Dichterstätte Sarah Kirsch

Ausziehen ist die Forderung! Geld ist das Zauberwort!

Mittwoch
28.06.2023, 20:32 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Den ehrenamtlich tätigen Mitgliedern der Dichterstätte Sarah Kirsch und den Gästen, die gern zu den kulturellen Veranstaltungen einmal im Monat in den Salong Musenbundt in der Langen Reihe 11 kamen, ist es nun bald verwehrt, im Geburtshaus der Dichterin Sarah Kirsch Künstlerisches zu gestalten, zu erleben...

„Und wir treffen uns im Haus in Limlingerode!“ (Sarah Kirsch)

„Nein, niemals wieder!“
(Förderverein „Dichterstätte Sarah Kirsch“)

Es gibt einen Grundstücksmietvertrag zwischen der Gemeinde Hohenstein und der evangelischen Kirchengemeinde des Ortes, der 1998 (!) abgeschlossen wurde, obwohl die Haus-Ruine Tatsache war und noch alles in der Schwebe. Darin steht auch: „Die Nutzung des Mitobjektes ist für die ‚Dichterstätte Sarah Kirsch‘ vorgesehen.“ Erst 2001/02 klärte es sich, ob ein kompaktes Haus wieder oberhalb der Kirche stehen würde, denn dann erst gab es das Bundesprogramm „Kultur in den neuen Ländern“, speziell im ländlichen Raum mit einer größeren Geldsumme. Wir hatten an der Ausreichung insofern Anteil, weil wir ja das Kulturelle im Haus gestalten würden. Aber, unser Anteil läuft ab, für andere ist er dauerhaft?!
DSK Plakat im Detail (Foto: Landkreis Nordhausen) DSK Plakat im Detail (Foto: Landkreis Nordhausen)


Wir fühlen uns moralisch berechtigt, unsere erfolgreiche Tätigkeit im Sinn Sarah Kirschs im jetzigen Kulturhaus fortführen zu können. Einmal, wenn wir Fördervereinsmitglieder Abstand haben, werden wir den Sachverhalt darlegen, der seit 1996 in Thüringen wegen Limlingerode ablief, eine Herausforderung war dieses Projekt, aber eine wunderbare! Wir besitzen die Unterlagen, einige von uns waren unmittelbar beteiligt. Aber für uns sind die Messen im Freistaat Thüringen gesungen, denn dessen Ministerpräsident, den wir Anfang Februar schriftlich um Unterstützung baten, schwieg bis dato.

Da uns das wirkliche Haus zukünftig versagt bleibt, stellen wir als Erinnerung eine andere Ideenskizze des Geburtshauses in diesen Text, sie stammt aus dem Jahr 1999 vom Architekten Schunke, als noch alles in der Entwicklungsphase war.

DSK Ideenskizze 1999 (Foto: SK Schunke) DSK Ideenskizze 1999 (Foto: SK Schunke)

Möglich wäre auch Folgendes gewesen. Sarah Kirsch war für den Literaturnobelpreis vorgesehen, den dann 1999 Günter Grass bekam. Sie hatte uns geschrieben, wenn sie ihn bekäme, wäre das mit der Hausruine, dem Schutthaufen, geklärt. Viele hätten dieser Lyrikerin, die zu den besten im deutschsprachigen Raum gehört und auch in anderen Ländern Gehör findet, den Preis gegönnt, denn, sie hatte in der DDR und in der BRD gelebt, mehr Zeitgeist gab es eigentlich nicht, war weiblich, hatte ihre Weltsicht in beiden Staaten künstlerisch überzeugend dargelegt.
Wir schreiben hier nicht auf, wie uns zumute ist, weil wir ja auch alles Angeschaffte entsorgen müssen, denn gelitten haben wir genug seit Januar, seitdem wir das wissen.

ABER, wir haben in dem Geburtsort der Dichterin Sarah Kirsch seit 1997 zuerst im Dorfgemeinschaftshaus, dann im Geburtshaus, das ja bei unserer Ankunft 1997 Ruine war, wirklich einprägsame Stunden gestalten können und erleben, haben uns selbst und im Laufe der Jahre zahlreichen Menschen gute Zeiten geschenkt, dass wir zum Abschied aus dem Sarah-Kirsch-Haus die Gästebücher aufschlagen und wenigstens einige Gäste zu Wort kommen lassen möchten. Darin erfährt man, wie es wirklich zuging im Haus Lange Reihe 11 in Limlingerode. Wer anderes behauptet, war nicht dabei. Gerüchte zählen nicht!

