Tim Schäfer über einen alten Schornstein

Auf den Spuren der Industriegeschichte

Dienstag
04.07.2023, 16:34 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Ein alter Schornstein zwischen Nordhausen und Harztor fällt vor dem Kohnstein auf. Warum er dort steht, was das mit dem II. Weltkrieg zu tun hat und warum es ein Gedenkort ist, erzählt Tim Schäfer…

Schornstein in Niedersachswerfen (Foto: T.Schäfer) Schornstein in Niedersachswerfen (Foto: T.Schäfer)

Ein 60 Meter hoher Säureluftturm ist ein übrig gebliebenes, eindrucksvolles Denkmal zu einer Anlage, die quasi nie richtig in Betrieb war. Die Kriegswirtschaft Nazideutschlands setze auf Autarkie und Ersatzanlagen, um kriegswichtige Stoffe herstellen zu können. Seit 1917 war die BASF für das AMW, Ammoniakwerk Merseburg am Kohnstein mit seinem Gipswerk Niedersachwerfen eingestiegen. Hier lagern am Kohnstein große Mengen Kalziumsulfats. Das Material wurde u.a. zu Düngemitteln, aber auch zur Schwefelsäure- und Zementherstellung benötigt.

Im Nationalsozialismus sollte in Planung der IG Farben (Karl Krauch), des OKW der Wehrmacht von 1940 eine weitere Produktionskapazität zur Blockschwefelherstellung errichtet werden. Die Wahl fiel auf Niedersachswerfen. Bereits 1942 konnten Rohbauten fertiggestellt werden, die 10.000 – 54.000 Tonnen Schwefel ermöglichen sollten. Technologisch über Sinterbandröstung bzw. das Müller-Kühne Verfahren. Im Auftrag der WiFo (Niedersachswerfen) errichtete die Lurgi Ges. für Chemie- und Hüttenwesen Frankfurt/M. die Anlage, die 1944 um eine Verflüssigungsanlage für Schwefeldioxid ergänzt werden sollte. Die Anlage konnte bis 1945 nur im Probetrieb angefahren werden, danach nutzte das Anhydritwerk Niedersachswerfen Bereiche zur Baustoffproduktion, ab 1959 wurde das Anhydritwerk in das Gipswerk der Leuna-Werke als Abteilung bzw. Produktionsbereich Baustoffe eingegliedert.

Der 60 Meter hohe Säureluftturm Ni.115 ist also ein Relikt der Nazikriegswirtschaft, er wurde von R.H. Heinicke, Chemnitz, entworfen. Zum Bau sollen bereits Zwangsarbeiter eingesetzt worden sein. Laut einem Augenzeugenbericht soll hier die SS einen Menschen hingerichtet haben. Insofern erinnert uns heute dieser Säureluftturm oder Schornstein auch auf der Ostseite des Kohnstein an das Grauen der Zwangsarbeit. Leider wird dort Müll abgelagert und das Bauwerk ist mit Graffiti besprüht worden, möglicherweise aus Unkenntnis. Denn nichts weist vor Ort auf den historischen bzw. Gedenkort hin.
Tim Schäfer
Quellen:
Plan Säureluftturm v. R.H. Heinicke, Chemnitz, Sammlung F. Karl, Tim Schäfer
Geheim! "Zwangsarbeit am Sachsenberg (Kohnstein bei Nordhausen): Kriegsschwefel NI-365", Verlag Iffland, Nordhausen, 2004