nnz-Forum zum Thema Gipsabbau

Alternative Anhydrit

Sonntag
15.10.2023, 17:34 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
In den letzten Tagen gab es mehrere Veröffentlichungen bei nnz zum Thema Gips. Es ging um das Recycling von Gipsbaustoffen, um die Problematik Phosphorsäuregips sowie um Aussagen zur Alternativlosigkeit von Gips im Aus- und Trockenbau...

Zu letzterem Artikel gab es einen Kommentar mit dem Hinweis auch mal an den Einsatz von Anhydrit zu denken.

Der eine oder andere kann sich vielleicht noch an das Fach WPA in der 11./12. Klasse erinnern. Mich verschlug es in die Außenstelle des Institutes für Zement nach Niedersachswerfen. Das war mein erster Kontakt mit Gips und Anhydrit nun schon vor 54 Jahren. Es war ein bleibendes Erlebnis, das mein gesamtes Arbeitsleben prägte.

Nun aber zum Thema:
Leunit und gelbe Anhydritsteine dürften in unserer Region eigentlich nicht vergessen sein. Unter den Nachkriegsbedingungen wurde ab den Endvierziger Jahren nach Baustoffen gesucht, deren Ausgangsstoffe verfügbar und ohne großen Energieaufwand die Herstellung von Putzen, Estrichen und Bauelementen ermöglichen sollten. Mit Anhydrit wurde ein Calciumsulfat gefunden, dass nach Vermahlung mit Anregersalzen unter Zugabe von Wasser zu Gips umkristallisieren kann. Diese Eigenschaft machte man sich zunutze, um Baustoffmischungen für Putz, Estrich und Bauelemente herzustellen.

Das ehemalige, geplante und quasi unvollendet gebliebene, Zementwerk in Niedersachswerfen wurde als Baustoffwerk Hersteller für Anhydritprodukte. Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten lagen bei den Leuna-Werken in Niedersachswerfen, dem Institut für Zement Dessau mit der Außenstelle in Niedersachswerfen und dem Institut für Baustoffe in Weimar. In den Leunawerken wurden Baustoffmischungen auf Anhydritbasis entwickelt und hergestellt.

Hervorzuheben sind hier die dort entwickelten Fließestriche, die massenhaft im entstehenden industriellen Wohnungsbau zu Anwendung kamen. Im Institut für Zement lag der Schwerpunkt bei Entwicklungen im Bereich von Bauelementen auf Gips- und Anhydritbasis sowohl im Format der bekannten gelben Anhydritsteine als auch auf Bauelementen in Wandgröße.

Das Institut für Baustoffe in Weimar unterstützte diese Arbeiten mit seinen labortechnischen und wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten.
Mit dem am Anfang der Siebziger Jahre stark ansteigenden industriellen Wohnungsbau und der damit verbundenen Orientierung auf Betonbauteile wurde die Entwicklungsarbeiten im Bereich Anhydritsteine/-elemente eingestellt. Damit wurden die projektierten neuen Produktionstätten für Anhydritsteine zu den Akten gelegt. Die beiden im Landkreis Nordhausen befindlichen Anlagen in Niedersachswerfen und Nordhausen wurden quasi auf Verschleiß gefahren und letztendlich verschrottet.

Die Anhydritestriche erlebten allerdings im Wohnungsbau einen enormen Aufschwung, der sich bekannterweise bis heute fortsetzt. Nach 1990 wurde der eingesetzte Naturanhydrit allerdings auch in großem Stil durch synthetische Anhydrite und vor allem durch sogenannte thermische Anhydrite auf Basis von REA-Gips ersetzt.

Der zu erwartende Rückgang des REA-Gipses wird Versorgungslücken aufreißen und Naturanhydrit wird also auch hier wieder ein Thema. Hinsichtlich der Herstellung von flächigen Bauelementen ist das Thema Anhydrit auch unter energetischen Gesichtspunkten aus meiner Sicht noch nicht ausgereizt. Man sollte dem Anhydrit durchaus wieder eine Chance geben.

Allerdings müsste Grundlagenforschung betrieben werden, um effektiv dünnwandige Bauelemente herstellen zu können. Es wäre wünschenswert, wenn sich die Hochschule Nordhausen auch dieser Thematik annehmen würde.
Helmut Günther