Anwohner wollen sich gegen neue Stromstrasse wehren

Drahtseilakt vor Uthleben

Mittwoch
22.11.2023, 11:10 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Deutlich höher und näher dran am Dorf - in Uthleben sorgt man sich um die Planungen für eine neue Stromtrasse. Eine Interessengemeinschaft will sich wehren, steht aber vor einigen Hürden, wohl auch, weil die Verwaltung nicht rechtzeitig reagiert hat...

Übersichtsplan der möglichen Korridore, welche von 50 Hertz untersucht wurden. Die Bundesnetzagentur hat die Variante S6 + S7 festgelegt. Die IG fordert die Variante S17a + S17b. (Foto: M. Hesse) Übersichtsplan der möglichen Korridore, welche von 50 Hertz untersucht wurden. Die Bundesnetzagentur hat die Variante S6 + S7 festgelegt. Die IG fordert die Variante S17a + S17b. (Foto: M. Hesse)


Rund 155 Kilometer lang ist die Stromtrasse zwischen Lauchstädt bei Halle und dem Umspannwerk Vieselbach bei Erfurt. Bis Wolkramshausen fließt der Strom über eine 220 kV-Leitung in Ost-West Richtung und wird dann gen Süden geschickt. Gebaut wurde das alles zwischen 1965 und 1988. Heute ächzt das alte Netz unter der Belastung moderner Anforderungen, kräftigere Leitungen müssen her und das möglichst zügig.

Wie schnell zügig ist liegt freilich im Auge des Betrachters. Die ersten konkreten Schritte zum Netzausbau durch die Firma „50 Hertz“ datieren auf das Frühjahr 2020, die Inbetriebnahme peilt man für das Jahr 2028 an. Dem voran gehen ein Spalier an Planungen, Verfahren, Prüfungen, Genehmigungen, Konkretisierungen und neuerlicher Überprüfung. Knappe drei Jahre später ist man nun soweit, dass der Korridor, in dem die neue Trasse gebaut werden soll, feststeht. Die Gretchenfrage ist nun, wo genau die Trasse verlaufen soll und der Vorschlag des Projektträgers führt zu einigem Unmut in Uthleben.

Die alte Leitung verläuft in Sichtweite der 1.200 Seelen-Gemeinde, der Neubau könnte laut aktuellem Planungsstand nun aber bis zu 60 Meter näher an den Ort heranrücken und wäre dann nur noch knappe 200 Meter entfernt. Zudem würden die neuen „Donaumasten“ in etwa doppelt so hoch ausfallen, wie die alten Modelle. Sorgen macht man sich nicht nur um die Aussicht, sondern auch um die Gesundheit. Die stärkeren Leitungen bringen auch stärkere elektromagnetische Felder mit sich, kritisiert die im April gegründete „Interessengemeinschaft 380 kV Uthleben“.

Eine gesetzliche Regelung zum Mindestabstand gibt es auf Bundesebene wie auch im Freistaat nicht, dass Bundesamt für Strahlenschutz legt aber Grenzwerte für niederfrequente elektrische Felder fest. An „Orten des dauerhaften Aufenthalts“ dürfen die nicht überschritten werden. Wie nah zu nah ist, darüber herrscht Uneinigkeit, die IG verweist auf Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und wissenschaftliche Ausarbeitungen, die auf einen Abstand von rund 600 Metern hinauslaufen würden und auf die Regelungen in anderen Bundesländern, die etwa die (teurere) Verlegung von Erdkabeln vorschreiben.

Eine anderer Trassenverlauf ist möglich
Die neue Leitung muss weg vom Dorf, dass ist der Standpunkt der IG und Alternativen gibt es aus Sicht der Uthlebener. Im Zuge der Planungsverfahren wurden verschiedene Korridore zur Diskussion gestellt, unter anderem eine Variante, welche die Leitungen am Ort vorbei entlang der A38 geführt hätte. Dem Stand damals allerdings der Naturschutz und das Bergbaurecht entgegen - die Vogelwelt am Möwensee und der Kiesabbau wurden als Barrieren betrachtet, die Alternative verworfen. Das war allerdings vor dem „Netzausbaubeschleunigungsgesetz“, welches diese Hindernisse im Nachgang ausgeräumt hätte, argumentiert man in Uthleben. Die Variante wäre laut der IG also wieder im Spiel und käme den Bauherren der Firma 50 Hertz sogar günstiger.



Hier verweist man auf die Bundesnetzagentur, denn die Entscheidung, in welchem Korridor gebaut wird, obliegt nicht der Firma, sondern der Behörde und werde auf Grundlage der zum Zeitpunkt der Entscheidung gültigen Gesetze getroffen, erklärt Jan Rössel, der bei 50 Hertz für die Öffentlichkeitsbeteiligung im Projekt „Netzanbindung Südharz“ zuständig ist.

