nnz Betrachtung

Ein Neustart ist dringend nötig

Montag
25.09.2023, 14:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Kai Buchmann bleibt Nordhäuser Oberbürgermeister, die AfD unterliegt an der Wahlurne, die Stadt ist nun wieder beim „Status quo ante“. Alles beim Alten also? Damit es in Nordhausen weiter geht, wird man einige Schatten überspringen müssen. Zeit für eine erste Wahl-Nachlese…

Kai Buchmann bleibt Nordhäuser Oberbürgermeister (Foto: agl) Kai Buchmann bleibt Nordhäuser Oberbürgermeister (Foto: agl)


Die Rolandgruppe hat auf der Bühne vor einigen Jahren einen ihrer kreativen Ideen zum Besten gegeben: man sollte dem Landrat und dem OB eine Paartherapie sponsern, ein lauschiges Wochenende zu zweit, um die Differenzen der Beziehung zu überbrücken.

Nachdem die politischen Verhältnisse in Nordhausen nun wieder da sind, wo sie vor dem Wahltrubel waren, ist es an der Zeit den Scherz beiseite zu lassen und Ernst zu machen mit der Aussöhnung. Damit es in der Stadt weiter gehen kann und man nicht in all dem Drama der letzten Jahren hängen bleibt, werden einige Damen und Herren über ihre Schatten springen müssen, allen voran der Oberbürgermeister aber nicht er allein.

Das zweite Wunder Buchmann
Buchmann hat es ein zweites Mal geschafft, in der Stichwahl zu triumphieren, beide Male war es vor allem anderen eine Protestwahl. Vor sechs Jahren, als kein AfD-Kandidat auf dem Wahlzettel stand, war er für viele die „Alternative“ zum Altbekannten. Buchmann kam aus dem Nichts, von den Mitbewerbern und Parteistrategen unterschätzt und holte den Wahlsieg letztendlich mit deutlicher Mehrheit.

Der gestrige Urnengang war Wiederrum einer des Protests, nur eben gegen die AfD. Buchmann kam dabei einmal mehr wie aus dem Nichts, lange war nicht klar ob der angezählte Amtsinhaber überhaupt antreten würde. Die Justiz im Nacken, die Wahlunterlagen in letzter Sekunde abgegeben, kaum Plakate gehängt, zwei Wahlkampfauftritte zu Podiumsdiskussionen, ansonsten war vom OB nicht viel zu sehen. Dass er es in die Stichwahl schaffte, lag auch an fehlgeleiteten Strategien der Nordhäuser Parteienlandschaft, die im ersten Wahlgang deutlich abgestraft wurde.

Dass Buchmann schließlich als Sieger aus der Wahl hervorgegangen ist, hat er gleichsam nicht seiner Popularität in der Nordhäuser Bevölkerung zu verdanken, sondern dem Willen der Wählerschaft, einen Sieg der AfD zu verhindern. In den vergangenen zwei Wochen hielt sich der OB noch bedeckter als zuvor und auch aus den Parteibüros waren nur halblaute Stimmen zu hören. Den großen Protest hat die Zivilgesellschaft aufgemacht, dort kam die Mobilisierung her, die Buchmann nun wieder ins Amt getragen hat.



Kommt der nächste Akt im Rathaus Drama?
Unter normalen Umständen würde das nun bedeuten, dass Kai Buchmann weitere sechs Jahre die Geschicke im Rathaus lenkt und leitet. Der „Status quo ante“ war und ist aber kein normaler, das Verfahren gegen den OB läuft nach der Wahl weiter und es ist nicht ausgemacht, dass der Wahlsieger vor Gericht von aller Schuld freigesprochen wird. Ein Szenario ist denkbar, in dem Buchmann von Seiten der Justiz erneut des Rathauses verwiesen wird und dann müsste Alexandra Rieger übernehmen, die es aus eigener Kraft nicht auf den OB-Posten geschafft hat.

Was Rechtens war und was nicht, dass hat Justizia abzuwägen. Wie die Auseinandersetzung vor dem Scherbengericht der öffentlichen Meinung ausgehandelt wird, steht auf einem anderen Blatt. Im Außen hat das ziehen und zerren um das Rathaus schon im Wahlkampf kein gutes Licht auf die Nordhäuser Politik geworfen, führt man die Grabenkämpfe nun unvermittelt weiter wird sich der Abstieg der politischen Kultur nur noch beschleunigen. Sollte sich obiges Szenario bewahrheiten, wären die Bürgermeisterin und ihre SPD gut beraten die Finger vom Chefsessel zu lassen. Schon aus der Wahl hätte man sich personell heraushalten sollen, führt man den gescheiterten Weg mit anderen Mitteln fort, können die Vorwürfe geplanter, politischer Intrige nur substantieller werden. Ginge es weiter wie befürchtet, es wäre zum Schaden der Stadt, der Region, der Partei und der Demokratie. Eskaliert die „Causa Buchmann“ in den kommenden Monaten, muss der Stadtrat eine neutrale Lösung finden, die dem Verdacht jeglicher Einflussnahme erhaben ist. Die Zeit zu zanken und zu taktieren ist vorbei, die Wahl sollte die Frustration der Bürgerschaft für alle mehr als deutlich gemacht haben.

