nnz-Betrachtung zu neuer Kunst auf dem Petersberg

Breaking bad in Nordhausen

Donnerstag
20.07.2023, 19:30 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Das entbehrt nicht einer gehörigen Portion Ironie: Auf dem täglichen Schulweg hunderter Kinder wird an einer Wand per meterlanger Graffiti einer amerikanischen TV-Serie gehuldigt, in deren Mittelpunkt ein ehemaliger Chemie-Lehrer steht. Doch damit nicht genug…

Der Crystal-Meth-Koch Walter White leicht bekleidet vor seinem fahrbaren Labor in einer der erste Episoden der Serie "Breaking Bad". Jetzt zu bewundern auf dem Petersberg in Nordhausen (Foto: privat) Der Crystal-Meth-Koch Walter White leicht bekleidet vor seinem fahrbaren Labor in einer der erste Episoden der Serie "Breaking Bad". Jetzt zu bewundern auf dem Petersberg in Nordhausen (Foto: privat)

Besagter Lehrer wird zum Helden der Story, weil er sein Fach gut beherrscht und ausgesprochen reines Crystal Meth (also Rauschgift) kochen kann. Das ist die nächste Ironie am gewählten Platz für die gesprayte Bilderflut auf dem Nordhäuser Petersberg, denn es ist in der Stadt ein offenes Geheimnis, dass dort regelmäßig mit Drogen gehandelt wird.

Sicherlich nicht mit so hochwertigem Stoff, wie ihn Walter White in dem Straßenfeger „Breaking bad“ herstellt; aber eben doch mit Drogen. Jetzt können sich die Dealer also mitten in Nordhausen unter das überlebensgroße Konterfei des Schauspielers Bryan Cranston in der Rolle des Walter White stellen und Selfies knipsen. Und schließlich finde ich es auch relativ ironisch, wenn die Moral dieser Filmgeschichte über mehrere Staffeln bedacht wird: der amerikanische Traum einer Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden wird darin umgedreht; aus dem zufriedenen und wohlhabenden Mittelständler wird aus Finanznot ein Drogenkoch, Mörder und Schwerverbrecher.

Wie kann ein so gewagtes Thema an die Wände auf dem Petersberg gelangen und wer waren die Künstler? Das wollten wir von der Stadtverwaltung wissen und erhielten von einer Mitarbeiterin schriftlich zur Antwort: „Leider kann ich Ihnen nicht sagen, wer für das Gemälde verantwortlich ist. Die Fläche steht jedem unter Einhaltung der Codex-Regeln zur Verfügung.“

Aha, unter Einhaltung der Codex-Regeln steht die Fläche jedem zur Verfügung. Gut. Was aber sind das für Regeln und wer hat sie erstellt? Auch hierfür gibt es eine informative Ein-Satz-Antwort der Behörde: „Bei den Codex-Regeln handelt es sich um Regeln für das Sprayen, die von den Jugendlichen selbst erarbeitet wurden.“

In diesen Codex-Regeln, die auf der Homepage der Stadt veröffentlicht sind, findet sich neben guten Tipps wie Masken zu tragen beim Sprayen und keine „Fußgänger und Radfahrer*Innen“ zu behindern (weibliche Zufußgehende werden hier offensichtlich nicht mit geschützt) auch die Grundregel: „Faschistische, sexistische, beleidigende, rassistische, gewaltverherrlichende diskriminierende Darstellungen aller Art sind verboten.“

So weit, so woke und richtig. Die Verherrlichung des Drogengeschäfts von der Herstellung bis zum Konsum und der Beschaffungskriminalität mit all ihren Folgen, wie in der beliebten Serie dargestellt, bleibt im Nordhäuser Sprayer-Codex unerwähnt. Und „breaking bad“ als sinngemäß „vom rechten Weg abkommen“ oder „kriminell werden“ fällt nicht unter die formulierten Ausschlüsse.

Kein Grund zur Aufregung also. Wer Lust hat, mal selbst ein bisschen Crystal Meth zu kochen und eventuell früher im Fach Chemie aufgepasst hat, für den haben die unbekannte Künstler eine Formel an der Wand verewigt. Jedenfalls nehme ich an, dass es sich um eine Formel zur Crystal-Herstellung handelt. Zugegebenermaßen war ich in Chemie nicht der allerhellste Bunsenbrenner, weshalb ich zur Vorsicht mahne beim Selbstversuch.

Nikola Tesla an eine Wand in der Leipziger Südvorstadt gesprayt (Foto: oas) Nikola Tesla an eine Wand in der Leipziger Südvorstadt gesprayt (Foto: oas)

In Leipzig sah ich neulich auch kunstvolle Spray-Gemälde an einer Hauswand auf einem Schulweg. Die stellen allerdings keine Schauspieler in ihrer Rolle dar, sondern sind zwei Pionieren der Elektrizität gewidmet. Auch mal eine Idee - wenn auch etwas nüchterner und nicht so cool wie die in der polyglotten Weltstadt Nordhausen.
Olaf Schulze