Wo war die Heringer Verwaltung?
Für eine Neuplanung des Korridors, der zentralen Forderung der Interessengemeinschaft, stehen die Zeichen schlecht. Die Würfel sind scheinbar gefallen und das schon vor einiger Zeit, die kritischen Anmerkungen aus dem Ort kommen womöglich zu spät. „Entscheidende und bedeutsame Termine“, wie die Antragskonferenz und Erörterungstermine, hätten „nicht ortsnah und zu arbeitnehmerfreundlichen Zeiten“ stattgefunden, kritisiert die IG in einer Stellungnahme der IG für den Thüringer Landtag.

Tatsächlich hat es im Vorfeld eine ganze Reihe an Informationsveranstaltungen entlang des gesamten Trassenverlaufs gegeben, es wurde sowohl in der gedruckten Zeitung wie auch online und in den Amtsblättern informiert, man war mit einem Info-Mobil unterwegs und die Dokumentation der einzelnen Schritte im Netz ist umfangreich und ausschöpfend. Das hier gekleckert wurde kann man dem Projektträger nicht vorwerfen, man ist eher über das vom Gesetzgeber geforderte Maß hinausgegangen.

Der Knackpunkt liegt an anderer Stelle. Es kann und sollte nicht Aufgabe der Bürger sein, bei jeder Planungsveranstaltung in fachlicher Tiefe Gegenrede zu geben, das ist zentrales Verwaltungshandeln, insofern muss auch nicht jede Beratung „ortsnah und arbeitnehmerfreundlich“ sein. Wenn die Verwaltung denn handelt.

Zum Aufgebot im Informations- und Beteiligungsreigen gehörte unter anderem auch die Einladung der Bundesnetzagentur zu einer Veranstaltung in Staßfurt im Dezember vergangenen Jahres. Bei dem Erörterungstermin hätte man noch Einwände und Widerspruch einbringen können, allein Uthleben ist durch die Landgemeinde Heringen nicht vertreten. Der Eingang der Einladung ist im Rathaus verzeichnet, bestätigt Heringens Bürgermeister Matthias Marquardt, warum die Gemeinde es verpasste teilzunehmen vermag er nicht zu sagen. Den Schuh muss sich aber auch Marquardt nicht anziehen, der Vorgang fällt noch in die Legislatur seines Amtsvorgängers, der aus gesundheitlichen Gründen längere Zeit indisponiert war. Marquardt selbst ist erst seit April diesen Jahres Bürgermeister im Heringer Rathaus und versteht den Unmut in Uthleben durchaus.

Die Diskussionsbasis im Planungsprozess bilde im Moment der Korridor entlang der alten Trasse. Der ist durch gesetzliche Änderungen von rund 1000 Meter Breite auf 400 Meter geschrumpft, Abseits einer grundsätzlichen Änderung der Trassenführung habe der Projektträger also de facto einen Spielraum von rund 200 Metern - entweder näher an die Ortslage heran oder weiter weg. Weiterhin müsse geprüft werden, ob nicht andere Masten verwendet werden können, die dann breiter statt höher ausfallen würden, so Marquardt.

Konkreter kann es Projektverantwortliche Rössel erklären. Der Vorschlag von 50 Hertz bis zu 60 Meter an die Siedlung heranzurücken ist eine von drei Optionen. Variante zwei würde die Trasse weiter gen Süden verschieben, also weg vom Ort, käme dabei aber möglicherweise in Konflikt mit einer nahen Bungalowsiedlung. Variante drei wäre der „achsgleiche“ Ausbau, also entlang der bestehenden Trasse. Möglich wäre das über temporär errichtete Masten als Provisorium um den Stromfluss nicht zu stören, was aber aufwendiger und teurer kommen dürfte. „Diese Varianten in dem von der Bundesbehörde vorgegeben Korridor müssen jetzt verglichen und geprüft werden, dass ist ein festgelegtes Verfahren nach strenger Methodik. Im Frühjahr werden wir mehr wissen und dann sind wir auch wieder in Uthleben und Heringen, werden über den Stand der Dinge informieren und uns die Stimmen vor Ort anhören“, sagt Rössel.

Die IG versucht derweil, alle Hebel in Bewegung zu setzen um die Trassenplanung noch zu beeinflussen. Über den Thüringer Landtag hat man eine Petition auf den Weg gebracht, für die in Uthleben und den umliegenden Orten Unterschriften gesammelt werden. Die Petition findet sich auch online und kann aktuell noch 12 Tage mitgezeichnet werden.

Sollte der Planungslauf noch einmal grundsätzlich umgestellt werden, könnte abseits juristischer Schritte politischer Druck der einzig gangbare Weg sein, denn der entscheidende Adressat für die Sorgen der Uthlebener ist letztlich nicht der Projektträger 50 Hertz, sondern die Bundesnetzagentur.
Angelo Glashagel