Bodo Schwarzberg vs. Landschaftspflegeverband

Kritik an Hotspot-Broschüre (Teil 1)

Sonnabend
06.01.2024, 12:18 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Der Landschaftspflegeverband Südharz-Kyffhäuser (LPV) gab Ende 2023 ein reich bebildertes Heft unter dem Titel „Gipskarst Südharz-Entdeckerbroschüre“ heraus. Bodo Schwarzberg hat es sich angesehen und übt an dessen Inhalt in zwei Artikeln ausführliche Kritik...

Der Landschaftspflegeverband Südharz-Kyffhäuser e.V. ist Herausgeber der Broschüre "Gipskarst Südharz". (Foto: Bodo Schwarzberg) Der Landschaftspflegeverband Südharz-Kyffhäuser e.V. ist Herausgeber der Broschüre "Gipskarst Südharz". (Foto: Bodo Schwarzberg)

Mehrere Millionen Euro Steuergeld wurden in das „Bundesprojekt der Biologischen Vielfalt-Gipskarst Südharz - Artenvielfalt erhalten und erleben“, investiert, das, der Broschüre entsprechend, insbesondere einen Beitrag zur Bewahrung der Lebensraum- und Artenvielfalt leisten sollte. Die öffentlichen Mittel kamen laut der Textsammlung vom Bundesamt für Naturschutz (BfN), vom Bundesumweltministerium (BMUV), dem Thüringer Umweltministerium (TMUEN), der Stiftung Naturschutz Thüringen (SNT) und dem Landkreis Nordhausen. Das Projekt lief von 2018 bis 2023 und bezog sich auf den so genannten Hotspot 18 der Artenvielfalt “Südharzer Zechsteingürtel, Kyffhäuser und Hainleite“.

„Mit den Projekten im Förderschwerpunkt 'Hotspots' sollen die naturschutzfachlichen Qualitäten der Hotspots verbessert werden...und das Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure im Rahmen der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt gefördert werden“, zitieren die LPV-Autoren das Bundesamt für Naturschutz (BfN). Berichtet wird auch, dass es seit dem Beschluss einer Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt (NBS) in Deutschland bis 2021 nicht gelang, eine Trendwende beim Verlust der Biodiversität zu erreichen. Ob nun diese Trendwende mit den Hotspot-Projekten erreicht wurde, muss abgewartet werden. Auf Grund der vielen, sich bisher kaum zum Positiven ändernden Rahmenbedingungen aber, von denen wirksamer Artenschutz abhängt, kann dies bezweifelt werden. U.a. die Öffnung von immer mehr Flächen für Windräder und Solaranlagen wird gewiss nicht dazu beitragen.
Auch gab es noch in den vergangenen Jahren mehrere Klagen gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof, da die europäische Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) zur Erhaltung u.a. von besonders artenreichen Lebensraumtypen gemeinschaftlicher Bedeutung in so genannten FFH-Gebieten teilweise nicht eingehalten wurde. Das Hotspot-Projekt deckt sich großflächig mit im Landkreis Nordhausen ausgewiesenen FFH-Gebieten. Es konzentrierte sich also auf Wiesen, Weiden und Streuobstwiesen in diesen Bereichen.
Der LPV stellt in seiner optisch gelungenen Broschüre vier auf dem Gebiet des Landkreises Nordhausen liegende FFH-Gebiete geologisch, geomorphologisch, hydrologisch, historisch, wirtschaftlich und vor allem hinsichtlich seiner Ausstattung mit schützenswerten Lebensrauntypen und Arten näher vor und beschreibt Zusammenhänge zwischen dem Erhaltungszustand dieser Gebiete und der jeweiligen Landnutzung.
Nun zu einigen Kritikpunkten:


Kammerforst-Himmelsberg-Mühlberg (FFH-Gebiet 4)
Auf der Seite 24 wird für das FFH-Gebiet 4 (Kammerforst-Himmelsberg-Mühlberg) der Fransen-Enzian (Gentianopsis ciliata) erwähnt, der „...im Gegensatz zu seinem nahen Verwandten, dem Deutschen Enzian, erst relativ spät im Jahr“ blüht. Laut der „Exkursionsflora von Deutschland“ von ROTHMALER aus dem Jahre 2006 ist es zwar tatsächlich so, dass der Fransen-Enzian seine Blüten erst zwischen August und Oktober entfaltet und der Deutsche Enzian bereits ab Juni. In Thüringen und auch aus dem Gebiet des Südharzer Zechsteinrandes sind jedoch bereits im Juni blühende Deutsche Enzian-Pflanzen eher nicht bekannt. Laut der 2006 erschienen Flora von Thüringen (ZÜNDORF et al. 2006) blühen beide Arten im Freistaat zwischen August und Oktober.

