Interview mit Selim Brad

Der Herr der Töne

Mittwoch
01.11.2023, 16:55 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Selim Mrad ist seit der Spielzeit 2022/2023 Tonmeister am TN LOS! Momentan betreut er tontechnisch die Wiederaufnahme des Musicals »Der kleine Horrorladen«...

Selim Mrad vor seinem Mischpult (Foto: TNLOS) Selim Mrad vor seinem Mischpult (Foto: TNLOS)

Eine besondere Herausforderung im Theater im Anbau ist, dass das Orchester hinter der Bühne sitzt und der Klang möglichst unverfälscht und natürlich in den Zuschauerraum übertragen werden muss. Absprachen mit dem musikalischen Leiter über Klangästhetik gibt es dazu bereits im Vorfeld.

nnz: Wie bereitet ihr als Tonabteilung gerade in diesem speziellen Fall eine Aufführung vor?
Selim Mrad:
Schon im Vorfeld, wenn wir den Klavierauszug und die Partitur bekommen, machen wir je nach Instrument oder Instrumentengruppe eine Mikrofonliste. Auf Basis dieser Liste bereiten wir ein Projekt (Session) im Mischpult, in dem alle Mikrofonsignale zentral zusammenlaufen. Das Klangbild wird anhand der Mischung dieser Signale gemacht. Unser Ziel ist es, den Klang dem Zuhörer in natürlicher Weise im Raum wiederzugeben.

Im Musical kommt noch hinzu, dass die Stimmen der Sängerinnen und Sänger mit Mikroports übertragen werden.
Genau, auch hier bereiten wir nach Textbuch und Klavierauszug eine Liste vor, wann welcher Port an sein muss. Da erfolgt selbstverständlich eine Programmierung vom Pult im Vorfeld.

Arbeitet ihr auch mit bestimmten Effekten?
Ja, man kann bestimmte ästhetische Audioeffekte programmieren, zum Beispiel verleiht Flanger der Gitarre einen eher »faserigeren« Klang, es ist eine Art Zeitverzögerung, die als Schwankungen der Tonhöhe wahrgenommen wird, dadurch wird der Klang dynamischer, so ein bisschen spacig. Aber so etwas muss natürlich vorab mit der musikalischen Leitung abgesprochen werden, ob es gewollt ist.

Du kannst aber auch künstlerische Gestaltungsvorschläge machen?
Ja, ab und an kommt ein kreativer Touch dazu. Zum Beispiel hatte ich bei »Horrorladen« vorgeschlagen, dass die Stimme der Pflanze gepitcht werden könnte, also die von Marvin Scott. Dadurch klingt die Stimme dann gruselig verzerrt tiefer. Leider passiert es dabei, dass das Ganze langsamer wird. Der Regisseur Ivan Alboresi hatte den Effekt am Anfang gemocht, aber es funktionierte tempomäßig mit der Band nicht, da Marvin seine natürliche Stimme hörte, diese aber verlangsamt draußen ankam. Jetzt habe ich der Stimme der Pflanze nur etwas mehr Raum und Hall gegeben.

Vorab gibt es beim Musical immer einen sogenannten Soundcheck …
Ja, hier stimmen wir die Klangfarben ab, damit es auch ein einheitliches Klangerlebnis wird. Wir können mit Audioeffekten die Stimme geringfügig verändern. Das, damit sie trotz Übertragung natürlich klingt und die Sprachverständlichkeit nicht leidet. Der Raum verändert den Klang. Eine dieser Veränderungen entsteht zum Beispiel durch die Absorption. Durch Luftfeuchtigkeit, Samtstühle und Menschen werden hohe Frequenzen einfacher absorbiert.

Da musst du ja auch ziemlich viel Ahnung von Stimmen, überhaupt von Musik haben. Du spielst auch super Klavier.
Ich spiele seit meinem 7. Lebensjahr Klavier und studierte sogar ein Jahr lang in Tunesien Gesang. Das Wissen um Gesangstechnik hat mir bei der Begleitung geholfen, wo und wie ich mit den Sängerinnen und Sängern atmen soll, damit man »mit der gleichen Welle schwingt«. Die Gesangslehrerin fand ganz gut, wie ich singe, und hat mich ermutigt, mit ihr ein Jahr weiter Gesangstechnik zu studieren. Das Verständnis von Stimmen hilft mir jetzt bei der Kommunikation mit den Sängerinnen und Sängern und stärkt auch ihr Vertrauen in mein Tun.

Die Musik ist das eine, aber musst du nicht ebenso viel Wissen auf technischem Gebiet haben?
Genau, Elektrotechnik, Informatik, Digitalaudiotechnik, Psychoakustik – also, wie das Ohr funktioniert, Raumakustik, musikalische Akustik – wie der Ton von einem Instrument, z. b. der Ton einer Geigensaite, entsteht, dann die ganzen physikalischen Phänomene, die mit der Musik in Bezug stehen, das lernt man im Studium.

