Theater Nordhausen

Urlaubsidylle auf der Bühne

Mittwoch
08.11.2023, 12:40 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Bühnenbildnerin Birte Wallbaum vom Theater Nordhausen verrät im Gespräch mit Chefdramaturgin Juliane Hirschmann, was in der Produktion "Im weißen Rössl" auf der Bühne zu sehen ist und was es braucht, bis alles fertig ist und bespielt werden kann...

Ist unsere Produktion von »Im weißen Rössl« deine erste Begegnung mit dieser weltberühmten Revue-Operette?

»Im weißen Rössl« war das erste Stück, mit dem ich mich im Studium beschäftigt habe, für das ich selber einen Ausstattungsentwurf machen musste. Das ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Ich habe schon damals die Musik so geliebt, fand den Text so klug, auch ein bisschen böse. Da ist unter dem Deckmantel von Urlaubsidylle ganz viel verborgen. Das sollte auch in das Bühnenbild einfließen. Ich habe das damals noch nicht so richtig gelöst bekommen, die Kostüme waren ganz toll, aber beim Bühnenbild hat es dann gehakt. Umso schöner ist es, das Stück Jahre später mit mehr Erfahrung mal im »echten« Leben zu machen. Und ich glaub auch, dass ich da nun gemeinsam mit Regisseur Benjamin Prins eine tolle Lösung gefunden habe.

hefdramaturgin Juliane Hirschmann hat mit der Bühnenbildnerin Birte Wallbaum über die Entstehung des Bühnenbildes und die Produktion gesprochen. (Foto: Theater Nordhausen) hefdramaturgin Juliane Hirschmann hat mit der Bühnenbildnerin Birte Wallbaum über die Entstehung des Bühnenbildes und die Produktion gesprochen. (Foto: Theater Nordhausen)


Wie bist du vorgegangen?

Ich habe erstmal einen ganz realistischen Entwurf gemacht und dachte aber, dass dieser dem Stück irgendwie nicht gerecht wird, diese Herangehensweise ein bisschen langweilig ist.

Das Werk ist ja auch so spritzig, hat so eine Verve, da sind die 20er Jahre drin, es ist lustig und komisch, manchmal auch ganz bewegend. Dann spielt das »Rössl« natürlich mit den Klischees, es gibt diese einfallenden Urlaubs-, Touristenhorden, diese österreichische Wolfgangsee-Idylle, in der alles stattfindet. Sie wird immer wieder gebrochen und karikiert. So wird das alte Paprika-Huhn serviert, der Regen prasselt runter in eigentlich der schönsten Situation.

Das Stück hat aber natürlich auch einen Showcharakter mit den Tanznummern. All das sollte sich im Bühnenbild für diese Operette wiederfinden, die aber auch in den verinnerlichten Momenten ganz ruhig werden kann. Über diese Fotoidylle und die Touristenschwärme bin ich zu diesem überdimensionalen Fotoapparat gekommen. Dazu passen diese freudigen rot-weiß-karierten Wände und der österreichische Herzchenboden. Das alles ist auch mehr Schein als Sein, bisschen dekonstruiert und nicht 1:1 auf die Bühne gebracht.

Was genau sehen wir?

Wir haben in der Mitte eine vier Meter hohe Kamera. Die kann von hinten begangen werden. Sie hat Knöpfe, einen Blitz, aus dem die Hochzeitsgäste fotografiert werden, und durch die Linse kommen die Touristenströme. Darüber befindet sich dreidimensional ein großes weißes Rössl. Die Kamera ist zugleich so ausgestaltet, dass man auf deren Vorderseite eine Hotelfassade erkennen kann, an der natürlich der berühmte Balkon zu sehen ist, geschmückt mit Geranien. Wird die Bühne gedreht, ist der Blick auf die Rückseite der Fassade freigegeben, die auch bespielt wird. Für den Kuhstall haben wir Kuh-Silhouetten, die reingeschoben werden können, es wird gemolken, es gibt Heuballen. Wir haben die Waldeinsamkeit, die Berge mit Steinen und Gipfelkreuz, wo sich Siedler und Giesecke hochschleppen müssen. Es gibt tanzende Murmeltiere.

Wie ist das: Das Bühnenbild wurde ja nicht im Bau- oder Möbelmarkt bestellt und einfach zusammengebaut …

Die Maße für die Arbeiten kommen alle von mir, ich zeichne komplette Plansätze, in denen auch in 3D zu sehen ist, wie das alles so sein soll, und baue ein Bühnenbildmodell. Die konkrete bauliche Umsetzung überlegen sich die Werkstätten unter der Leitung von Jonny Wilken in der Tischlerei, der Schlosserei und dem Malsaal. In welcher Materialstärke zum Beispiel eine Wand gebaut werden soll oder die Unterkonstruktion, was da Sinn macht. Vor Baubeginn machen wir eine Bauprobe, auf der provisorisch zum ersten Mal ganz grob das Bühnenbild gestellt wird, um zu sehen, ob die Maße und technischen Überlegungen aus dem Plan und aus dem Modell auch auf der Bühne funktionieren. Danach machen wir eine Werkstattabgabe mit allen Abteilungen und der Technik, die der Startschuss ist für die konkrete Umsetzung. In engem Austausch mit mir und den Anforderungen des Regisseurs wird im Detail geschaut, wie der Entwurf umgesetzt werden kann, von der Statik, bis zur Holzstärke, oder in welche Richtung sich eine Tür öffnen muss. Manchmal entscheiden wir noch etwas ganz anders, muss etwas umgedacht werden, weil es so wie ich es mir überlegt hatte, nicht funktioniert. Da haben dann die Kollegen vom Fach den rettenden Einfall. Zusammen lassen sich immer gute Lösungen finden.

