Katastrophennachlese

Windehausen hat sich auch selbst geholfen

Freitag
05.01.2024, 17:30 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Das Wasser ist zurückgegangen, doch die letzten Tage des Jahres 2023 werden im kleinen Windehausen noch lange in Erinnerung bleiben. Wir haben vor Ort und in den Amtsstuben nachgefragt, wie die Katastrophennachlese im neuen Jahr ausfällt…

Frust, Stolz und Galgenhumor in Windehausen: v.l. Sebastian Albert, Jens Bauersfeld vom Agrarbetrieb Zorgeland und Wehrführer Sebastian Henning  (Foto: agl) Frust, Stolz und Galgenhumor in Windehausen: v.l. Sebastian Albert, Jens Bauersfeld vom Agrarbetrieb Zorgeland und Wehrführer Sebastian Henning (Foto: agl)


24.12.2023, Heiligabend. Statt sich auf die Bescherung zu freuen, ist man in Windehausen dabei, Sandsäcke zu befüllen. Schnell an Windehausen vorbei - wenn es um das Wasser geht war das im Ort immer der Leitspruch, denn je langsamer die Zorge fließt, desto stärker drückt das Grundwasser nach oben. In dieser Nacht wird das Nass nicht schnell weiter fließen, es wird von allen Seiten kommen. Die Kameraden aus Hamma sind bald mit dabei Sandsäcke voll zu machen, Heringen wird alarmiert, Görsbach, Auleben und in den nächsten Tagen ist alles auf den Beinen, was helfen kann.

Am Heiligabend packt auch Sebastian Albert bei der Freiwilligen Feuerwehr mit an, das eigene Grundstück am Ortsrand hat er schon notdürftig gesichert, es ist nicht weit bis zum Fluss. Geholfen hat es wenig, Albert ist einer der ersten, die es an diesem Abend „erwischt“. „Wir waren mit den Sandsäcken beschäftigt als meine Frau anrief und bat das ich doch nach Hause kommen sollte. Unsere Scheune stand da schon unter Wasser. Wir haben noch versucht das Erdgeschoss im Haus trocken zu halten aber auch da stand es am Ende mehr als knöcheltief.“

Vor gut sieben Jahren hat die Familie das Grundstück erworben und saniert, jetzt fängt man wieder von vorne an. Die Wände müssen durchtrocknen, die Dämmung hat sich wie ein Schwamm vollgesogen, man hat viel zu tun. Und das gilt für so ziemlich jede der 500 Seelen im Dorf. Man übt sich in Galgenhumor, im Unterton schwingt ein wenig Verzweiflung mit, viel Erschöpfung aber auch Stolz. „Im ersten Moment hat Windehausen sich selbst geholfen, das muss man einfach so sagen“, berichtet der Wehrführer des Ortes, Sebastian Henning. Einen Notfallplan habe es zwar gegeben, doch das Papier habe nicht mit der Realität mitgehalten. „Am ersten Weihnachtsfeiertag hat uns von oben niemand sagen können, wie und wann wir zu evakuieren haben, wir mussten selber handeln, einfach weil uns die Zeit im Nacken saß. Das Wasser kam von überall, da war nichts mehr zu machen und spätestens als der Strom abgestellt wurde, wollten die Leute raus, vor allem die Familien mit Kindern.“

Keine Chance für Windehausen
Wie Familie Albert geht es bald dem ganzen Dorf. Die von Regen und Schmelzwasser angeschwollene Zorge übertrat den Damm an der Autobahn und ergoss sich auf die Felder, von hier drückte das Wasser in das Kanalsystem im Dorf, den Krummbach und schließlich konnte das Nass nirgend anders mehr hin, als nach oben, erst in die Keller, dann auf die Straßen. Gerüchte dass der Hochwasserschutz in Sundhausen versagt hätte und Windehausen deswegen „abgesoffen“ sei, erteilt man an jeder Stelle eine Absage. Helme und Zorge fließen erst hinter Windehausen ineinander und auch wenn es hier einen Rückstau durch die schiere Masse des Wassers gab, hat der die Lage im Ort nicht maßgeblich beeinflusst. „Man muss sich das nicht wie eine Welle vorstellen die da durch Windehausen gerollt ist, das Wasser ist von unten her gestiegen, stetig und Zentimeter um Zentimeter.“, sagt Matthias Marquardt, der als Bürgermeister der Landgemeinde Heringen die Rettungsmaßnahmen von Seiten der Verwaltung zu koordinieren hatte. Auch die Helfer vor Ort pflichten bei, irgendwann habe man einfach nichts mehr machen können.

Die Frage ob der Kreis nicht den Katastrophenfall hätte ausrufen müssen macht schon bald die Runde, Marquardt glaubt aber nicht, das es viel geändert hätte. „Manpower“ habe man mehr als genug gehabt. „Es waren bis auf ein paar Ausnahmen, die noch in ihren eigenen Gemeinden zu tun hatten, alle Wehren da. Dazu das Technnische Hilfswerk, Rettungsdienste, viele private Helfer. Wir hatten Schichten mit je 100 Mann permanent im Einsatz. Zwischendurch mussten wir uns mit dem Pumpen in der Nacht sogar etwas zurücknehmen, sonst hätte Görsbach das zu spüren bekommen.“, erzählt Marquardt. Es gebe sicher noch Dinge, über die man reden müsse, aber so schlimm die Lage auch gewesen sei, am Ende habe man sie den Umständen entsprechend gut bewältigt.

