Pilotanlage geht in Betrieb

Das wäre dann geklärt

Dienstag
01.08.2023, 17:12 Uhr
Autor:
red
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Eine Kläranlage ist dafür da, Wasser wieder zu reinigen. Was übrig bleibt, ist wenig appetitlich - Klärschlamm. In dem finden sich zahlreiche Giftstoffe aber auch ein paar Schätze, die ein Nordhäuser Pilotprojekt jetzt umweltfreundlich und effizient heben will…

Unbehandelt ist Klärschlamm zwar passabler Dünger, leider aber auch mit zahlreichen problematischen Stoffen durchsetzt (Foto: agl) Unbehandelt ist Klärschlamm zwar passabler Dünger, leider aber auch mit zahlreichen problematischen Stoffen durchsetzt (Foto: agl)


Schwermetalle, Arzneimittelreste, diverse Verbund- und Giftstoffe alles in allem recht übles Zeug - daraus setzt sich in Teilen das zusammen, was am Ende des Tages bei einer Kläranlage als Abfall übrig bleibt. Im Klärschlamm sind aber auch Phosphor und Kohlenstoff enthalten.

Ersterer taugt als Dünger, auf dem Feld will man den Klärschlamm aber angesichts der anderen Inhaltsstoffe lieber nicht mehr haben - bis 2029 respektive 2032 müssen Kläranlagenbetreiber je nach Größe qua Gesetz zusehen, wie sie ihren Abfall los werden. Die vermeintlich einfache Lösung: verbrennen. Den begehrten Phosphor kann man aus der Asche extrahieren, das ist zwar aufwendig und teuer aber machbar. Der Rest wird in den Himmel geblasen, auch jede Menge im Schlamm gebundenes CO2.

Eine Materialwolke wird zu Granulat
Das dass nicht die einzige und schon gar nicht die beste Lösung sein kann, zu diesem Schluss kam man bereits vor zwei Jahren an der Nordhäuser Hochschule. Im Verbund mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft machte man sich damals daran, ein Trennverfahren per Pyrolyse zu erforschen.

Die Pilotanlage am Bleicheröder Klärwerk wurde heute in Betrieb genommen (Foto: agl) Die Pilotanlage am Bleicheröder Klärwerk wurde heute in Betrieb genommen (Foto: agl)


Die Labore hat man inzwischen verlassen, heute startete der erste Feldtest mit einer Großanlage. Den nötigen Rohstoff wird die Bleicheröder Kläranlage liefern, alleine hier fallen jährlich rund 250 Tonnen Klärschlamm an, berichtet Frank Biermann, der Leiter der Anlage. „Der Schlamm besteht immer noch zu 80 Prozent aus Wasser, den durch die Gegend zu fahren um ihn zu verbrennen ist ökologischer Unsinn“, sagt Biermann. Das neue Verfahren braucht zwar auch Hitze, daher das „Pyro“ in „Pyrolyse“, ist aber deutlich energieeffizienter.

Wie die Maschine funktioniert, erläutert am Vormittag Christian Heidl, dessen Firma „Jumbogroup“ die Pilotanlage der Nordhäuser Wissenschaftler um Prof. Dr. Uta Breuer gebaut hat. In einem Vorlagebehälter wird der Klärschlamm vorgetrocknet um dann im nächsten Schritt in einer „Materialwolke“ verwirbelt zu werden. Die wird kurzfristig auf rund 300 Grad erhitzt und trocknet dank der maximierten Oberfläche zu rund 90 Prozent. Die Trockensubstanz geht weiter in den eigentlichen Pyrolysereaktor und hat nun einen Heizwert, der in etwa dem der Kohle gleicht. Ab 250 Grad werden organische Stoffe gasförmig und die Anlage funktioniert nun wie eine klassische Gasheizung, die frei werdende Energie wird im Kreislauf zurückgeführt, um die Trocknung anzutreiben. Die eigentlich Pyrolyse vollzieht sich dann bei rund 950 Grad Celsius und die ungewollten Schadstoffe werden eliminiert. Was am Ende übrig bleibt, ist ein Granulat aus Phosphor und Kohlenstoff.

Haldenbegrünung in der Erprobung
Gemischt mit regionalem Kompost wird aus dem Kohlenstoff-Granulat das, was die Nordhäuser Wissenschaftler „Carbomass“ getauft haben- also Kohlenstoff-Biomasse. Die lässt sich in der Theorie vielfach anwenden, vermutet man an der Hochschule und hat auch dazu eine Testreihe an der Bleicheröder Kläranlage aufgebaut.

Am Bleicheröder Klärwerk sehen Frank Biermann und Projektkoordinatorin Anja Schreiber dem Feldversuch mit Spannung entgegen (Foto: agl) Am Bleicheröder Klärwerk sehen Frank Biermann und Projektkoordinatorin Anja Schreiber dem Feldversuch mit Spannung entgegen (Foto: agl)


Die Becken des Werks liegen direkt am Fuße der großen Abraumhalbe aus den Zeiten des Kali-Bergbaus. Die Hügel und Berge sind notorisch schwer zu begrünen und genau das, so hofft man, lässt sich mit „Carbomass“ vereinfachen. Auf dem kleinen Testfeld soll eine 50 cm dicke Deckschicht aus dem Mischprodukt aufgebracht werden, auf der man zunächst Rasen säen will. Weitere heimische Pflanzen würden folgen, die meisten von ganz alleine. „Wir werden dann beobachten, was die Zeit mit der Schicht anstellt, wieviel Regen durchdringt und vor allem was dann noch an Stoffen hinausfließt.“, erläutert Anja Schreiber, die das überregionale Verbundprojekt koordiniert. Wichtig ist das auch, weil der Abfluss aus den Kali-Halden selbst nicht ganz unproblematisch für die Umwelt ist. Im Idealfall schlägt man also mehrere Fliegen mit einer Klappe - man hat eine energieautarke CO2-Senke, „veredelt“ den eigentlichen Abfall und erhält ein Abdicht- und Düngemittel, welches die Renaturierung fördern kann.

Im Moment arbeite man noch mit der „Spielzeug-Variante“, sagt Schreiber, das Konzept lasse sich aber durchaus auch größer skalieren. Ehe das geschieht, stehen aber noch jede Menge Untersuchungen und Analysen an. In den kommenden Monaten heißt es erst einmal: Rohstoff produzieren, denn im kommenden Jahr soll der Test in Sollstedt direkt am Hang in größerem Maßstab erweitert werden. Auf drei mal 200 Quadratmetern will man dann erproben, wozu die „Carbomass“ taugt.

Und sollte sich das Verfahren bewähren, würde das am Ende wohl auch den Geldbeutel der Bürger schonen - die Pyrolyse kommt billiger als die reine Verbrennung und weniger Kosten für den Abwasserverband sollten dann auch geringere Gebühren für die Verbraucher bedeuten.
Angelo Glashagel