nnz-Kommentar von Olaf Schulze

Nordhausens seliges Dutzend

Mittwoch
04.10.2023, 20:15 Uhr
Autor
osch
veröffentlicht unter:
Als einen offenen Brief verschickten leitende Vertreter verschiedener christlicher Gemeinden der Stadt Nordhausen heute einen „Appell“, also eine dringende Aufforderung, an Landrat Matthias Jendricke, seine „Position zu überdenken“. Anlass des Schreibens ist ein Rechtsstreit zwischen der Kommunalaufsicht des Kreises Nordhausen und Oberbürgermeister Kai Buchmann, dem insgesamt 14 (vierzehn) Dienstvergehen im Amt vorgeworfen werden...

Landrat Jendricke sieht sich Vorwürfen der Nordhäuser Kirchenvertreter ausgesetzt (Foto: nnz-Archiv) Landrat Jendricke sieht sich Vorwürfen der Nordhäuser Kirchenvertreter ausgesetzt (Foto: nnz-Archiv)

Nachdem die Damen und Herren ihre Genugtuung darüber zum Ausdruck gebracht hatten, dass mit Gottes Hilfe „in unserer Stadt kein Platz für den Sieg der Demokratiegegner ist“, drücken sie auch gleich ihr Unverständnis über Jendrickes Reaktion als Landrat unmittelbar nach der Wahl aus. Der gab zu Protokoll, dass ein Verfahren gegen Buchmann wegen der erhobenen Vorwürfe weiterhin Bestand habe.

Das missfällt den Kirchenvätern und -müttern außerordentlich, denn sie fürchten, es drohe ein großer Vertrauensverlust in der Wählerschaft und ihre Überlegungen münden in der Frage: „Wenn jetzt wieder und weiterhin die alten Probleme angeführt werden – dient dies dann wirklich dem Wohl der Stadt?“

Die alten Probleme, also die Anklagepunkte gegen Buchmann, werden sich aber nicht in Luft auflösen, nur weil der die Stichwahl gewonnen hat. Es bleiben trotzdem beispielsweise viele e-mails in denen er als Dienstherr eine Angestellte gemobbt und bedroht haben soll. Es bleibt dabei, dass er den Stadtrat in der Frage des Erweiterungsbaus des Niedersachswerfener Herkules-Markt getäuscht hat. Und das Vertrauen der Wähler ist doch wohl schon vor der Wahl verspielt worden, als in der Kreisstadt eine traditionell große politische Partei gar keinen Kandidaten, zwei in Berlin an der Bundesregierung beteiligte Parteien unbekannte und am Ende peinlich abschneidende Alibikandidaten und eine große Volkspartei einen Parteilosen für das Amt des Oberbürgermeisters nominiert hatten.

Wo war da die Besorgnis der christlichen Anführer der Nordhäuser Gemeinden? Heute, nach einer denkwürdigen und für Nordhausen wenig schmeichelhaften Stichwahl kommen sie hinter ihren Altären hervor und stellen die richtigen Fragen: „Wer profitiert davon, wenn weiterhin die parteipolitischen oder persönlichen Scharmützel dazu führen, dass es zu einem politischen Stillstand kommt? Ist das nicht Wasser auf die Mühlen derer, die sich selbst als Alternative bezeichnen?“

Ja, liebe Kirchenvertreter, das ist es. Und das war es schon im August, als die ganze Farce ins Rollen kam. Warum haben Sie diese Fragen damals nicht gestellt, wenn Ihnen so am Wohl der Stadt gelegen ist?

Ganz schlimm wird der Brief aber kurz darauf, als die Hirten der Nordhäuser Christengemeinden den Boden des Glaubens verlassen und in gefühltes Wissen übergehen: „Wer jetzt versucht, ihn weiterhin bzw. erneut aus dem Amt zu entfernen, macht sich aus unserer Sicht für die nächste anstehende Wahl zum Steigbügelhalter der rechtsextremen Kräfte, die keinen Platz mehr in Deutschland mit seiner diesbezüglich verheerenden Geschichte haben sollten.“

Das ist echt harter Tobak, dem gestanden linken Sozialdemokraten Matthias Jendricke zu unterstellen, er unterstütze „rechtsextreme Kräfte“ und mache sich für diese zum „Steigbügelhalter“.