FFH-Gebiet 5 Hunnengrube-Katzenschwanz-Sattelköpfe
Etwas verwundern muss auch, dass die Autoren für das FFH-Gebiet 5 „Hunnengrube-Katzenschwanz-Sattelköpfe“ zwar das in Thüringen mittlerweile vom Aussterben bedrohte Katzenpfötchen (Antennaria dioica) und das Stattliche Knabenkraut (Orchis mascula) als bemerkenswerte Arten benennen, nicht aber den weit überregional bedeutsamen und außerhalb der Alpen fast ausgestorbenen Feld-Enzian (Gentianella campestris), von dem in ganz Thüringen 2023 wahrscheinlich nur 50 Exemplare zur Blüte kamen. Verwundern muss dies auch deshalb, weil die Revitalisierung des Vorkommens und dessen bis heute erfolgreiche Erhaltung auf eine Zusammenarbeit zwischen dem Autor dieses nnz-Beitrages und dem LPV zwischen 2013 und 2015 zurückgeht. Dem kontinuierlichen, unentgeltlichen Einsatz von Mitgliedern und Freunden des BUND-Kreisverbandes Nordhausen aber ist es zu verdanken, dass das Vorkommen im FFH-Gebiet 5 bis heute besteht und zum mittlerweile größten in Thüringen werden konnte. Warum der LPV in seiner Broschüre dieses wichtige Vorkommen mit seiner thüringenweiten Bedeutung als Aushängeschild des Hotspot-Gebiets, der vom BfN geforderten Zusammenarbeit mit anderen Akteuren und der Landschaftspflege im Hotspot 18 nicht erwähnt, ist nicht zu vestehen.

Die Erwähnung des vom Aussterben bedrohten Katzenpfötchens für das FFH-Gebiet 5 und dessen fotografisch gelungene Darstellung auf Seite 38 erfolgt außerdem zu unkritisch: Von dieser einst weithin häufigen, ja noch vor einigen Jahrzehnten in der gängigen Bestimmungsliteratur als „gemein“ benannten Pflanzenart sind im FFH-Gebiet 5 nur noch Restbestände vorhanden, die gerade deshalb ebenso schnell verschwinden können, wie hunderte andere Bestände vor ihnen, wenn es nicht gelingt, eine geeignete Bewirtschaftung, also Mahd und extensive Beweidung mit Schafen kontinuierlich sicherzustellen. Am Beispiel dieser Art hätte man zumindest ganz kurz sehr gut das Versagen des Naturschutzes von Jahrzehnten erklären können, die schwierige gegenwärtige Populationssituation und damit die akute Gefährdung der letzten Exemplare. Der LPV hätte konkret an diesem Beispiel zeigen können, dass kleine Restpopulationen noch viel stärker vom Verlust bedroht sind, als frühere große Populationen. Und er hätte hier eines der vielen Dilemmata des praktischen Naturschutzes heraustellen können: Nämlich, dass eine kontinuierliche, extensive Bewirtschaftung, die die Ansprüche solch selten gewordener Arten berücksichtigt, in einem der reichsten Länder der Welt sehr oft nicht sichergestellt werden kann. In der LPV-Broschüre fehlt zu sehr der per Literatur nachweisbare Fakt, dass das Hotspot-Projekt eigentlich nur versuchen soll, die letzten, auf winzige Reste zusammengeschrumpften Bestände früherer Zeiten von intakten Lebensraumtypen und Arten zu retten. Sozusagen als allerletzte Chance.

