SPAZIERGANG NACH EINER SCHILDERUNG VON HEINRICH HEINE

Buchensterben im Gehege?

Montag
24.07.2023, 13:00 Uhr
Autor:
psg
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Heinrich Heine war Lehrer in Nordhausen. Mit dem berühmten Dichter gleichen Namens war er nicht verwandt. Eine literarische Ader kann man ihm dennoch bescheinigen...

Rotes Kreuz bedeutet "Fällung" (Foto: Kurt Frank) Rotes Kreuz bedeutet "Fällung" (Foto: Kurt Frank)
Nordhausen. Wer sein kleines Buch „Unsere Heimat“, das 1914 erschien, kennt, weiß: Der Nordhäuser war ein Naturliebhaber und ein der Heimat sehr verbundener Mann. In seinen Erzählungen von Nordhausen und Umgebung nimmt das Gehege einen besonderen Platz ein. Seine Beschreibung kam mir bei einem Spaziergang durch die grüne Lunge der Stadt in den Sinn. Ich verglich sie mit dem Gehege von heute. Wie sah es der Lehrer seinerzeit und wie erleben wir es heute.

Das dominierende Kriegerdenkmal, wie wir es sehen, erlebte seine Einweihung erst 1925 weit nach Heines Schilderungen. Aber er beschreibt einen Gehegeplatz, wie wir in heute so nicht kennen: „An den Seiten im Schatten des Waldes sind Gastwirtschaften. In der Mitte plätschert ein Springbrunnen. Oben und unten auf dem Platz steht eine Tonhalle. Hier spielt die Musik. Im Sommer wird der Gehegeplatz viel besucht und auch an schönen Abenden in der Woche. Auf dem Platze wogt es auf und ab von fröhlichen Menschen. Wenn Fremde nach Nordhausen kommen, versäumen sie es wohl nie, das Gehege zu besuchen“.

Geschichte ist der Springbrunnen. Von den einstigen etwa sieben Lokalitäten blieben zwei übrig: „Sonneneck“ und „Waldschlösschen“. Beim „Sonneneck“ fallen besonders die schmucken Blumenrabatten ins Auge. Und was ist mit der traditionell aufspielenden Musik, den auf dem Platz, der in seiner heutigen Form 1892 entstand, auf und ab wogenden fröhlichen Menschen? Die Stadt bemüht sich um einige kulturelle Events im Jahr, abzählbar an fünf Fingern einer Hand.

Die Merwigslinde beschreibt Lehrer Heine schon als uralten Baum. Bis 1740 soll sie als einziger Baum auf dem Berg gestanden haben. Erst nach 1738 begann die systematische Aufforstung des kahlen Berges dank des Stadtrates, der jeden Bürger der Stadt aufforderte, einen Baum zu pflanzen.

Gepflanzt im 14. Jahrhundert, erlebte der Buchautor „Unsere Heimat“ die Fällung der uralten Linde 1972 nicht. Eine Info-Tafel gab und gibt Auskunft über die Geschichte des ehemaligen Baumveteranen und was es mit der heutigen Linde auf sich hat. Gleich neben ihr liegt am Hang die „Leiche“ einer alten Buche, die mehr und mehr verwittert.

Die erste Merwigslinde-Nachpflanzung war einem Übeltäter zum Opfer gefallen. Die Zeitung „Das Volk“ berichtete seinerzeit darüber und zeigte bildhaft den abgesägten jungen Baum. Es sollte sogar eine Belohnung für Hinweise geben, die zur Ergreifung des Täters führten. Leider kam man ihm nicht auf die Spur. Der danach gepflanzte Baum (Bild) hat mittlerweile eine stattliche Größe erreicht.

Der Nordhäuser Naturliebhaber und Erzähler beschreibt den im Jahre 1900 errichteten Turner-Gedenkstein, erwähnt das Wallroth-Denkmal (Bild) und schildert ausführlich die Geschichte des Schöppfmännchens (Bild). Von den markanten Treppen, die von West nach Ost oder umgekehrt durch den Wald führen, konnte Heine wohl nur träumen. Hingegen beeindruckten ihn die mächtigen Buchen, die sauberen Wege nebst Gehege insgesamt.

Viele der mächtigen Baumveteranen von gestern sieht der Besucher von heute nicht mehr. Etliche fielen dem verheerenden Unwetter im Juni 1980 zum Opfer. Die Stadtverwaltung unter Bürgermeister Fritz Lande bemühte sich redlich um Aufräumungsarbeiten und, selbst Hand anlegend, Pflanzungen.

Heine sah das Gehege sauber und gepflegt. Die letzte große Aufräumungsaktion war ein Gemeinschaftswerk zwischen der damaligen Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Dr. Klaus Zeh und dieser Zeitung, die darüber ausführlich in Wort und Bild berichtete. Neben Mitarbeitern der Stadt beteiligten sich an der Aktion „Sauberes Gehege“ zahlreiche Bürger.

Heute überlässt man das Gehege völlig der Natur. Neben sauberen Wegen und Treppen alles andere als ein gepflegter Park: Verdorrte und abgesägte Bäume, der Witterung ausgesetzte und vermodernde Baumleichen, Holzhaufen, abgeknickte, kreuz und quer herumliegende Äste und Bäume, deren Kronen ohne Laub (Bild) ihr Siechtum ankündigen.

Was die Sturmnacht vom 14. auf den 15. Juni 1980 an riesigen Buchen übrig ließ, machen heute Klimawechsel, Dürre- und Hitzeperioden den verbliebenen arg zu schaffen. Erst kürzlich bewirkten Trockenheit und starke Windböen den Abbruch einer stattlichen alten Buche mit beeindruckendem Wurzelwerk aus großer Höhe. Der Rest des Baumes muss entweder gefällt oder auf eine bestimmte Baumstumpfhöhe gebracht werden.

Rot angekreuzte Bäume (Bild) bedeuten Fällung. Davon sind auch in diesem Jahr erneut etliche betroffen. Etwa über 20 sollen fallen. Vor allem die alten, weit schon über 100-jährigen Riesen seien in Gefahr. Was von diesen Veteranen in diesem Jahr noch grünt und vital anmutet, könnte schon 2024 bei weiterer Trockenheit und Dürre für manchen von ihnen die Säge andeuten. Klimawandel, anhaltende Hitze und Trockenheit waren dem Lehrer Heine in seiner Gehege-Erzählung noch kein Begriff. Trotz alledem bleibt der Wald beliebt.

Entfernt wird nur, was der Verkehrssicherungspflicht obliegt, Leib und Leben von Menschen nicht gefährdet. Ansonsten bleibt liegen, was fällt. Es verrottet mit der Zeit. Bäume werden keine mehr gepflanzt. Man setzt auf Naturverjüngung. Sollten aber in künftigen Sommern wie prognostiziert 40 Grad und mehr auch hierzulande Einkehr halten, wird es nicht nur die restlichen Buchen-Veteranen dahinraffen.

Doch Stadtförster Axel Axt leidet (noch) nicht unter Albträumen, denkt er an den Zustand seiner Wälder. Er scheint ein überaus optimistischer Mensch zu sein. Hoffentlich hat er künftig Anlass, ein solcher zu bleiben.
Kurt Frank