Fangen wir mit Sarah Kirschs Eintrag vom 3. Decembrius 98 an, dem ein blütenreiches Aquarell, mit Goldtupfen besprenkelt, beigefügt ist: „Die ersten Limlingeröder Diskurse haben in alle Schönheit und auch Heiterkeit stattgefunden und viele Menscher waren außerdem da und meine Lieblingsbürgermeisterin hat mit stets mein Mittagessen spendiert. Wie schön auch der Junipfad war im frostigen November und die schönen Randerscheinungen der Atelierbesuch bei Karin das Abendessen mit Kierdorf-Traut und das Kwar-Tier bei die blasse Heidelerche welche vorher von der Grippe niedergestreckt war – oh ich bin immer noch erfreut und begeistert und sage es liegt Segen darauf von 13 Engeln aus der Umgebung“.

Die Dichterin Doris Runge aus dem hohen Norden schrieb: „Das waren wundersame Begegnungen in Limlingerode mit großer Daseinsfreude. Gleich zur Begrüßung Sarahs Raubvogel über mir, später das Zwiegespräch mit dem Engel in der Kirche und auf dem Junipfad verwunschene grüne Umarmungen, grüne Teppiche, grüne Teichaugen, grüne Kühe, grüne Gedanken und wilde rote Kirsch-Münder … und nicht zu vergessen, die rotgepanzerten Korallenkrieger, die Hüter des Hauses. Ein herzlicher Dank für zwei unvergessliche Sommertage im Juni.“


Die Zweite im Bund ist die Künstlerin Katrin Gassmann, die im September 2006 Bilder zu „Ullysses in Limlingerode“ ausstellte. Vorher wohnte sie in der Dichterwohnung im ersten Stock und schuf noch kunstwerke. Da sie das Gästebuch nicht fand, schrieb sie auf einem mitternachtsblauen Karton ihre Erlebnisse nieder, alles in kleiner Schrift, sehr fein mit einem Gelroller ohne ein Satzzeichen. Das war also wie ein besonderer Brief. Hier liest man eine gekürzte Fassung als Transkript. „heidelerche ist ein schönes wort also wie ist es mir hier ergangen es ist so still das ich die äpfel fallen höre und die birnen der bäcker hat urlaub also durchstreife ich wald und wiese nach essbaren dingen äpfel birnen pflaumen drei sorten sauerampfer fürs wunderbare graubrot das ich vorfand pilze die ich nach gefühl sammelte aber es geht mir heute doch recht gut der alte küchentisch ist mein arbeitsplatz direkt zwischen die flügel der eingangstür geklemmt wo es hell ist und eine frische brise von westen her weht habe den stillen kirchturm im blick durch die geschlossene tür des salons dringt leise händel ich weiß schon fast was ich wo hinhängen werde in zwei wochen die leute grüßen freundlich und mit der schlanken schwarzen katze führte ich den ersten abend eine karge katzenkonversation es war vollmond ich saß draußen vor der tür am tisch mit bier und zigaretten und der mond lacht und lacht wie verrückt verblitzte mir schier die augen als ich draußen im schein von vier kerzen die limlingeröder hefte las vergangene ankündigungen und berichte über gewesenes abends dringt hier kein laut aus den häusern den höfen den gassen vielleicht weil drinnen die fernseher laufen … Ach ja und eine interessante begegnung hatte ich noch mit einer mücke des nachts wir haben eine Abmachung getroffen und sind beide stolz darauf stich mich jetzt hab ich gesagt trink dich satt dann haben wir beide ruhe für den rest der nacht sie war einverstanden und wir hatten beide eine schöne Zeit.

Der Dichter Thomas Rosenlöcher, der sächsische Weltbürger, schrieb: „Schön, daß am Sarah-Kirsch-Haus so ein Glockenstuhl steht! Noch mit der Hand zu läuten! So daß unsereins, wenn es einmal soweit ist, tatsächlich gehörig ausgeläutet werden könnte: 2 Mann im Wechsel, 2 Stunden lang!“

Seine Verse dazuim Buch: „Glocken /3m Holzgestühl und die Glocken. Selbst an Sonntagen kaum noch geläutet. Doch heute ist Mittwoch und sie läuten und läuten. Was ist denn da los? Bescheid weiß Frau Schmidt. Was schon? Eine alte Frau ist gestorben, da läuten sie immer. Wir sterben alle. Erst wir, die Alten, doch dann sind gleich sie dran. Wissen sie das nicht? Doch, doch sage ich, kein schlechter Gedanke, daß dich, wenn du tot bist, zwei Stunden lang ein eiserner Klöppel nochmal überdenkt.“

Thomas Rosenlöcher verstarb 2022 mit 74 Jahren.
Auf Wiedersehen am anderen Ort!
Heidelore Kneffel, Gründungsmitglied des Fördervereins