Nordhäuser Kunstwerke

Der Märchenbrunnen, den Liebenden gewidmet

Sonntag
03.12.2023, 10:57 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Heidelore Kneffel befasst sich seit Jahrzehnten mit den Kunstwerken ihrer Heimatstadt. Viel gibt es zu sehen, viel zu berichten. Zum Jahresende sollen einige der schönsten Stücke im Detail vorgestellt werden und den Anfang macht der "Märchenbrunnen"...

Die Rolandstadt Nordhausen am Harz mit ihren künstlerischen Werken (1) - Diesen Titel wählte ich Anfang der 1990-Jahre für einen Text, den ich, verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Landratsamt, nach Absprache mit dem Landrat Joachim Claus verfasste, mit der Absicht, wie man auf die Historie der Kreisstadt (Roland), gelegen in reizvoller Landschaft (Harz), über ein auffallendes Ortseingangsschild aufmerksam machen könnte.

Wählte den künstlerisch gestalteten Roland als Hinweis auf die weit zurückreichende Geschichte des Ortes, den Harz als landschaftliches Glanzstück auch dieser Region. Alle drei damals erscheinenden Tages-Zeitungen brachten den auch mit Bildmaterial versehenen Text. Die Stadtverwaltung und der Stadtrat lehnten diesen Vorschlag ab, aber in der Öffentlichkeit kursiert dieser Titel durchaus bis ins heute.

Ja, ich möchte diese Südharzstadt in einer Artikelreihe vorstellen und würdigen als Heimat mehrerer Kunstwerke verschiedener Art. Den hier Wohnenden und den Gästen soll sich dadurch ein Gang durch die Straßen, Gassen und Plätze einprägsamer gestalten und auch dadurch in Erinnerung bleiben. Denn die in dieser Stadt im Laufe der Zeit öffentlich gemachten Kunstwerke sind absolut keine Ladenhüter, manche von ihnen besitzen eine über die Stadtgrenzen hinausgehende Wertigkeit. Diese Artikelserie möchte das aufzeigen.

Der Märchenbrunnen (Foto: Heidelore Kneffel) Der Märchenbrunnen (Foto: Heidelore Kneffel)


Eigentlich wollte ich mit der Rolandfigur beginnen, die sich hier ja seit 1993 als Doppelfigur befindet. Da sie ja standhaft bleiben wird auf dem jeweiligen Platz, wende ich mich aus aktuellem Anlass einer Brunnenfigur zu, die an der Ecke Kranichstraße/Blasiikirchplatz 1986 ihren Platz gefunden hat und den Namen „Märchenbrunnen, den Liebenden gewidmet“ trägt. Jedesmal, wenn ich dort vorbeikomme, gehen mir Zeilen eines Liebesliedes durch den Sinn: „Die Kraniche hoch oben ziehn am Himmel ihre Bahn, schau einmal hin, schau zweimal hin, dann schau mich wieder an!“ Die aus Bronze gegossene hochragende Brunnenfigur endet mit einem Kranich, der seine Flügel weit ausgebreitet hat, um einem Liebespaar Platz zu geben, mit dem er sich in die Höhe, in die Weite schwingen wird. Der Kranich ist ja fast überall auf dem Globus ein bekannter Vogel des Glücks, der Weisheit, der Treue, er strahlt Anmut aus, besitzt Würde, manche sprechen ihm spirituelle Kräfte zu.

Der Schöpfer des bronzenen Kunstwerkes ist Karl Lemke, wurde am 28.2.1924 in Schöneiche bei Berlin geboren, ließ sich zum Steinmetz ausbilden und studierte dann Ende der 1940 Jahre an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin Charlottenburg bei dem anerkannten Bildhauer Gustav Seitz (1906-1969), setzte sein Kunststudium an der Hochschule in Berlin-Weißensee fort und wurde anschließend Meisterschüler bei Seitz. So exzellent ausgebildet, wurde er freischaffender Künstler und betreute nun selbst Studierende. Er besuchte die SU, mehrmals die ĈSSR und Ungarn. Er lebte in Mecklenburg-Vorpommern in Barth-Glöwitz. Seine Werke, aus Stein gehauen oder in Bronze gegossen, befinden sich wie in Nordhausen im öffentlichen Raum mehrerer Ortschaften. Er starb am 18. 10. 2016.

Brunnenfigur in Bronze - der Märchenbrunnen am Blasiikirchplatz (Foto: Heidelore Kneffel) Brunnenfigur in Bronze - der Märchenbrunnen am Blasiikirchplatz (Foto: Heidelore Kneffel)


Ein hochragender Baum mit einer angedeuteten Krone, auf der ein Kranich gelandet ist, auf dessen Rücken sich ein Liebespaar, eng aneinander geschmiegt, festhält, bildet das Zentrum der Plastik. Unten, ursprünglich aus dem Brunnenbecken ragend, befindet sich ein rechteckiger Sockel, an dessen Seiten der Künstler in künstlerisch auffälliger Schrift festgehalten hat: ALLEN LIEBENDEN • DEIN FLÜGEL • WINDSBRAUT. Auf ihm haben sich, wenn ich richtig gezählt habe, sieben erwachsene Personen versammelt, aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammend, die, zum Teil ineinander verknäult, um den anderen wegzudrängen, bestrebt sind, am Baum emporzuklettern. Sie wollen das Liebespaar vom Rücken des Kranichs herabziehen.



In der Gestaltung dieser auffälligen Personengruppe durch den Künstler wird deutlich, wie groß der Unmut, ja die Wut auf das Liebespaar ist. In den Märchen, egal aus welchem Land sie stammen, gibt es immer auch Szenen, die Gefährliches darstellen. Aber, das Gute siegt! So ist es auch in dieser metallenen Brunnenfigur durch Karl Lemke dargestellt worden – der Kranich breitet die Flügel aus und fliegt mit ausgestrecktem Hals von dieser Stelle ins Weite, rettet das Liebespaar. Das Böse bleibt zurück.
Heidelore Kneffel