerheim zusammen (Foto: agl)


So sind zum Beispiel die Auswirkungen zukünftigen Kiesabbaus und die Schaffung weiterer Kiesteiche mit in die Berechnungen eingegangen, versichern die Fachleute. Grundlage der Planungen ist der „HQ 100“, ein statistischer Wert der den höchsten anzunehmenden Wasserstand im Laufe eines Jahrhunderts annimmt. Bei dem Hochwasserereignis in 2008, welches den Stein erst ins rollen brachte, maß man 70 Kubikmeter Durchfluss pro Sekunde. Der statistische Mittelwert für ein „Jahrhundertereignis“ liegt an der Zorge im Moment bei 122 Kubikmeter, das Weihnachtshochwasser brachte es in der Spitze auf 118 Kubikmeter. In der Planung packt man im Hochwasserschutz üblicherweise besser noch eine Schippe mehr drauf, die Anlagen sollten in Zukunft also mehr abfangen können, als den aktuellen HQ 100. So denn alles so kommt, wie man sich das denkt.

Das Vorhaben füllt inzwischen mehrere Aktenordner (Foto: agl) Das Vorhaben füllt inzwischen mehrere Aktenordner (Foto: agl)


Viel Zweifel vor Ort
Denn so ganz vertrauen mag man der angepriesenen Wirksamkeit der vorgestellten Maßnahmen in Windehausen nicht. Der Vorwurf steht im Raum, dass vor allem die Landwirtschaft rund um den Ort Flächen abtreten muss und Abstriche zu machen hat, während der Bergbau von jeder Konsequenz verschont wird. Zwei Betroffene haben ihren Anwalt gleich mitgebracht. Befürchtet wird unter anderem, dass sich die Schutzmaßnahmen unter normalen Bedingungen negativ auf die Grundwasserlage auswirken könnten, im Ernstfall aber kaum zu Verbesserungen führen würden. Das (Grund-) Wasser findet seinen Weg nach oben, auch wenn der Kanal ein paar Meter weiter weg ist als heute, so das hier etwas verkürzte wiedergegebene Argument. Dem widersprachen die Planer nicht in Gänze, das Grundwasser werde immer ein Problem bleiben. Die Maßnahmen sollen dafür sorgen, dass man in Windehausen im Fall der Fälle nur nasse Keller hat, anstatt überschwemmter Straßen.

Bald volljährig
Über mehrere Stunden zog sich die Anhörung heute bis in den späten Nachmittag hinein, an Argumenten und Gegenargumenten mangelt es nicht. Bürokratisch minutiös und sauber geführt samt Wortprotokoll wird das Treffen zumindest ein weiterer Eintrag in der Chronik des Vorhabens. Und die wird man noch, mindestens, um ein Flurbereinigungsverfahren samt Flächentausch ergänzen, ehe die Bagger rollen und welche Hürden und Fallstricke hier noch warten, kennt man zur Genüge aus dem Radwegebau. So denn alles ohne Verzögerung vonstatten gehen sollte, könnten die Bagger 2025 rollen. Mit einer avisierten Bauzeit von guten zwei Jahren wäre das Projekt Hochwasserschutz dann volljährig. Die Windehäuser müssen derweil darauf bauen, dass sich die „Jahrhundertereignisse“ nach dem Dezember-Desaster an den Zeitplan halten. Ehe das Dorf konkrete Schutzmaßnahmen sieht, wird noch viel Wasser die Zorge hinabfließen. Hoffentlich nicht zu viel.
Angelo Glashagel