IRONISCH BETRACHTET

Kommt der Versöhnungstrunk?

Donnerstag
12.10.2023, 20:05 Uhr
Autor:
psg
veröffentlicht unter:
Da verkündete dieser Tage ein Hamas-Führer: Mit Gottes Hilfe werden wir den Feind besiegen. Gemeint ist Israel. Auf der Gegenseite nehmen gläubige Juden den lieben Gott auch für sich in Anspruch, um mit seiner Hilfe die Hamas zu vernichten. Wofür der Allmächtige doch alles herhalten muss, wundert sich Kurt Frank...


Mit Gott sieht sich auch der oberste Kirchenfürst der russisch-orthodoxe Kirche, Patriarch Kyrill I, im Bunde. Das Wort des Patriarchen hat Gewicht in Russland. Doch das Wort Gottes nach Frieden und Versöhnung predigt er nicht, um so eifriger das des Präsidenten Wladimir Putin. Den Syrien-Einsatz der russischen Luftwaffe predigte er als gottgewollt, ebenso den Überfall auf die Ukraine, die er, wie der Präsident, eine notwendige „Spezialoperation" nennt.

Da fällt mir Pfarrer Redemann ein, der uns einst in Religion unterrichtete. Nichts geschehe auf der Welt ohne Gottes Willen, hämmerte uns ein. Ein Knabe hatte da seine Zweifel und fragte zaghaft: Auch Kriege mit den vielen Toten? Redemann zog die Stirn faltig, klopfte auf den Tisch und bekräftigte: Nichts geschehe ohne den Willen des Allmächtigen! Jeder Zweifel daran sei Sünde. Und ihr wollt doch nicht in der Hölle landen, drohte er.

Gewiss, Pfarrer Redemann war ein Geistlicher der alten Garde, fern jeder Realität. Jahrzehnte später lernte ich Dompfarrer Richard Hentrich kennen. Das Gegenteil eines Redemanns: Kein erhobener Zeigefinger, keine Drohung mit Fegefeuer und Hölle, Realitäts- und Bürgernah, aufgeschlossen gegenüber dem Neuen. Alle Übel dieser Welt hätten irdische Ursachen.

Das Gestern und das Heute lassen mich wiederum an den Appell verschiedener Kirchenvertreter an Landrat Matthias Jendricke denken. Die Vertreter Gottes auf Erden handelten im guten Glauben, mit ihrem Brief zum Frieden zwischen dem Landrat und dem Oberbürgermeister beitragen zu können. Und damit in Gottes Wort. Ob die Wortwahl auch im Einklang mit all ihren Gläubigen und realitätsbezogen war, vermag ich nicht zu beurteilen. Die Kirche dürfte um die Ursachen wissen, warum ihr immer mehr Menschen den Rücken kehren.

Es war und ist teilweise noch immer ihr Realitätsverlust, das Beharren auf alte Lehren, Dogmen und Ansichten. Sie waren es, die vielen Menschen, die anderer Meinung waren, das Leben kosteten. Die Kirche hielt sich bedeckt, duckte sich weg, verschwieg Skandale und dunkle Kapitel ihrer Geschichte. Einsichten erfolgten oft verspätet.

Und zu Einsichten soll nun auch Landrat Matthias Jendricke kommen. Er ist die Hauptperson im Kirchenbrief. Allerdings gibt es in dem Drama zwei Hauptdarsteller. Um in der Kirchensprache zu bleiben, haben wir es mit zwei „Sündern“ zu tun, die nicht frei von Fehlern sind. In dem Appell und in der Versöhnungsforderung von Kreistagsmitgliedern (nnz berichtete) vermisste ich daher auch ein mahnendes Wort an den Oberbürgermeister, in sich zu gehen, sich zu seinen Verfehlungen und Schwächen ohne Scheu offen zu bekennen. Eine Axt sollte da außen vor bleiben. Ein Heiliger ist auch er nicht.

Auch wenn das Gericht die Verfehlungen des Kai Buchmann als nicht so schwerwiegend sieht und endgültig grünes Licht für eine weitere Amtszeit gibt, werden er und Jendricke nicht umgehend die Friedenspfeife rauchen. Zu tief sind mittlerweile die Gräben zwischen ihnen. Erst im Prozess der Arbeit wird sich zeigen, wie ernst es Beide mit einem Miteinander und mit Gottes Wort nach Frieden und Versöhnung nehmen. Über ihren Schatten müssen beide springen.

Hier könnten Kirchenvertreter gute Vorarbeit leisten. Die Kirche will nicht steif und verkopft sein, Whisky hilft, war zu lesen. Die Blasii-Gemeinde will es jetzt mit einem biblischen Whisky-Tasting versuchen und hofft auf Zuspruch jenseits der Gottesdienstgemeinde. “Genussvoll glauben“, heißt es.

Warum sich nicht auch genussvoll versöhnen? Wie wäre es mit einer Einladung unter dem Dach Gottes zu einem Versöhnungstrunk? Es muss ja nicht unbedingt Whisky sein...
Kurt Frank