Kapitel „Bedeutung der Beweidung für den Erhalt der Kulturlandschaft“
Im Kapitel „Bedeutung der Beweidung für den Erhalt der Kulturlandschaft“ beschreibt der LPV das grundlegende, auch mit seinem millionenschweren Hotspot-Projekt kaum gelöste Problem nur verklausuliert und lässt für das Gelingen von Naturschutz entscheidende Fakten weg: Beispiel: „Während andere wertvolle Offenlandlebensräume wie Flachland- oder Bergmähwiesen auf eine schonende Nutzung durch Mahd angewiesen sind, ist für den dauerhaften Erhalt magerer Weiden eine regelmäßige Beweidung mit Schafen, Rindern oder Ziegen notwendig.“
So gibt es im Landkreis Nordhausen eine ganze Anzahl von „Bergmähwiesen“, vor allem im Raum Rothesütte und Ilfeld. Einige von ihnen werden, obwohl sie als Bergmähwiesen gemäht werden müssten, um ihren ursprünglichen Artenreichtum zu erhalten, mit Rindern beweidet, oder sie sollen künftig, so hörte ich von der Unteren Naturschutzbehörde (UNB), mit Rindern beweidet werden.

Diese Wiesen liegen im länderübergreifenden Hotspot 19 der Artenvielfalt („Harz“), in dem die Biodiversität aber natürlich auch erhalten werden soll. Zahlreiche selten gewordene, seit Jahrhunderten an Mahd angepasste, ja auf Mahd angewiesene Arten, reagieren höchst empfindlich auf die Beweidung in leicht zu intensiver Koppelhaltung. Dazu gibt es auch eindrucksvolle Publikationen. So ist die auch gelegentlich als Zierpflanze gehaltene Trollblume (Trollius europaeus) auf den beweideten Flächen im Südharz des Landkreises Nordhausen fast überall verschwunden. Ebenso, bis auf zwei Restvorkommen, von denen eines der BUND-Kreisverband Nordhausen vor dem Verschwinden bewahrt, die einst sehr häufige Arnika (Arnica montana) und auf immer mehr Flächen auch das Breitblättrige Knabenkraut (Dactylorhiza majalis).

Der LPV benennt die Weidetiere Schafe, Ziegen und Rinder in diesem Kapitel zudem zu undifferenziert. Die Art, wie die unterschiedlichen Weidetierarten die Pflanzendecke verbeißen, hat aber entscheidenden Einfluss auf die Artenzusammensetzung der Weiden und damit auch auf die Bestände von heutzutage hochgradig gefährdeten Pflanzenarten.

Er hätte viel mehr herausstellen müssen, dass die Magerasen über Gips in erster Linie durch Schafhutung entstanden sind und dass die heute dort teils praktizierte alleinige Rinderweide (ohne zusätzliche Nachmahd) nur eine Notlösung sein kann, wenn man deren Biodiversität tatsächlich erhalten will. Denn auf den Rinderweiden in den Naturschutzgebieten Rüdigsdorfer Schweiz und Alter Stolberg beobachten wir eine stetige Zunahme von Sträuchern, vor allem der Schlehe (Prunus spinosa), die die Magerrasen mangels Verbiss oder Entfernung per konsequenter Entbuschung immer weiter entwerten, eine Zunahme der Verfilzung und des Nähstoffangebots.

Unverständlicherweise erwähnt der LPV in demselben Kapitel auch noch ausgerechnet „verschiedene Klettenarten“, die für ihre Verbreitung auf Weidetiere angewiesen sind. Dies ist zwar richtig. Aber Kletten (Gattung Arctium) sind Stickstoffzeiger, ja Anzeiger übermäßigen Stickstoffreichtums, und sie sind daher auf unseren Magerrasen so ziemlich das letzte, was wir dort haben wollen. Tauchen sie auf, so steht die auf Magerkeit beruhende Artenvielfalt längst auf der Kippe.
Und der LPV erwähnt den Niedergang der für die Arterhaltung so wichtigen Schafherden und des Schäferberufs indemselben Kapitel, aber nicht die wichtigsten Ursachen dafür: Die Schäfer werden von der Politik im Regen stehen gelassen. Von Agrarsubventionen profitieren sie jedenfalls nicht, wobei der Niedergang der Thüringer Schafherden gleich nach der Wende einsetzte, als die CDU, also die Partei des Vorstandsvorsitzenden des LPV Egon Primas, jahrelang das Sagen in Thüringen hatte. Auch das schreibt der LPV nicht. Und er schreibt nicht, dass es auch die Grünen in der Thüringer Landesregierung nicht vermochten, den Niedergang der Schafhaltung zu bremsen.
Der LPV hätte speziell in diesem wichtigen Kapitel die Chance nutzen können, für die Landwirte Subventionen zu fordern, die die naturschutzgerechte Pflege im Hotspot 18 langfristig sicherstellt, die Landwirte also in die Lage versetzen, wieder mehr Schafherden zu halten und zu hüten, magere Mähwiesen verstärkt zu mähen und das Mähgut zu nutzen oder abzufahren.