Beim Studium gibt es dann auch Gehörbildung, und ein Instrument sollte man auch spielen können, was noch alles?
Genau, Klavier ist obligatorisch, auch, wenn man ein anderes Hauptinstrument hat, dann kommen noch Musikwissenschaft, Gehörbildung, Musiktheorie als die wichtigsten Grundlagen hinzu.

Wo hast du studiert und wie lange dauert so eine Ausbildung?
In Detmold, an der Hochschule für Musik. Bachelor sind vier Jahre und dann Master zwei Semester. Im Moment bin ich noch im Master, ich habe alle Fächer absolviert, muss jetzt nur noch die Masterarbeit beenden. In Tunis hatte ich vorab schon drei Jahre Filmtontechnik gelernt. Das ist ein reines Technikstudium in Richtung Filmton, Filmmusik.

Wie entstand der Wunsch, Tonmeister zu werden?
Nach dem Abitur wollte ich unbedingt etwas mit Musik machen, am liebsten mit Klavier. Es war ein Vorschlag von meiner Klavierprofessorin, die meinte, dass ich auch in Physik und Mathematik stark wäre und die Kombination mit Klavier eine gute Voraussetzung für ein Tonmeister-Studium in Deutschland in Detmold sei. Dann habe ich die Bedingungen für die Aufnahmeprüfung gesehen und erst einmal gedacht, dass ich das nicht schaffe. Ich musste mir die Chancen für eine Aufnahmeprüfung erst erarbeiten. Ein Jahr habe ich in Deutschland einen Sprachkurs absolviert und in Saarbrücken an der Uni ein Semester Musikwissenschaften studiert, um in die Aufnahmeprüfung zu gehen. Nebenher habe ich Minijobs gemacht und meine Eltern haben mich unterstützt.

Du hast nicht nur Klavier, du hast auch das Spielen der Oud gelernt …
2006 habe ich mein arabisches Musikdiplom abgeschlossen, danach habe ich zwei Jahre Oud gespielt, es dann abgebrochen, weil mir die Zeit fehlte. Mein Instrument ist nun daheim in Tunesien, mein Vater ist in Rente und spielt jetzt Oud. Ich habe ihn dazu inspiriert. Unlängst habe ich mir eine Geige gekauft und angefangen, Geige zu spielen, auch ein Lebenstraum von mir. Ich lerne momentan mit Youtube und PDF. Wenn man versteht, wie die Saitenverhältnisse mit Intervallen funktionierten, hilft das, nur üben muss ich. Aber so ein Kinderlied klappt schon.
Was war tontechnisch so das Verrückteste, was du produziert hast?
Ich durfte mit der Stockhausen-Stiftung für Musik unter der Leitung von Kathinka Pasveer ein Event mit Musik des Komponisten Karlheinz Stockhausen »Der Gesang der Jünglinge« und »Orchesterfinalisten« beschallen. Es ist eine dreizehnminütige und sechsundvierzigminütige 8-Kanal-Komposition (Kubus Prinzip). Stockhausen hat ganz genau geschrieben, wie hoch der Pegel zu sein hat, wieviel Kabelmikrophone vorhanden sein müssen und wie alles im Raum verteilt erklingen soll. Das war das Abgefahrene. Man muss alles ganz genau verfolgen, mitlesen, die Instrumente hören, geschriebene Zeit befolgen, um rechtzeitig Einspieler abzuspielen. Es war herausfordernd, genau das herzustellen, was Stockhausen wollte. Wir waren vier Leute, die das Projekt betreut haben.

Gerade in der neuen Musik ist die Arbeit des Tonmeisters ja oft Teil des Kunstwerkes.
Ja, während des Studiums habe ich z.B. ein Werk des französischen Komponisten Fabien Lévy mit zwei Studienkollegen aufgenommen. Hier sollten sich die philosophischen Gedanken des Werkes auch im klanglichen Erlebnis widerspiegeln. Ich habe alles nachträglich in 3D gemischt, die Lautsprecher entsprechend positioniert und so die Sänger zum Beispiel als Götterstimmen im Raum verteilt. Die Musik sollte sich im Kopf der Hörer abspielen. Mit dieser Arbeit habe ich den 3D-Audio-Production-Competition in Ambisonics für Studierende gewonnen.

Nun zum Kontrastprogramm – Thema Pleiten, Pech und Pannen – ist schon mal was schiefgegangen?
Während einer Produktion habe ich einmal einen Einspieler mit Orchester aufgenommen und dann das Ganze aus Versehen mit einer anderen Session überschrieben – also alles, und damit eine halbstündige Produktion gelöscht. Zum Glück konnten wir die Aufnahme wiederholen. Seitdem mache ich mindestens drei Backups. Das passiert mir nie wieder.