Besuch beim ThIWert

Quantensprung am Forschungscampus

Freitag
18.08.2023, 19:23 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Als die Nordhäuser Hochschule ihre Idee für ein Thüringer Innovationszentrum vorstellte, war vom Forschungsalltag noch nicht viel zu sehen. Doch inzwischen hat sich viel getan, die Außenstelle mausert sich zum gut ausgestatteten Forschungscampus…

Wirtschaftsstaatssekretär Carsten Feller besuchte heute das ThIWert der Nordhäuser Hochschule (Foto: agl) Wirtschaftsstaatssekretär Carsten Feller besuchte heute das ThIWert der Nordhäuser Hochschule (Foto: agl)


Hohen Besuch haben die Forscher der Nordhäuser Hochschule in ihren von außen eher unscheinbaren Hallen in der Helmestraße schön öfter begrüßen dürfen. Lange Zeit gab es für das laienhafte Auge da nicht viel zu sehen, denn auch die Wissenschaft muss sich der Bürokratie beugen und ein Forschungszentrum aus dem Boden zu stampfen und auszustatten braucht einfach seine Zeit.

Heute nun war es wieder einmal soweit, Besuch aus der Landeshauptstadt, Wirtschaftsstaatssekretär Carsten Feller (SPD) machte auf seiner Rundreise zu Thüringer Unternehmen und Energieproduzenten auch in Nordhausen halt und besuchte das „ThIWert“ - das „Thüringer Innovationszentrum für Wertstoffe“. Feller bekam dabei deutlich mehr zu sehen, als das noch vor gerade mal zwei Jahren bei der damaligen Umweltministerin der Fall war - es hat sich viel getan.

Anfangen wollte man aber überschaubar. Die Forscher haben inzwischen auch das Erdgeschoss vom Vormieter übernommen und hier ein Labor zur Untersuchung von Gipsstoffen eingerichtet. An diversen Versuchsaufbauten wird im Moment an „Poly-Gipsen“ geforscht, künstlich hergestellte Gipse mit hohem Reinheitsgrad, die den Wegfall des „REA“-Gipses aus der Kohleverbrennung abmildern könnten. Gewonnen wird der „Poly-Gips“ aus Abfallstoffen, wobei man das A-Wort am ThIWert nur ungern nutzt, man sieht nicht Abfall sondern Wertstoff, der zurückgewonnen werden kann. Im Fall der Poly-Gipse seien die Ergebnisse vielversprechend, es gebe aber noch ein paar Eigenschaften, die man gerne „abstellen“ würde, erläuterte Ingenieur Andreas Glimm. Neben materiellen Hürden steht man aber auch vor gesetzlichen Hindernissen: was in Deutschland einmal den Stempel „Abfall“ bekommen hat, wird ihn so leicht nicht wieder los. Hier neue Regelungen zu schaffen sei Aufgabe der Politik, neue Produkte zu zertifizieren die der Industrie.

Gerade beim Thema Gips steht die Wissenschaft schnell zwischen den Stühlen. Für die Region ist der Rohstoff ein bekanntermaßen heikles Thema, als Wissenschaftler habe man in der Debatte aber eine Art „Schweiz-Effekt“, berichtet Jantje Samtleben, technische und wissenschaftliche Leiterin des ThIWert. Man arbeitet sowohl mit der Gips-Industrie wie auch mit den Naturschutzverbänden zusammen und sucht Lösungen für den „gordischen Knoten“.

Alles was das Forscherherz begehrt
Die liegen nicht nur in Verbundstoffen sondern auch in der Nachnutzung von Bauabfällen. Gipskarton wird üblicherweise geschreddert und energieaufwendig neu verarbeitet. Mit ein bisschen Ingenieursgeschick lassen sich Platten mittels variabler Halterungen aber auch wiederverwenden und Modular zusammenstellen. Den praktischen Nachweis präsentieren die Forscher in ihrer Werkhalle, dem eigentlichen Herzstück des ThI-Wert. Hier gibt es so ziemlich alles, was das Herz des Materialwissenschaftlers höher schlagen lässt, also diverse Mühlen, Siebmaschinen und Sortierer.

Andreas Glimm erläuterte diverse Gerätschaften die von den Forschern zur Materialtrennung genutzt werden (Foto: agl) Andreas Glimm erläuterte diverse Gerätschaften die von den Forschern zur Materialtrennung genutzt werden (Foto: agl)


Die Rückgewinnung von Wertstoffen hört für die Südharzer nicht beim Gips auf. Gerade beim Recycling von Klein-Elektronik fehle es nach wie vor an Know-How, berichtet Glimm. Wer seltene Erden und andere Rohstoffe zurückgewinnen will, muss die erst einmal möglichst sortenrein sortieren können, bevor es an die Trennung geht.