Wer jetzt versucht, Buchmann „weiterhin bzw. erneut aus dem Amt zu entfernen“ sind Anwälte und Juristen, die Fakten und die Einhaltung der Gesetze untersuchen und schließlich nach irdischen Gesetzen zu bewerten haben werden. Die machen sich nach der klerikalen Nordhäuser Logik dann auch verdächtig Steigbügelhalter „rechtsextremer Kräfte“ zu sein. Zugegeben, das Gerichtsverfahren ist ein säkulares Prozedere und entzieht sich deshalb den religiösen Wünschen unserer Nordhäuser Geistlichen; aber es hätte schon angenommen werden können, dass sie einen solchen Sachverhalt geistig erfassen.

Dem einen oder anderen Briefeschreiber schien dann doch aufgefallen zu sein, dass man wohl etwas zu weit gegangen ist, denn sie schieben zwei Sätze später nach: „Die juristische Klärung bleibt Aufgabe des Gerichts“. Na, Donnerwetter! Was für eine Erkenntnis!

Am Ende des Pamphlets kommen nach den Drohungen die guten Ratschläge für einen Landrat, der seit über zwei Jahrzehnten im Politikgeschäft erfolgreich tätig ist. „Setzen Sie den Erfolg der Demokratie nicht auf´s Spiel und helfen Sie, die so nötige Lösung der anstehenden Probleme voranzubringen! Sie beschädigen sonst das teils ohnehin geringe Vertrauen in das fragile Gebilde Demokratie.“ Das sind nicht wirklich konkrete Forderungen, aber immerhin zeigen diese weisen Worte dem widerborstigen Politiker im Falle seiner Uneinsichtigkeit die Sünde auf, die er begeht: Beschädigung des fragilen Gebildes Demokratie!

Ich persönlich empfinde es als traurig und unwürdig, mit welchem Hochmut hier jemand bekehrt und gegen geltendes Recht in Stellung gebracht werden soll. Die geistlichen Würdenträger sind aber noch nicht fertig mit Jendricke und werden am Ende sogar (Achtung Wortspiel!) prophetisch: „Wenn Ihre Auseinandersetzung jetzt nicht hinter den politischen Notwendigkeiten zurücksteht, werden sich noch mehr Menschen von der Demokratie abwenden. Das wäre der weit größere Schaden. Dann dürfte ein Wahlsieg der AfD nicht mehr abzuwenden sein.“

Offen lassen sie hierbei, ob sie einen Wahlsieg der AfD in der Stadtratswahl, Kreistagswahl, Landratswahl oder Europawahl befürchten. Aber das ist wahrscheinlich auch egal; Schuld daran wird allein Matthias Jendricke sein, wenn er nicht sofort Kai Buchmanns Verfehlungen ungeschehen macht. Es gilt also nichts weiter als ein Wunder zu wirken. Damit kennt man sich ja bekanntlich aus im Christentum.

Ich wage jedoch zu bezweifeln, dass der Landrat sich auch nur einen Millimeter von seiner Position bewegen wird (selbst wenn er es könnte, was aber nicht mehr geht, denn das Verfahren läuft so oder so weiter). Das hat er in der Corona-Krise eindrücklich bewiesen und unnachgiebig die geltende Rechtsposition vertreten und durchgesetzt.

Wie es der Zufall so will, sind es zwölf Unterzeichner des offenen Briefes. Die gleiche Anzahl Apostel hatte auch Jesus Christus. Der Pfarrer von Matthias Jendrickes Gemeinde (Frauenbergkirche) ist auch dabei. Da stellt sich mir zwangsläufig die Frage, ob denn das schriftliche Vorpreschen der Gemeindevorsteher überhaupt mit ihren Schäfchen abgestimmt wurde.

Als Überschrift des offenen Briefs der Nordhäuser Kirchenvertreter musste die Bergpredigt herhalten, in der Jesus sich mit Glaubensgrundsätzen an seine Jünger wandte. „Selig sind, die Frieden stiften“, zitierte das um Nordhausen besorgte Dutzend. Doch der Gottessohn hat dort auf dem Berge der Seligpreisungen auch noch andere erwähnt, die selig wären …
Olaf Schulze