Das ist der grundlegende Tenor, auch bei den Rettungskräften im Ort. Alles Mist, aber man ist eigentlich gut durchgekommen. Die Dorfgemeinschaft habe zusammengestanden und Bürgermeister Marquardt habe auch einen „richtig guten Job gemacht“, erzählt etwa Jens Bauersfeld vom Agrarbetrieb Zorgeland, der mit den Kollegen auf den eigenen Radladern die Leute aus dem Ort gebracht hat, als das trockenen Fußes nicht mehr möglich war. Unendlich dankbar sei man auch dem Gewässerunterhaltungsverband "Helme - Ohne - Wipper", deren Leute von Anfang nicht nur praktisch sondern auch fachlich eine große Hilfe waren.

Fachwissen sei mitunter wichtiger gewesen, als die reine Zahl der Einsatzkräfte, resümiert auch Landrat Matthias Jendricke. Die Frage war nicht so sehr, ob man mehr Kräfte braucht, sondern welche Fähigkeiten und welche Technik benötigt wird, zu dem Schluss sei man im Krisenstab schnell gekommen. Den Katastrophenalarm auszulösen, hätte den Windehäusern da nicht geholfen. „Diesen Schritt geht man in der Regel dann, wenn die Lage mit den üblichen, zivilen Mitteln nicht mehr in den Griff zu bekommen ist und das war hier nicht der Fall. Am 24. selbst hatten wir noch keine Notrufe aus Windehausen und als sich die Lage dann zugespitzt hat, war in den meisten anderen Bereichen wieder etwas Entspannung drin. Die umliegenden Wehren und Rettungskräfte waren für Windehausen also verfügbar und kamen auch zum Einsatz. Wenn, wie in Mansfeld-Südharz, ein Drittel des Kreises unter Wasser gestanden hätte, wäre die Gesamtlage eine andere gewesen. Ich hätte das als Landrat trotzdem an mich nehmen können, rechtlich ginge das, aber das hätte die Kette nur länger gemacht. Ich muss da nicht noch reinreden oder als Aufpasser daneben sitzen, nur weil ich könnte. Herr Marquardt und seine Leute konnten die private Hilfe und den Einsatz vor Ort viel besser koordinieren und da haben alle einen spitzen Job gemacht.“, sagt Jendricke.

Damm muss ausgebaut werden
Auch finanziell hätte ein Ausrufen des Katatsrophenfalls den Betroffenen im Nachgang nicht geholfen, heißt es aus dem Landratsamt weiter. Einen entsprechenden Fonds gibt es zwar in Thüringen, doch der dient dazu, Kommunen nach außerdordentlichen Ereignissen vor dem finanziellen Ruin zu bewahren. In Windehausen ist man auf den Freistaat indes nicht gut zu sprechen, Fonds hin oder her, denn es ist gut möglich, dass es nicht soweit hätte kommen müssen, wenn man sich in Erfurt früher gedreht hätte.



Das letzte Mal, dass man Sandsäcke aufstellen musste, sei 2003 gewesen, erinnert sich Bauersfeld. Schon da war das Wasser über den Damm der damals noch neuen Autobahn gekommen und anders als früher nicht mehr vom Dorf weg, sondern darauf zu geflossen. Die Sache ging glimpflich aus, vor dem Ort konnte das Wasser damals aufgehalten werden. Das der Zorgedamm problematisch sei, wisse man seitdem, aber passiert sei in 20 Jahren nichts. Das Bergrecht stehe wie so oft über allem und im Weg, vermuten die drei Windehäuser im trocknenden Wohnzimmer von Familie Albert. Man trinkt „Flutbier“ und scherzt, Galgenhumor, vom Umweltministerium will man lieber nicht zu viel reden. Neben der Erschöpfung und dem Stolz ist der Frust nicht zu verneinen. Der Ministerpräsident war zu Besuch, den Umweltminister hat er hinter her geschickt und laut Landratsamt sollte dort spätestens jetzt bekannt sein, das am Damm dringender Handlungsbedarf besteht. Von Ankündigungen bleiben die Füße freilich nicht trocken, man wird sehen müssen ob die Mühlen der Bürokratie demnächst für Windehausen schneller mahlen.

Es wird Gelegenheit geben, die Lage genau zu erörtern und den Ursachen in der Tiefe nachzugehen und das schon bald. Für Ende Januar ist ein Anhörungstermin zum Hochwasserschutz angesetzt, der schon vor der Katastrophe anberaumt worden war und bei dem nun wohl sehr konkrete Forderungen von Seiten der Windehäuser und des Heringer Rathauses aufgemacht werden dürften. Fakt ist, das sich etwas tun muss. Sowohl auf dem Papier, wie auch draußen am Fluss.
Angelo Glashagel


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