Nordhäuser Asylantragsteller halfen im Hochwassergebiet

Große Aufregung um Arbeitseinsatz von Flüchtlingen

Freitag
05.01.2024, 20:00 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Große Aufregung herrscht seit gestern Abend in den sozialen Nerzwerken, weil es in Berga an der Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Thüringen just am Tage des Kanzlerbesuchs in der Hochwasserregion zu einem Arbeitseinsatz von Flüchtlingen aus dem Landkreis Nordhausen kam. Wir fragten im betreffenden Landratsamt nach …

Stein des Anstosses war unter anderem dieses Foto: Zeigt es biertrinkende Flüchtlinge, die sich die Stiefel nicht dreckig gemacht haben beim Arbeiten? (Foto: privat) Stein des Anstosses war unter anderem dieses Foto: Zeigt es biertrinkende Flüchtlinge, die sich die Stiefel nicht dreckig gemacht haben beim Arbeiten? (Foto: privat)

In Zeiten des Internets und seiner vielfältigen Möglichkeiten bleibt nichts verborgen und vieles verbreitet sich in Windeseile. Gestern besuchte der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Olaf Scholz (SPD), die vom Hochwasser gebeutelte Region im Landkreis Mansfeld-Südharz, wo besonders die Helme für eine große Bedrohung der Gegend um den Stausee sorgt. Seit Tagen sind hier die Helfer vom THW, der örtlichen Feuerwehren und viele Freiwillige im Einsatz. Gemeinsam mit seiner Umweltministerin Steffi Lemke (GRÜNE) und dem Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts, Reiner Haseloff (CDU), wollte sich der Kanzler ein Bild von der katastrophale Lage vor Ort machen und den Menschen Mut zusprechen.

Am gleiche Tag starteten in Nordhausen drei Kleinbusse eines Taxi-Unternehmens mit fast 20 jungen Männern ins Krisengebiet. Ausgerüstet mit Warnwesten, auf denen in vier Sprachen steht, was sie vorstellen sollen: Helfer. Es sind darunter junge Männer aus der Elfenbeinküste, dem Irak, der Ukraine und anderen Staaten, die in Nordhausen eine erste Bleibe nach ihrer Ankunft in Deutschland fanden.

Wie kam es nun konkret zum gestrigen Einsatz? Auf unsere Anfrage antwortet das Landratsamt Nordhausen wie folgt: „ Die Landkreisverwaltung Nordhausen hat unter Asylsuchenden im Landkreis Nordhausen einen Freiwilligen-Aufruf gestartet, wer in der aktuellen Hochwasserlage im benachbarten Mansfeld-Südharz die Hilfsarbeiten unterstützen möchte. Daraufhin haben sich rund 20 freiwillige Helfer gemeldet. Das Unterstützungsangebot hat die Landkreisverwaltung an die Gemeinde Berga gesandt, ohne zeitliche Prämissen. Für uns unerwartet kam sehr zeitnah die Rückmeldung der Gemeinde mit der Bitte um Unterstützung am gestrigen Tag. Da die Anfrage kurzfristig kam, wurde aus organisatorischen Gründen diese Transportform gewählt. Der Einsatz dauerte etwas drei bis vier Stunden am gestrigen Nachmittag (bis zum Ende des Arbeitseinsatzes auf dem Bauhof am gestrigen Tag).“

Unterstellungen aus diversen Internetforen, es handle sich dabei um einen geplanten PR-Auftritt für die Medien, weist das Landratsamt entschieden zurück und verweist darauf, dass „die Helfer erst auf dem Bauhofgelände in Berga waren, nachdem der Kanzler abgereist war – beides hatte nichts miteinander zu tun und war reiner zeitlicher Zufall.“

Wenn dem so ist, bliebe immer noch die Frage zu klären, warum denn gerade in der Gemeinde Berga geholfen werden sollte und nicht beispielsweise schon Weihnachten in der Goldenen Aue, als Windehausen in den Fluten versank. Jessica Piper, Pressesprecherin des Landratsamtes gab uns die Auskunft, dass der Mitarbeiter, der die personelle Hilfe organisiert und koordiniert hat, in den Weihnachtstagen selbst als freiwilliger Feuerwehrmann in Heringen im Einsatz war und es bei der Gefahrenlage in Windehausen auch anderer Hilfe bedurfte, als die Flüchtlinge hätten leisten können. Beispielsweise seien dort keine Sandsäcke zu befüllen gewesen. Die Einsatzlage im benachbarten Mansfeld-Südharz erstrecke sich bereits über einen längeren Zeitraum, erläuterte Piper, so dass fortwährend Bedarf an Helfern besteht, gerade bei körperlich anstrengenden Arbeiten. Zudem bestünden dort im Gegensatz zur Lage in der Goldenen Aue inzwischen eingespielte Abläufe. Ein Einsatz von Asylsuchenden in öffentlichen Institutionen wie dem Bauhof Berga wäre deshalb nicht nur möglich, sondern auch zielführend gewesen. „Die Lage in der Goldenen Aue über die Feiertage ist anders zu bewerten, weshalb aus personellen wie organisatorischen Gründen bislang dort keine Asylsuchenden im Einsatz waren. Denkbar ist dies nun aber beispielsweise beim Beräumen von Sandsäcken“, führte die Pressesprecherin aus.

