Fassadengestaltung an der Kranichstraße

Nordhausen und seine künstlerischen Werke (8)

Sonntag
21.01.2024, 12:03 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Nach der starken Zerstörung Nordhausens Anfang April 1945 durch britische Bomber wurden in Friedenszeiten zuerst das Stadttheater und die St.-Blasii-Kirche wieder aufgebaut, als Großprojekte folgten das Alte Rathaus und das neue Filmtheater in den 1950er Jahren...

Es galt aber auch, im Stadtzentrum die zerstörten Straßenzüge wieder entstehen zu lassen. Ab 1950 galt in der DDR bei Neubauten das Anbringen von „Kunst am Bau“ als notwendig, um Lebendigkeit ins Straßenbild zu bringen, wofür ca. 2 Prozent der Bausumme ausgegeben werden sollte. In Nordhausen war man dabei auch dank des Architekten Friedrich Stabe gut dabei, so besitzt die Stadt eine stattliche Anzahl davon in solider Qualität.

Ansicht des Erkers am Eckhaus Engelsburg/Kranichstarße mit den Sgrafitto-Arbeiten von Irmala Hadelich-Nauck  (Foto: H.Kneffel) Ansicht des Erkers am Eckhaus Engelsburg/Kranichstarße mit den Sgrafitto-Arbeiten von Irmala Hadelich-Nauck (Foto: H.Kneffel)

Es lohnt sich, einen genauen Blick auf das Eckhaus Kranichstraße/Engelsburg zu richten. Unten sind verschiedene Geschäfte eingerichtet mit ihren Schaufenstern, wendet man die Blicke nach oben, so entdeckt man einen über zwei Etagen reichenden Erker, in dem künstlerische Werke die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Diese Kleinodien sieht man besonders gut von der gegenüberliegenden Seite.

Im Sommer 1957 wurde Irmala Hadelich-Nauck aus Dessau beauftragt, für den Erker in der Kranichstraße künstlerisch tätig zu werden. Sie war Grafikerin, Illustratorin und auch Autorin. Auf die Welt kam sie am 26. September 1923 in Wolfen, studierte an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Wilmersdorf bei den anerkannten Künstlern Karl Hofer und Georg Tappert. Beide vertreten die Kunstrichtung des Expressionismus. Tappert heiratete in zweiter Ehe Elisabeth Foerstemann, 1901-1929, die er vielfach malte. Sie entstammt der bekannten Familie Förstemann aus Nordhausen. Irmala Nauck absolvierte in Bürgel in Thüringen noch eine Töpferlehre, lebte seit 1950 als freischaffend in Dessau und war mit dem Bildhauer Wilhelm Hadelich verheiratet.

Erker-Gestaltung mit Sagen- und Märchenmotiven (Foto: H.Kneffel) Erker-Gestaltung mit Sagen- und Märchenmotiven (Foto: H.Kneffel)



Erkerfront mit Brockenhexe und Federvieh (Foto: H.Kneffel) Erkerfront mit Brockenhexe und Federvieh (Foto: H.Kneffel)


In Nordhausen wollte man an den Neubauten nahe der Altstadt volkskunstartige Motive gestaltet wissen. Sie wählte aus dem Sagen -und Märchenschatz des Harzes z. B. „Die Spinnerin von Arnstein“ aus, „Die Wunderblume aus dem Selketal“, und den “Wassermann“. Eine kesse jugendliche Brockenhexe, winkend auf dem Besen reitend, durfte nicht fehlen. Als Tiere treten der Auerhahn und der bekannte Hahn für die eierlegenden Haushühner, kräftige Rufe ausstoßend, mit Blütenmotiven auf.

Die Künstlerin bediente sich in Nordhausen beim Auftragen der Motive in den einzelnen Segmenten der Sgraffito-Technik. Da werden verschiedene Putzschichten aufgetragen und anschließend in noch feuchtem Zustand nach einer Vorlage stellenweise entfernt. Man muss zügig und genau arbeiten, da Putz ein sehr schwierig zu verarbeitendes Material ist, da er schnell trocknet und Korrekturen dadurch nicht möglich sind.

Erker mit Kunst in der Kranichstraße, entstanden 1957 (Foto: H.Kneffel) Erker mit Kunst in der Kranichstraße, entstanden 1957 (Foto: H.Kneffel)

Frau Hadelich-Nauck arbeitete mit ihrem Mann Martin zusammen, der Bildhauer war. Sie benötigten nur fünf Tage. An den Seiten des Erkers sieht man z. B. noch eine Spinnerin mit Spinnrocken und Handspindel, eine Gärtnerin mit Sonnenblume und Blumenkorb. Insgesamt wurden zehn Segmente bildkünstlerisch gestaltet. In ihrer langen künstlerischen Schaffenszeit schuf sie 25 großflächige farbenfrohe keramische Wandbilder. Ihre größte Arbeit entstand in Halle-Neustadt mit „Die Gaben der Völker“. In den letzten Jahren trat sie vor allem als Illustratorin von Büchern auf, die sie mit Scherenschnitten und dekorativen Linolschnitten ausstattete. Sie starb mit 93 Jahren 2017 in Dessau.
Heidelore Kneffel