10 Jahre Energiegenossenschaft Helmetal

Kalte Wärme ganz nah

Sonnabend
02.09.2023, 17:30 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
In Werther feierte man heute den Abschluss eines lang gehegten Projektes: das erste „kalte“ Nahwärmenetz Thüringens geht in den Betrieb. Die treibende Kraft hinter dem außergewöhnlichen Vorhaben nutze die Gelegenheit, um ihren 10. Geburtstag zu feiern…

Kalte Nahwärme, verlegt knapp unter der Erde - im Lego-Modell soll das Wirkprinzip des neuen Netzes veranschaulicht werden (Foto: agl) Kalte Nahwärme, verlegt knapp unter der Erde - im Lego-Modell soll das Wirkprinzip des neuen Netzes veranschaulicht werden (Foto: agl)


Draußen vor dem Fenster drehen sich die Windräder und außer dem Ausblick auf die großen Mühlen hat man als Anwohner nicht viel davon, zumindest nicht direkt. Das sollte sich ändern, meinte man vor zehn Jahren in Werther und gründete die Energiegenossenschaft Helmetal. Der große Traum damals: einen eigenen Windpark aufbauen aber so, das jeder etwas von dem Gewinn haben kann.

Mit 13 Mitgliedern fing man an und war guter Dinge, der Traum vom Windrad liegt aber noch in einiger Ferne. Nach einer Dekade Arbeit ist er aber inzwischen zum greifen nahe. Die Genossenschaft hat seit ihren Anfängen viele kleinere Projekte auf die Beine gestellt, berichtete heute Rainer Große, Professor a. D. der Nordhäuser Hochschule, ausgemachter Fachmann und seit vier Jahren auch „Genosse“.

Ein Mann vom Fach und überzeugt von der Idee - Prof. a. D. Rainer Große (Foto: agl) Ein Mann vom Fach und überzeugt von der Idee - Prof. a. D. Rainer Große (Foto: agl) Mehrere PV-Anlagen auf den Dächern der Kindergärten der Gemeinde Werther und auf einigen Objekten in Nordhausen summierten sich auf eine Leistung von etwa 700 kW oder 650 MWh, was ungefähr gleichbedeutend sei, mit dem Verbrauch von 200 Haushalten. Hinzu kommt die Beteiligung an einem Windrad auf den Hügeln über der Kreisstadt, welche die Bilanz rechnerisch auf rund 850 MWh steigert.

Nahwärme kalt serviert
Bis zur ersten Ausschüttung der Dividenden mussten sich die nunmehr 85 Mitglieder derweil etwas gedulden - in 2022 wurde das erste mal ausgezahlt. In Zukunft soll sich das ändern, denn die Genossenschaft ist dabei, größere Brötchen zu backen. Deutlichstes Zeichen war heute die Inbetriebnahme des ersten „kalten Nahwärmenetzes“ am neuen Wohngebiet „Brockenblick“ in Werther.

Statt Gas und Öl bringt hier die Erde selbst Wärme in die Häuser. Als das Projekt ins Leben gerufen wurde war von Krieg und Gasknappheit noch lange keine Rede aber schon damals war sich Hans-Jürgen Weidt sicher, das die fossilen Brennstoffe nicht ewig günstig bleiben würde. Und so wagte man den Schritt ins Unbekannte - denn die angewandte Technik ist in dieser Form noch weitestgehende Neuland.

Und so funktioniert es: ein Wasser-Glykol-Gemisch wird im Kollektorfeld durch die Umgebungswärme auf Temperaturen zwischen 8 und 10 Grad gebracht. Dieses wird in den einzelnen Häusern dann mittels Sole-Wasser-Wärmepumpe auf die notwendige Vorlauftemperatur für Heizung und Warmwasser gebracht. Gebäude können so im Sommer auch gekühlt werden, die überschüssige Wärme wird dann in das Kollektorfeld abgeleitet.  Das Feld ist rund 8.000 Quadratmeter groß, versorgt werden 33 Wohnhäuser.

Von dem Kollektorfeld ist außer einem Pumphäuschen nicht viel zu sehen (Foto: agl) Von dem Kollektorfeld ist außer einem Pumphäuschen nicht viel zu sehen (Foto: agl)


Von dem „Kollektorfeld“ ist für das bloße Auge nicht viel zu sehen, denn die Leitungen verlaufen einige Zentimeter unter der Erde. Nur das Pumphäuschen am Straßenrand deutet auf das Wärmenetz hin. Das neue System ist Effizienz, im Vergleich zu konventionellen Anlagen soll die neue Technik rund 247 MWh Energie jährlich einsparen. Dazu kommt der Wegfall von 50 Tonnen CO2 pro Jahr.
 
Rund 330.000 Euro hat die EG Helmetal in das Experiment investiert und mit Bauherr Silvio Wagner einen Partner gefunden, der sich auf die Sache einließ. Die TEAG-Tochter Thüringer Wärmeservice (TWS) übernimmt die Betriebsführung des Netzes. Das Umweltministerium förderte die Idee u.a. über das Programm „Green Invest“ mit rund 140.000 Euro. Und auch die Landesenergieagentur ThEGA war als Partner bei der technischen Umsetzung mit an Bord.

Hans-Jürgen Weidt hat die EG Helmetal mit begründet (Foto: agl) Hans-Jürgen Weidt hat die EG Helmetal mit begründet (Foto: agl)


Genossenschaft blickt in die Zukunft
Für die EG Helmetal ist der Startschuss des Wärmenetzes der große Wurf und es soll nicht der letzte sein. Im Landkreis werden derzeit mehrere Vorranggebiete für Windkraftanlagen entwickelt und jetzt glaubt man sich in der Lage, den einst gehegten Traum vom eigenen Windrad erfüllen zu können. Die geplanten Anlagen sind beeindruckend, führt Prof. Große aus, 250 Meter bis zur Flügelspitze, jeweils 16.000 MWh/a und auch entsprechend teuer. Bei Günzerode hat die Genossenschaft bereits den Fuß in der Tür, es besteht die Option eines der fünf Windräder zu kaufen. In Großwechsungen wird man als Gesellschafter mit im Boot sitzen.

„Wir wollen etwas davon haben, was vor Ort passiert“, sagte Weidt Eingangs, wenn sich die Windräder vor der eigenen Haustür drehen, dann sollte der Gewinn, den sie abwerfen, auch vor Ort bleiben. Wenn alles gut geht, wird es in Zukunft auch nicht mehr zehn Jahre dauern, bis das dann auch tatsächlich der Fall ist.