Welche konkreten Herausforderungen hatten die Werkstätten für dein »Rössl«-Bühnenbild zu meistern?

Wir haben eine riesige Kulisse mit einer unüblichen Form. Die Linse zum Beispiel ist ja gebogen. Sie besteht, wie auch der größte Teil der Kamera überhaupt, aus Holz, aber darunter befindet sich eine Stahlkonstruktion, die unsere Schlosserei angefertigt hat. Dann hatten die Werkstätten auch mit diesem Karomuster zu tun, hier haben sie wegen der Farbabstufungen vier Schablonen verwendet, die übereinander gelegt sind. Das war sehr aufwendig. Dann haben die Kollegen das Rössl-Pferd geschnitzt, zuerst haben sie mehrere Blöcke aus Styropor zusammen geklebt, dann das Pferd darauf gemalt und schließlich ausgeschnitzt. Bei diesem gesamten Bühnenbild wurde insgesamt das ganze handwerkliche Können gefordert: Die Kollegen mussten Holz schneiden, in die richtige Form zurechtbiegen, malen, eine Plastik gestalten und vieles mehr.
Um das Ganze dann auf unsere Bühne zu bringen, kann die Kamera auseinander gebaut werden. Sie besteht aus verschiedenen Einzelteilen.

Wie lange haben die Kolleg:innen in den Werkstätten an dem Bühnenbild gebaut?

Die waren superschnell. Das Pferd zum Beispiel entstand in zwei Tagen. Vor der Sommerpause hatten wir Werkstatt-Abgabe, ab dem Zeitpunkt konnten die Kollegen beginnen, das Bühnenbild zu bauen. Sie hatten aber vorher ja aber noch den »Figaro« fertig zu machen und das Bühnenbild für »Dornröschen« zu bauen.

Was gehört darüber hinaus noch zum Bühnenbild?

Ein anderer Bereich ist natürlich noch das Licht. Das berücksichtige ich im Grundaufbau. Ich muss schauen, wo es überall Lichtquellen geben muss, die vielleicht auch im Bühnenbild eingebaut sind, der Scheinwerfer für den Blitz zum Beispiel. Außerdem haben wir noch LED-Stripes, die an den Gassenwänden an der Seite befestigt sind. Dann sitzen wir natürlich zusammen in der Beleuchtungsprobe, in der jede einzelne Szene ausgeleuchtet wird. Bei allem ist auch unser Beleuchtungsmeister Martin Wiegner dabei.

Hinzu kommt die enge Zusammenarbeit mit der Requisiten-Abteilung, von der alle beweglichen Bestandteile des Bühnenbildes kommen. Denn alles, was optisch gestaltet und konstruiert wird, geht über mich: Wie soll die Tischdecke aussehen, wie das Service, das darauf steht, wie der Henkel des Zinkeimers, damit das Ballett damit tanzen kann usw.

Auch mit unserer Kostümbildnerin Anja Schulz-Hentrich bin ich in engem Austausch, wir sitzen in einem Raum. Sie kennt das Bühnenbild von Anfang an. Dann sehe ich, dass sie Badeanzüge gefunden hat, die genau zu meinem Karomuster passen, oder die wunderbaren pastellfarbenen Schwimmreifen, die sich perfekt in den Seehintergrund einfügen, von den farblich abgestimmten wunderschönen Trachten und Kostümen der Hauptdarsteller un d Hauptdarstellerinninnen ganz zu schweigen.

Gibt es für dich Phasen in diesem ganzen Prozess, die für dich von besonderer Bedeutung sind?

Besonders aufregend ist die technische Einrichtung ca. drei Wochen vor der Premiere, also der Moment, in dem das ganze fertige Bühnenbild erstmals bei uns auf der Theaterbühne aufgebaut wird. Das ist für mich immer wie Weihnachten!

Musikalische Leitung: Julian Gaudiano
Inszenierung: Benjamin Prins
Bühne: Birte Wallbaum
Kostüme: Anja Schulz-Hentrich
Choreografie: Lukas Strasser

Zinzi Frohwein als Josepha Vogelhuber, die Wirtin zum »Weißen Rössl«, Marian Kalus als Zahlkellner Leopold und v.a.

Premiere: 1. Dezember, 19.30 Uhr, Theater Nordhausen, Theater im Anbau
Weitere Vorstellungen: 15.12., 30.12., 31.12.2023, 20.1., 9.2., 25.2.2024
Theaterkasse: 03631 6260555
kasse@theater-nordhausen.de
www.theater-nordhausen.de