FFH-Gebiet 6: Rüdigsdorfer Schweiz-Harzfelder Holz-Hasenwinkel
Dass die „bizarren Baumformen“ der Schneitelhainbuchen am Wegrand „Relikte einer historischen Waldbewirtschaftungsform“ darstellen und „bereits in der Jungsteinzeit nachgewiesen werden konnte“, wie der LPV auf Seite 47 seiner Broschüre schreibt, mag den Tatsachen entsprechen. Ganz gewiss aber haben die Schneitelhainbuchen in der Jungsteinzeit länger überlebt, als im Hotspot 18 des 21. Jahrhunderts.
Schneitelhainbuchen oder auch „Schneitelbuchen“ sind Hainbuchen, deren Zweige im Abstand mehrerer Jahre von den Stämmen entfernt und die hernach für verschiedene, meist landwirtschaftliche Zwecke, genutzt wurden. Im Naturschutzgebiet Rüdigsdorfer Schweiz und an mehrere anderen Stellen im Landkreis wollte man diese historische und ökologisch sinnvolle Form der Waldnutzung wiederbeleben und scheiterte kläglich: Der Autor dieses Beitrages wies vier Bestände teils sehr alter Schneitel-Hainbuchen im Landkreis nach, die infolge des behördlich unterstützten und genehmigten Schneitelns abgestarben oder sich noch im Absterbeprozess befinden. Alte, seit vielen Jahren nicht mehr geschneitelte Hainbuchen dürfen laut einem vom Autor dieses Beitrages befragten Forstwissenschaftler nicht noch einmal geschneitelt werden, da sie dies, im Gegensatz zu bestimmten Weidenarten, meist nicht verkraften.

Das Schneiteln alter Hainbuchen, das einst sogar von der Unteren Naturschutzbehörde und vom Naturpark Südharz genehmigt und gefeiert wurde, beruhte demnach auf einem unglaublichen Wissensdefizit mit der Folge, dass letztlich weit mehr als einhundert meist alte Hainbuchen im Landkreis Nordhausen umgebracht wurden. Dazu wird es demnächst einen gesonderten Beitrag geben.

Unter anderem im Naturschutzgebiet Rüdigsdorfer Schweiz wurden alte Hainbuchen mit behördlichem Segen geschneitelt, um eine historische Form der Waldbewirtschaftung wiederzubeleben. Sie starben jedoch ab, weil man grundlegende Erkenntnisse nicht beachtete.  (Foto: Bodo Schwarzberg ) Unter anderem im Naturschutzgebiet Rüdigsdorfer Schweiz wurden alte Hainbuchen mit behördlichem Segen geschneitelt, um eine historische Form der Waldbewirtschaftung wiederzubeleben. Sie starben jedoch ab, weil man grundlegende Erkenntnisse nicht beachtete. (Foto: Bodo Schwarzberg )

Die vom Forstwissenschaftler mitgeteilten Ursachen des Absterbens der Hainbuchen wurden seitens des Autors sowohl dem LPV, als auch der UNB mitgeteilt: In der Broschüre „Gipskarst Südharz“ macht der LPV jedoch trotz dieses Wissens aus der Not eine Tugend und schreibt neben dem Foto einer aktiv ums Leben gebrachten Schneitel-Hainbuche: „Abgestorbene Schneitelbuchen sind ideale Fledermausquartiere.“ - Alternative Fakten, kann man da nur sagen.
Auf eine mehrere Wochen zurückliegende Anfrage meinerseits unter anderem zu diesem Thema, reagierten weder der LPV noch die Untere Naturschutzbehörde, obwohl gerade letztere sich ab und an darüber beschwert, öffentlich kritisiert zu werden, ohne zuvor gefragt worden zu sein.

Der zweite Teil beschäftigt sich in einigen Tagen u.a. mit den FFH-Gebieten Pfaffenköpfe und Alter Stolberg.
Bodo Schwarzberg