Thüringen trägt Beschlüsse zur Umsetzung des Asylrechts mit

Umfassende Forderungen der Ministerpräsidenten

Dienstag
17.10.2023, 15:07 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Bodo Ramelow berichtete heute im Thüringer Kabinett über die Ergebnisse der Jahreskonferenz der Regierungschefs der Länder. Besonders beim Thema Asyl und Migration kamen die Ministerpräsidenten zu Ergebnissen, die vor kurzem noch unvorstellbar gewesen sind...

Ein zentraler Schwerpunkt der Jahres-Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) war die Herbeiführung einer gemeinsamen Länderposition gegenüber dem Bund zur Frage der Finanzierung der asyl- und flüchtlingsbedingten Haushaltsbelastungen sowie zur allgemeinen Bewältigung der fluchtbedingten nationalen Herausforderungen. Mit ihrem „Beschluss zur Flüchtlingspolitik von Bund und Ländern – Gemeinsame Kostentragung“ gelang eine Einigung mit Blick auf die anstehenden Gespräche zur Flüchtlingspolitik mit dem Bundeskanzler am 6. November.

Ausgehend von immer größeren finanziellen und kapazitativen Problemen der Länder und Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung der Zuflucht suchenden Menschen unterstreichen die Länder die Notwendigkeit klarer und zielgerichteter Maßnahmen gegen unkontrollierte Zuwanderung und das Ziel, dass weniger Menschen nach Europa und Deutschland kommen, die keine Aussicht auf Bleiberecht haben und Menschen mit Bleiberecht solidarisch in der EU verteilt werden. Zur Verbesserung der Steuerung des Zugangs und der Rückführung fordern die Länder vom Bund
  • die Kapazitäten beim BAMF aufzustocken,
  • die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Rückführung zu intensivieren,
  • wirksame grenzpolizeiliche Maßnahmen nach Konsultationen mit den betroffenen deutschen Ländern zu ergreifen (bspw. stationäre Grenzkontrollen auch an den Grenzen zu Polen und Tschechien),
  • die Voraussetzungen zur Einführung einer bundesweit einheitlichen Bezahlkarte zu schaffen und dabei die Umsetzbarkeit in den Kommunen sicherzustellen,
  • zu prüfen, ob Abschiebungen unmittelbar aus den dafür zu schaffenden Einrichtungen des Bundes erfolgen können (z.B. an den großen deutschen Flughäfen),
  • die gesetzlichen Regelungen auf den Weg zu bringen, dass Asylverfahren für Angehörige von Staaten, für die die Anerkennungsquote weniger als fünf Prozent beträgt, in drei Monaten abgeschlossen werden.

Für den Bereich der Unterbringung, Betreuung und Integration sehen die Länder den Bund in der Pflicht
  • weitere Erleichterungen von bau- und vergaberechtlichen Regelungen sowohl für Geflüchtetenunterkünfte als auch für soziale Einrichtungen, Schulen und Kitas zeitnah umzusetzen,
  • eine gesetzliche Regelung im SGB II und ggf. auch für das SGB XII zu schaffen, mit der die Anrechnung von Sachleistungen auf den Regelbedarf ermöglicht wird,
  • die bestehenden Hürden für die Arbeitsaufnahme von Geflüchteten mit rechtlich gesicherter Bleibeperspektive zu beseitigen,
  • höhere Mittel für Integrations-, Sprach- und Erstorientierungskurse bereitzustellen,
  • zu prüfen, ob und wie eine Harmonisierung von kaufkraftbezogenen Sozialstandards in den EU-Mitgliedstaaten erreicht werden kann.

Zudem bekräftigten die Länder für den Bereich der Digitalisierung und Beschleunigung von Verfahren
  • den Umsetzungsprozess der am 15. Juni vereinbarten Maßnahmen weiterhin nachdrücklich voranzutreiben,
  • effektive Maßnahmen zur Beschleunigung der Asylverfahren zu ergreifen, sodass der Anhörungstermin spätestens nach vier Wochen erfolgt und die behördliche Entscheidung möglichst bereits während des Aufenthalts in der Erstaufnahme getroffen wird,
  • die Register im Migrationsbereich im Zuge der Umsetzung des Registermodernisierungsgesetzes möglichst früh in den Fokus einer bundesweiten Umsetzung zu nehmen,
  • mit der beabsichtigten Weiterentwicklung des AZR in eine zentrale bundesweite ausländerbehördliche IT-Plattform auch Verfahren zur Abwicklung der Zuweisung Geflüchteter zu integrieren, um eine gleichmäßige Verteilung entsprechend dem Königsteiner Schlüssel sicherzustellen.


Hinsichtlich der gemeinsamen finanziellen Lastentragung unterstreichen die Länder nochmals die Notwendigkeit eines „atmenden Systems“ und fordern eine Kostenbeteiligung des Bundes mit folgenden Komponenten:
  • eine allgemeine flüchtlingsbezogene Pauschale in Höhe von 1,25 Milliarden Euro (Ablösung der bisherigen Pauschale insbesondere für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, die im Übrigen auch Leistungen der Integration abdecken soll),
  • 5.000 Euro pro Kopf pro Erst- und Folgeanträge als Sockel für die Unterbringung und Versorgung,
  • zusätzlich bei jedem gestellten Asylantrag (Erst- und Folgeanträge) die Übernahme der Kosten von der Registrierung bis zur Erteilung eines Bescheides durch das BAMF mit einem Betrag von 1.000 Euro je Verfahrensmonat sowie für einen weiteren Monat bei ablehnenden Bescheid,
  • mindestens 10.500 Euro pro Person und Jahr als Höhe der vom Bund zu übernehmenden Kosten,
  • Anpassung der Beträge künftig jährlich an die inflationsbedingten Preissteigerungen,
  • Vollständige Übernahme der flüchtlingsbedingten Kosten der Unterkunft (Flucht-KdU) durch den Bund im Bereich des SGB II.


Der Freistaat Thüringen hat den Beschluss unter Abgabe einer Protokollerklärung mitgetragen, in der klare Zusagen des Bundes für ein Finanzierungssystem gefordert werden, das an der tatsächlichen Anzahl der zu versorgenden Menschen gebunden ist und auch die Kosten der Unterkunft umfasst. Es brauche zudem dringend ein gesamteuropäisches Handeln, das erstens die faire Verteilung der Geflüchteten gewährleistet, zweitens einheitliche Versorgungsstandards in den europäischen Staaten sicherstellt und drittens einen EU-Flucht-Fonds umfasst, der den aufnehmenden Kommunen und Regionen die Versorgungs- und Integrationsaufwendungen erstattet. Zudem sei der Bund gefordert, den Zugang zu regulärer und gemeinnütziger Beschäftigung rasch gesetzlich zu regeln.