Gipsschnitte von 1954, für das Filmtheater ausgeführt

Nordhausen und seine künstlerischen Werke, 6. Teil

Sonntag
07.01.2024, 16:38 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Susanne Kandt-Horn, 1914 bis 1996, die die von mir vorgestellten zwei künstlerischen Werke für Nordhausen schuf, wohnte seit 1954 auf der Insel Usedom in dem Künstlerdorf Ückeritz. Sie lebte dort mit ihrem zweiten Mann, dem Künstler Manfred Kandt, der aber bereits 1992 gestorben war...

Als ich sie 1994 in ihrem geschmackvoll eingerichteten Anwesen besuchte, war sie erfreut, aus ihrer frühen Künstlerschaft etwas zu erfahren. In einem der Zimmer hing das großformatige Ölbild „Der gerechte Paris oder die Verhinderung des trojanischen Krieges“ von 1986. Ihrer Vorliebe für antike Themen war sie also treu geblieben, allerdings hatte sich ihre Bildsprache hin zu einer festen Konsistenz, einer kräftig geschlosseneren Umrissform gewandel, für die sie dann bekannt wurde. Von den beiden gibt es in Nordhausen Wandbilder, von ihr also zwei Gipsschnitte im vormals Filmtheater der „Neuen Zeit“ benannten Neubau von 1953-55, von ihrem Mann ein Wandbild im Treppenhaus der ehemaligen Stadtterrasse „Der Harz“ von 1960/61.

Susanne Kandt-Horn im Juli 1994 in ihrem Haus in Ückeritz (Foto: H.Kneffel) Susanne Kandt-Horn im Juli 1994 in ihrem Haus in Ückeritz (Foto: H.Kneffel)

Susanne war 1914 als Tochter eines Geschichtsprofessors und Kustos der Wartburg in Eisenach geboren, sie hatte noch drei Brüder. Ihre Mutter war eine geborene Kürschner. Unter diesem Namen wurden seit 1870 Nachschlagewerke herausgegeben. Beide Eltern spielten ein Instrument, man sang fast täglich, spielte gern Theater und übte sich im „Wettzeichnen“. Von ihrem Haus im Hörseltal mit Garten, in dem eine Kopie einer antiken Statue, die Hymnenmuse „Polyhymnia“ stand, sah man die Wartburg. Der Bezug zur Antike prägte ein Leben lang auch ihre Bildfindungen. Die junge Frau heiratete im Krieg, es wurden zwei Kinder geboren, der Mann fiel. Als Susanne Kandt-Horn schuf sie 1954 ziemlich am Anfang ihrer Künstlerlaufbahn zwei Gipsschnitte für das Nordhäuser Filmtheater.

Kino Nordhausen Zeichnung Stabe ca.1954 (Foto: H.Kneffel) Kino Nordhausen Zeichnung Stabe ca.1954 (Foto: H.Kneffel)

Als 1949 die DDR gegründet worden war, legte man auch fest, auf welche kulturellen Traditionen sie sich beruft. Der Klassizismus, deren Hauptvertreter die Dichter Goethe und Schiller waren, fußte vor allem auf der antiken griechisch-römischen Kultur, die sich etwa um 800 v. Ch. im Mittelmeerraum herausbildete. Unter den Römern verbreitete sich die antike Zivilisation bis nach Mittel- und Nordwest- Europa. In der griechischen Mythologie sind die neun Musen, die Schutzgöttinnen der Künste, wichtig. Zeus war ihr Vater, Mnemosyne als Göttin der Erinnerung, die Mutter. Jede Muse hatte ihr ureigenes Wirkungsgebiet, z.B. Poesie, Musik, Tanz, die Rhetorik, Philosophie, Geschichte, Astronomie.

Blick auf die Bühne des Filmtheaters mit dem Gipsschnitt „Musik“ (Foto: Archiv H. Kneffel) Blick auf die Bühne des Filmtheaters mit dem Gipsschnitt „Musik“ (Foto: Archiv H. Kneffel)

Wenden wir uns der „Musik“ auf der rechten Seite der Vorführbühne zu. Die zwei Figuren sind überlebensgroße Gipsschnitte, wirken beschwingt, sind eng miteinaner verbunden, sind anikisierend empfunden. Die weibliche Figur hält in den erhobenen Händen eine Leier, die Lyra, ihr Symbol. Sie neigt ihren Oberkörper und ihr Gesicht einem jungen Mann zu, ihre Haare sind zu einem Knoten zusammengefasst. Der Jüngling mit kurzem Haarschopf blickt sie gleichermaßen an und spielt die zweiteilige Panflöte. Beide sind barfuß und in weichfließende Gewänder gehüllt, die bei ihr die Beine durchschimmern lassen. Besonders ihr Körper wiegt sich im Takt der Musik und hebt einen Fuß, als wolle sie zu einem zierlichen Tanzschritt ansetzen. Eines seiner Beine ist angewinkelt, das zweite ausgestreckt, so dass er sicher musizierend vor ihr sitzen kann. Susanne Kandt-Horn hat eine einprägsame Allegorie der Musik erfunden.
Auch das zweite jugendlich Paar auf der linken Seite der Bühne stellt eine anmutige Gemeinschaft dar: Die Figurengruppe Tanz. Vor einer sich in Tanzstellung befindlichen weiblichen Figur kniet ein junger Mann auf seinem linken Bein. Das zweite steht vor dem unteren Rockteil der Frau. Er hat wie sie seine Arme ausgebreitet, so dass er wohl gleich aufstehen wird, um sich dem Tanzen zu widmen. Beider Gesichter sind sich zugewandt. Um den linken Arm der Frau windet sich ein Schal, der durch ihre Bewegung in der Luft flattert. Das Oberteil ihres Gewandes ist so fein gewebt, dass ihre Brüste durchschimmern. Der bis zu den Füßen reichende Rock zeigt sich in einer Plissierung. Das Haar hat sie offen.

Der Jüngling trägt über einem Hemd einen weichfallenden Umhang, sein kurzes Haar wird von einem Reif zusammengehalten. Beide haben gebundene Sandalen an den Füßen.Die Künstlerin Susanne Kandt-Horn hat Nordhausen zwei anmutige jugendliche Paare hinterlassen, die, so möchte ich hoffen, sichtbar in dieser Architektur verbleiben werden.
Heidelore Kneffel