Offener Brief aus dem Dom

Eine Kerze gegen die Sorgen

Donnerstag
21.09.2023, 15:07 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Im Dom zum Heiligen Kreuz in Nordhausen gibt es eine bemerkenswerte Ecke. Pfarrer Steffen Riechelmann nennt sie gern „Sorgenecke“. Aus aktuellem Anlass soll hier demnächst auch eine "Nordhausen Kerze" brennen...

Hier wird an die Gefallenen und Opfer der Bombenangriffe der Domgemeinde aus dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Hier mahnt ein Stück Stacheldraht aus dem Lager Dora und lässt dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte sichtbar werden. Unser Totenbuch lädt zur Erinnerung ein. Für kleine oder große Sorgen kann man hier eine Kerze anzünden und eine Fürbitte hinterlassen. Wenn ich morgens eine Kerze anzünde, habe ich immer Anliegen dabei und starte den Tag mit einem Gebet für Menschen und Situationen.

Die "Sorgenecke" im Dom (Foto: Steffen Riechelmann) Die "Sorgenecke" im Dom (Foto: Steffen Riechelmann)


Und ich mache mir Sorgen. Um unsere Stadt. In diesen Tagen vor der Stichwahl lässt diese Situation niemanden kalt. Am kommenden Sonntag wird ein Oberbürgermeister für Nordhausen gewählt und diese Wahl spaltet die Stadt und wie man inzwischen hören kann, sogar das Land. Wahlempfehlungen machen die Runde. Manche wähne sich schon als Sieger, manches wirkt panisch, zumindest sorgenvoll und ich spüre, dass ich mit meinen Sorgen nicht allein bin.

Mich treibt aber noch mehr um, als die eigentliche Wahl. Ich frage mich unabhängig vom Wahlausgang, wie wir nach dieser angespannten Wahlkampfzeit ab dem 25. September in dieser Stadt miteinander leben wollen. Wie werden wir uns begegnen können auf der Straße, im Supermarkt, an der Arbeit, im Verein, im Freundeskreis? Wie können wir mit einer solchen Spaltung umgehen? Gehört nicht der Versuch einander zu verstehen dazu? Diese grundsätzliche Offenheit vermisse ich oft. Ein Versuch zu verstehen bedeutet doch nicht, dass ich mir die Positionen der Anderen zu Eigen mache. Aber dieser Versuch erinnert mich daran, dass es Menschen sind, über die wir sprechen, den Kopf schütteln oder uns ärgern.

Der Dom ist Sonntag für Sonntag ein Stück Heimat für Menschen mittlerweile auch aus verschiedenen Ländern der Erde. Insoweit ist unser kleiner Dom in Nordhausen auch ein Abbild unserer Gesellschaft. Wir nehmen das als Bereicherung wahr. Weltoffenheit und Toleranz sind deshalb für uns als Domgemeinde Verpflichtung und christlicher Auftrag. Mein Auftrag als Dompfarrer ist es, als Seelsorger für die Menschen da sein. Und zwar unabhängig vom Bekenntnis, von Neigungen oder politischen Ansichten. Ja, das kann auch manchmal schwerfallen. Aber es ist mein Auftrag. Und der Dom wird auch in Zukunft ein Ort sein, an dem Menschen willkommen sind, unabhängig von Hautfarbe, Religion, sexueller Orientierung oder politischer Heimat. Daran wird auch ein wie auch immer gearteter Wahlausgang nichts ändern.

Zwei Dinge sind noch wichtig: in den nächsten Tagen wird in der „Sorgenecke“ eine „Nordhausen-Kerze“ brennen und meiner Sorge ein bisschen Gestalt geben. Das gibt mir ein bisschen Hoffnung. Und ich bitte Sie alle, gehen Sie wählen!
Steffen Riechelmann
Pfarrer am Dom zum Heiligen Kreuz