Stammtischabend mit Waldemar Hartmann

Früher war mehr Lametta

Freitag
23.06.2023, 11:36 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Fußballlegende Waldemar Hartmann war gestern zu Gast in der Traditionsbrennerei, auf Einladung der CDU oder vielmehr deren Mittelstandsvereinigung. Ein entspanntes Stammtischgespräch rund um Politik und Fußball sollte es werden. Es wurde geliefert wie bestellt…

Hier bin ich Mensch, hier kann ich sein: Marc Neblung, Sportreporter-Legende Waldemar Hartmann und CDU-Mann Mike Mohring sprachen in der Traditionbrennerei über Fußball und Gesellschaft  (Foto: agl) Hier bin ich Mensch, hier kann ich sein: Marc Neblung, Sportreporter-Legende Waldemar Hartmann und CDU-Mann Mike Mohring sprachen in der Traditionbrennerei über Fußball und Gesellschaft (Foto: agl)


Ach, was war das für ein Abend, ein laue Sommerbrise, die nur die Ahnung von Regen trägt, ein schicker Hintergrund der Tradition atmet und davor eine Legende des Deutschen Fußballs im lockeren Gespräch mit CDU-Mann Mike Mohring und dem Journalisten Marc Nebelung. Keine „grünen Moralisten“ weit und breit, ein sicherer Hafen Abseits des Kreuzfeuers der links-grünen „Armada“ im Netz und dem Öffentlichen Rechtlichen. Endlich, endlich Raum, einmal wieder frei zu atmen. Frei zu reden. Da schlägt das konservative Herz gleich ein wenig höher.

Ein Stammtischgespräch sollte es werden, keine dröge Podiumsdiskussion, um Fußball sollte es gehen, um Politik und die Gesellschaft. Der Blick geht zurück, schweift nostalgisch zu Völler, "Effe", Basler, Rehagel und Scholl. Das waren noch richtige Kerle, die haben „ihre Eier nicht an den Haken gehängt“, da wurde noch emotional gestritten. Da war Fußball der Volkssport und nicht "Zurückrudern", da hat man noch offen sprechen können. Das geht heute freilich nicht mehr, die gesellschaftliche Ächtung durch die Sprachpolizei ist mindestens gleichwertig mit den Gefängnisstrafen in der DDR, tut vielleicht sogar mehr weh, mutmaßt Mike Mohring. Rechts regt man sich auf, links lässt man alles laufen und die Politik lässt es geschehen. Ach wäre doch nur der alte Franz Josef noch da. Der würde es den Sozen schon zeigen. Was waren das für Zeiten. Bei den Alten war ja doch nicht alles falsch.

Noch schnell ein Selfie bevor es losgeht (Foto: agl) Noch schnell ein Selfie bevor es losgeht (Foto: agl)


Und im Fußball sieht es heute ganz ähnlich aus. Da war man 2014 Weltmeister und ab 2015 ging es auch hier bergab. Betonung auf „auch“, der rhetorische Streifschuss geht knapp am Stammtisch weiter rechts vorbei, muss man aber nicht so sehen, wenn man nicht will. Kann man aber.

Ein Sommermärchen wird’s nicht geben, ist sich Hartmann sicher, denn „aus Eseln macht man keine Rennpferde“. Und das es in der Nationalmannschaft nicht klappt, liegt auch daran, dass hier nicht wie anderswo mit dem Herzen für das Land gespielt wird. Der Wille zum Triumph, er fehlt einfach, möchte man meinen. Und in Katar war es auch die Binde, die der sportlichen Wiederauferstehung im Wege stand. Gut, da ist auch noch das Geld, langjährige Fehler in der Ausbildung und die leidige Trainerfrage. Aber eben auch die Gesellschaft an sich, der Spiegel der Nationalmannschaft. Wo wären Sie heute die Effes, Baslers und Völlers? In Untersuchungshaft, zwei Wochen mindestens, niedergerungen von Videobeweis und Fotohandy, mutmaßt Hartmann, denn das hat alles kaputt gemacht, muss man wissen. Kein rankommen mehr an die Spieler, jeder hat Angst vor dem rot-grünen Scherbengericht in den weiten Hallen des Netzes. Und die Jugend muss ja auch keine Verantwortung mehr tragen, wie soll man da gut Fußball spielen können.

Zwischendurch luzide Momente. Die absoluten Mehrheiten der CDU in der Vergangenheit sind mit einer gewissen Arroganz seiner Partei einhergegangen, es wurden Fehler gemacht, sagt Mohring. Das man die Gesellschaft, deren Zustand man so wortreich zu beklagen weiß, 16 Jahre lang an der politischen Spitze der Nation geführt hat, dass sagt man dann aber doch nicht so genau. Und man fragt sich so im stillen Kämmerlein dann schon, warum man sich über die Moralisten und Aufreger im Netz so aufregt. Die Wählerschaft der CDU sitzt doch da bestimmt nicht. Warum die ganze Jammerei? Fürchtet man das scharfe Schwert der Kommentarspalte, die Peitsche des Medienzirkus, die wilden Böen des Twittersturms, so sehr? Immerhin, die Wogen können Stunden, vielleicht sogar ein oder auch zwei Tage andauern, ehe der nächste Wind weht. Man regt sich darüber auf, dass sich andere darüber aufregen, was man selber sagt. Und weil sich die anderen aufregen, darf man ja gar nichts mehr sagen. Es könnte sich ja jemand aufregen. Und das ist nicht schön, das fühlt sich nicht gut an. Darüber regen wir uns auf. Emotional wird man da gut mitgenommen. Und wer die Emotionen auf seiner Seite hat, der braucht heute keine Inhalte mehr. Jedenfalls nicht am Stammtisch, aber das war vielleicht auch schon immer so.

Ein schöner Satz kommt auch von Hartmann - in seinen 75 Lebensjahren habe er schon oft gesehen, wie aus der „beschissenen Gesellschaft die gute, alte Zeit“ geworden sei. Ein Satz mit Schwungkraft, ein Satz zum Nachdenken. Trotzdem war früher mehr Lametta, mit Rudi und Effe und Calli.

Was bleibt also vom Sommergespräch? Die konservativen Kanonen wurden klar auf das rot-grüne „Narrenschiff“ und die Segel des Zeitgeistes gerichtet, Kursrichtung: zurück zu jener „guten, alten Zeit“, mit voller Kraft oder soviel man gerade eben aufbringen kann. Derweil segelt die AfD als stärkste Kraft in Thüringen im Windschatten vorbei, aber das wollte man dann gestern nicht so direkt ansprechen. Das könnte das Publikum beunruhigen. Emotional kommt das nicht gut. Vielleicht kann man sich bei der CDU auch schon mit der Juniorpartnerschaft anfreunden. Das kennt man noch, von den anderen, die unter Mutti gedient haben. Lief meist nicht so gut. Tja.

Vielleicht fehlen auch die Eier. Wer weiß.
Angelo Glashagel