EAE oder Notunterkunft in Nordhausen

Wer wusste was und wann?

Freitag
24.11.2023, 19:24 Uhr
Autor:
psg
veröffentlicht unter:
Nicht mehr lange und wir alle marschieren in die vorweihnachtliche Zeit. Advent - Zeit des “Zur Ruhe Kommens”. Zeit der Besinnung. Doch in diesem Jahr könnte es in Nordhausen ein wenig anders kommen. Die zu Ende gehende Woche erwies sich als Vorbote einer unruhigen Zeit…

Der Innenhof des ehemaligen Reemtsma-Geländes (Foto: privat) Der Innenhof des ehemaligen Reemtsma-Geländes (Foto: privat)
Es war der Montagabend, da überraschte die nnz ihre Leserschaft mit der Nachricht, dass unsere Landesregierung Nordhausen als Standort einer Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) auserkoren hat. Ob das daran liegt, dass die Rolandstadt wie Gera von einem parteilosen Stadtoberhaupt verwaltet wird, ist nicht zu belegen. Zu belegen ist auch nicht der zeitliche Ablauf dessen, was in den Tagen danach, vor allem aber zuvor, passierte. Wir haben eine Rekonstruktion versucht.

Gestern gab Landrat Matthias Jendricke zu Protokoll, dass er erst vor einer Woche, also am 17. November, davon Kenntnis habe, dass das Land Thüringen im Rahmen eines sogenannten Markterkundungsverfahrens auch einen Standort in Nordhausen favorisiere. Schnell sickerte durch, dass es sich dabei um das ehemalige Finanzamt in der Gerhart-Hauptmann-Straße handele. Das Objekt bietet sich an. Viele kleine und große Büros, die schnell zu Unterkünften umgebaut werden können. Darüber hinaus gibt es Teeküchen und sanitäre Anlagen. Dass das Bereitstellen von Asylunterkünften lukrativer sein kann als das Betreiben einer Seniorenresidenz, hat sich vor allem bei Investoren in Bayern oder Baden-Württemberg herumgesprochen.

Wie weit die Gespräche zwischen dem Land Thüringen und dem Eigentümer gediehen sind, wird sich in der kommenden Woche zeigen. Dann nämlich will die Thüringer Staatskanzlei einen Standort für eine weitere EAE benennen. Landrat Matthias Jendricke hat damit ein Problem, vor allem mit einer EAE an diesem Standort. Und so zieht er ein Ass aus dem politischen Ärmel: eine Notunterkunft. Die könnte unter den Standards einer Gemeinschaftsunterkunft liegen, was auch immer das bedeutet. Vor allem könne man Zeit gewinnen.

Unvorbereitet hinsichtlich einer Alternative sind der Landrat und die kreiseigene Service-Gesellschaft scheinbar nicht. Informationen der nnz zufolge schauten sich Mitarbeiter der “Service” schon seit dem 9. November das Areal an der Straße der Genossenschaften an. Gesichtet wurden bei weiteren anschließenden Begehungen nicht nur Mitarbeiter der “Service”, sondern auch von Ingenieurbüros, der Berufsfeuerwehr und Handwerksfirmen. Bei Beratungen sollen Kosten von rund 3,5 Millionen Euro an Investitionen oder 40 Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen die Runde gemacht haben. Aber es könnte auch andere Probleme geben. Rund 20 Firmen und Privatleute sollen sich auf dem Areal eingemietet haben, Reemtsma selbst hat noch Lagerflächen von 700 Quadratmeter.

Sicher gibt es für alles eine Lösung, auch für die fehlenden Sanitäranlagen, doch Fakt ist unterm Strich für diese Woche: Nordhausen wird sich auf mindestens 500 Flüchtlinge einstellen müssen. Und das vermutlich schon ab dem 15. Dezember.

Die CDU und die FDP haben sich in ersten Statements bereits gegen die weitere Aufnahme von Flüchtlingen in Nordhausen ausgesprochen. Linke und Grüne werden noch nach entsprechenden Formulierungen suchen, wenn sie denn über ihren eigenen politischen Schatten springen sollten. Der Großteil der Menschen in dieser Stadt ist einfach nur fassungslos. Ein kleiner Teil wird sich freuen, dass die Rolandstadt noch ein wenig bunter wird. Schließlich habe man das immer so gewollt.

Ist das alles noch zu verhindern? Politisch nein, baurechtlich kaum. Die entscheidende Behörde ist das städtische Bauordnungsamt, wie der Landrat mitteilt. Und das wissen die Beamten in Erfurt auch und so machte sich Bodo Ramelow höchstselbst in dieser Woche auf den Weg ins Rathaus. Die Stadtverwaltung bestätigte dessen Besuch gegenüber der nnz. Es sei ein “Arbeitsbesuch ohne Ergebnis” gewesen.

Das klingt so, als ob der Ministerpräsident alle zwei Wochen zufällig in Nordhausen weilt. Die entsprechenden Schlüsse mag jeder selbst ziehen. Wie die Menschen in dieser Stadt und im Landkreis mit der neuen Situation umgehen, bleibt abzuwarten. Einige Kenner der Szene meinen, der Druck im Kessel sei noch nicht stark genug, andere wiederum gehen davon aus, dass nur ein einziger kleiner Tropfen in den kommenden Tagen und Wochen das “Fass” zum Überlaufen bringen kann.

Ob da die Besinnlichkeit der Vorweihnachtszeit auf der politischen Strecke bleibt, muss abgewartet werden. Eigentlich wurde an der Basis, also in den Städten und Gemeinden dieses Landes, schon zu lange abgewartet. Die Auswirkungen dieses in Berlin und auch in Erfurt verursachten Zustandes können nun nicht mehr mit immer mehr Geld übertüncht werden. Ein 100-Euro-Schein kann keine Kinder unterrichten.
Peter-Stefan Greiner