Die Landkreisverwaltung habe den gestrigen Einsatz auch nicht mit eigener Öffentlichkeitsarbeit begleitet, da dies nicht Sinn und Zweck des Einsatzes war, sondern eine Unterstützung der Kräfte vor Ort. Wenn eine medienwirksames Auftreten der Asylantengruppe geplant gewesen wäre, sagte die Sprecherin des Landrats, dann wären die Männer mit Sicherheit auch pünktlich zum Kanzlerbesuch in Aktion gewesen.

Das Angebot des Landkreises Nordhausen an die Gemeinde Berga zur Unterstützung bestehe weiterhin, ob es noch einmal angefordert wird, entscheidet die Gemeinde. Solche Einsätze gemeinnütziger Arbeit würden nun regelmäßig erfolgen, denn ein Beschluss des Kreistages vom 7. November 2023 sieht vor, Arbeitsgelegenheiten für Leistungsberechtigte nach § 5 Asylbewerberleistungsgesetz im Landkreis Nordhausen zu etablieren. Demnach sollen Asylbewerbern soweit möglich Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, kommunalen und gemeinnützigen Trägern zur Verfügung gestellt werden, sofern die zu leistende Arbeit sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet würde.
 
„Eine solche Gelegenheit bot sich jetzt in Berga und es sind weitere solche Arbeitsgelegenheiten in Sinne des Kreistagsbeschlusses geplant“, betonte Jessica Piper abschließend.

Auf Facebook echauffiert sich wegen der gestern entstandenen Fotos zum Beispiel der AfD-Politiker Daniel Roi, der für seine Partei im Magdeburger Landtag sitzt: „Inzwischen gibt es nicht nur dieses Foto (unser Titelfoto - die Red.), das sicher vor dem Arbeitseinsatz entstanden sein muss, denn die Stiefel sind hier noch sauber. Aber wo gibt es schon Bier vor dem Einsatz? Wie dem aus sei, das Smartphone war jedenfalls dabei.“ Doch auch diese Behauptung ist leicht zu entkräften, wie unser nächstes Foto zeigt: eine Stiefelwaschanlage durch die alle Helfer nach einem Einsatz gehen müssen, ehe sie die Aufenthaltsräume der Feuerwehr in Berga betreten dürfen. Das kritisierte Foto entstand also erst nach dem Einsatz.

Die Stiefelwaschanlage der freiwilligen Feuerwehr in Berga macht aus "Dreckbotten" schnell wieder blitzende Gummistiefel (Foto: S.Dietzel) Die Stiefelwaschanlage der freiwilligen Feuerwehr in Berga macht aus "Dreckbotten" schnell wieder blitzende Gummistiefel (Foto: S.Dietzel)

Und der Abgeordnete Roi fährt in seinem Post fort: „Mittlerweile gibt es auch Videos, wie genau diese ca. 20 Ausländer mit Gummistiefel und Warnweste an einem Arbeitsbereich auflaufen. Man sieht ebenso Presseteams.“ Und so gibt es auch weitere Fotos, die den Trupp bei der Arbeit zeigen, dem Befüllen von Sandsäcken. Ob man in Nordhausen die heftigen Reaktionen auf die Aktion unterschätzte und wie geschickt es vom Nordhäuser Landratsamt war, mit der lobenswerten Hilfe für die Hochwasserregion genau an dem Tag zu beginnen, da die bundesweite Medienlandschaft auf den südlichen Zipfel Sachsen-Anhalts schaute, bleibt jedem selbst überlassen zu bewerten. Wichtig wird nun sein, dass die Jungs auch an anderen Tagen und anderen Orten zu sehen sind, wenn kein Blitzlichtgewitter droht, wie es die Entourage eines Bundeskanzlers zwangsweise mit sich bringt.
Olaf Schulze