Ikarus stürzt
Der Wähler hat alle Parteien abgestraft, letztlich auch die AfD. Mit Jörg Prophet hatte man einen aussichtsreichen Kandidaten im Rennen und bei einem Stimmenanteil von 45 Prozent hat der eine Niederlage auf hohem Niveau eingesteckt. Verloren hat hier nicht der Kandidat allein, sondern zuerst die Partei. Der AfD hängt ihr gut dokumentierter Extremismus als Teil ihres Wesens wie eine bleierne Kette am Gelenk. Auch Jörg Prophet hat nachweislich auf dieser Klaviatur gespielt, wenn auch nicht im Wahlkampf selbst. Wie sehr es ihm letztlich geschadet hat und ob die AfD, wie so oft gefragt, „trotz oder gerade wegen“ derlei Rhetorik gewählt wird, ist schwer zu quantifizieren. Geholfen hat es offensichtlich nicht. Vor dem zweiten Wahlgang hat man sich dann noch die Leute eingeladen, die die Ouvertüre am rechten Rand der AfD schreiben und wie man hört stand gestern Abend auch der umstrittene Thüringer Parteichef Björn Höcke bereit, um bei einem Sieg triumphierend vor die Kameras zu treten. Es hat gereicht, die Kernwählerschaft abzuholen, das Plateau des ersten Wahlgangs konnte man aber kaum überschreiten. Der Rest der Wählerschaft hat sich abgewandt, aufgeschreckt vom starken Ergebnis im ersten Wahlgang und abgeschreckt von der parteitypischen Rhetorik der AfD.

Homo homini lupus
Lehrgeld haben an diesem Montag also alle zu zahlen. Der Oberbürgermeister kann nicht weiter machen wie bisher. Das Verhältnis zum Stadtrat muss dringend gekittet werden, offene und ehrliche Kommunikation mit den Fraktionen und der Öffentlichkeit muss an erster Stelle stehen. Es kann nicht sein, dass ein Oberbürgermeister primär über sein Rechtsamt agiert. Es reicht nicht, auf Paragraphen zu verweisen, dass Rathaus hat seine Arbeit und seine Entscheidungen gegenüber der Bürgerschaft ordentlich zu begründen und zu erklären. Ein paar Videos im Netz und die gelegentliche „FAQ“ auf der eigenen Website stellen keine ausreichende Öffentlichkeitsarbeit dar. Wie im Wahlkampf stillschweigen zu wahren, wird nicht reichen.

Alle Seiten müssen aufeinander zugehen, sich aussöhnen oder zumindest einen „modus operandi“ finden, der die Stadt nach vorne bringt und sie in die Lage versetzt, ihren Bürgern in schwierigen Zeiten zur Seite zu stehen. Das gilt für Buchmann genauso wie für die Fraktionen im Rat, wie auch für das Landratsamt. Die Gerichtsentscheidungen werden früh genug fallen, bis dahin muss gearbeitet, nicht gestritten werden.

Wird es den Beteiligten gelingen sich zurückzuhalten, die eigenen Schatten zu überspringen und der Gegenseite die Hand zu reichen? Der Mensch ist des Menschen Wolf heißt es und schon so manches wohlmeinende Vorhaben ist an der granitenen Wand des Egos, an Missgunst, Neid und persönlicher Antipathie gescheitert. Es wäre wünschenswert wenn man sich in Nordhausen über niederen Instinkt erheben und im Sinne eines größeren Wohls handeln könnte. Doch für den Moment bleibt dem Zuschauer des Stücks nichts übrig, als sich im Konjunktiv zu bewegen. Wohin die Reise geht, liegt nun in vielen Händen.

Schon im Mai kommenden Jahres stehen die Kommunalwahlen an und es bleibt nicht viel Zeit, Lehren aus dem Debakel zu ziehen. Wir mögen wieder am Ausgangspunkt sein, aber es kann und darf nicht weiter gehen wie bisher.
Angelo Glashagel