Und noch eine Nummer größer
In der ersten Halle gibt es dazu diverse Versuchsaufbauten und Geräte, meist in kleinerem Maßstab. Erforscht wurde unter anderem die Pyrolyse von Klärschlamm, ein erster Prototyp konnte vor kurzem in Bleicherode in Betrieb genommen werden. Vom Kleinen ist man aber auch am Forschungszentrum inzwischen zum Großen übergegangen: seit März verfügt man über eine eigene, mobile Recyclinganlage.

Im Vordergrund steht hier vor allem die Prozessoptimierung. „Anders als üblich sind unsere Maschinen keine „Blackbox“ in die man nicht hineinsehen kann. Wir wollen sehen, wie die Maschinen arbeiten, wo Potential für Optimierung besteht. Aber die Geräte sind so am Markt verfügbar und unsere Ergebnisse ließen sich entsprechend ohne großen Aufwand in der Wirtschaft umsetzen“, erläuterte Samtleben. Da die Anlage mobil ist, könne man kleineren, lokalen Unternehmen perspektivisch die Nutzung der Technik anbieten um so die Finanzierung der Forschung Abseits der Fördermittel zu stützen.

Der große Wurf: das ThIWert verfügt seit März über eine eigene mobile Recyclinganlage zur Materialtrennung (Foto: agl) Der große Wurf: das ThIWert verfügt seit März über eine eigene mobile Recyclinganlage zur Materialtrennung (Foto: agl)


Quantensprünge hin zum Forschungscampus
Anwendungs- und Wirtschaftsnahe Forschung sei das Ziel beim Aufbau der „Innovationszentren“ gewesen, so Staatssekretär Feller nach dem Rundgang, die Fortschritte der letzten beiden Jahre könnten sich sehen lassen, die Investitionen in den Standort Nordhausen seien gut angelegtes Geld gewesen. „Das ist ein gutes Beispiel das Nordthüringen nicht so abgehängt ist, wie das manche Kräfte unaufhörlich propagieren. Wir schaffen hier über Forschung und Entwicklung Anreize für die Ansiedlung von innovativen Unternehmen und damit für Wertschöpfung und Arbeit.“ Die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen und die Dekarbonisierung der Wirtschaft seien drängende Zukunftsfragen, denen die Thüringer Industrie aktiv begegne. „Unser Ziel ist nicht die Deindustrialisierung durch Dekarboniersierung. Wir wollen weiter Industriestandort bleiben aber die letzen Jahren haben gezeigt, dass unsere Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen unser Geschäftsmodell stört. Wir müssen uns der Frage stellen, wie wir unsere Prozesse neu gestalten können und da gibt es in Thüringen viele starke Unternehmen, die schon auf diesem Weg sind und nicht auf die Politik warten. Unsere Aufgabe muss es nun sein, unsere Förderinstrumente so auszurichten, das dieser Prozess unterstützt werden kann.“

Die Hochschule Nordhausen sieht sich hier als Ansprechpartner für die Wirtschaft, führte Hochschulpräsident Prof. Jörg Wagner aus. „Jetzt, wo wir die Möglichkeiten haben, kommen auch die Unternehmen auf uns zu. Wir haben richtig Kraft und die wollen wir zur Geltung bringen“. Dazu gehört auch der Ausbau des Innovationszentrums zum ordentlichen Forschungscampus. Der erhält dieser Tage bereits Zulauf aus der Informationstechnik: zusammen mit dem Frauenhofer Institut will man in Nordhausen an der Verschlüsselung von Quanten-Kommunikation forschen. „Wenn die Quantencomputer kommen - und sie werden kommen - wird die Verschlüsselungstechnik zum Problem. Das reicht vom WPA2 Schlüssel am heimischen Router bis zu sensiblen Daten in der Medizin, die dann in Sekunden geknackt werden können. Es müssen deswegen neue Wege der Verschlüsselung gefunden werden und daran werden in Nordhausen jetzt 12 Wissenschaftler forschen“, führte Wagner aus.

Für die Hochschule sind die Entwicklungen am ThIWert große Sprünge und auch mit dem neuen Projekt muss man sich nicht verstecken, im Gegenteil, hier sind die großen Namen wie Frauenhofer einmal die Juniorpartner, freut sich auch Prof. Viktor Wesselack. Und noch etwas Gutes hat die Sache für ihn und seine Stundenten - wenn man die Technik nicht nur in der Theorie sieht, sondern auch in der Praxis bedienen kann, hat das für den Forschungsnachwuchs einen ganz anderen Reiz.
Angelo Glashagel