Viele Fragezeichen im Stadtentwicklungsausschuss

Das Gelbe vom Ei

Dienstag
20.06.2023, 20:00 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Der Nordhäuser Stadtratsausschuss für Stadtentwicklung, Wirtschaft und Umwelt hatte zur öffentlichen Sitzung geladen. Es sollten vom externen Planungsbüro die Bebauungspläne zur gesamtstädtischen Steuerung des Einzelhandels vorgestellt werden. Eine Einordnung der Veranstaltung fällt schwer …

Liegt mitten in der Kernzone, gehört zum Eigelb: Das Buchhaus Rose (Foto: nnz-Archiv) Liegt mitten in der Kernzone, gehört zum Eigelb: Das Buchhaus Rose (Foto: nnz-Archiv)

Im Ratsaal hatten sich neben den Ausschussmitgliedern und Vertretern der Verwaltung auch einige Händler der Stadt sowie NUV-Chef Niels Neu, SWG-Chefin Inge Klaan und der Centermanager der Marktpassage, Torsten Pietzsch, eingefunden, um den Ausführungen des Vertreters des von der Stadt beauftragten Planungsbüros zu lauschen.
                   
Die Steuerung des Einzelhandels habe das Ziel, die Ansiedlung von Handelseinrichtungen unter strategischen Gesichtspunkten zu steuern, um die zentralen Versorgungsbereiche in den Zentren zu stärken. Außerdem solle langfristig sichergestellt werden, dass die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung gesichert wird. So allgemein, so gut. Dieser Aussage könnte sicherlich jeder Stadtrat bei der nächsten Ratssitzung zustimmen. Doch wie ist diese Steuerung praktisch zu erreichen? Über dieser Frage grübelt das Planungsbüro seit 2018, als die Fortschreibung des Einzelhandelskonzepts vom Nordhäuser Stadtrat beschlossen wurde.
Zur Verdeutlichung des Konzepts wurde die Eigelb-Theorie bemüht. Die besagt, dass alles im Eigelb zentrumsrelevante Handelseinrichtungen sind, die im verbleibenden Eiweiß drumherum sind es nicht. Also listete das Büro auf, welche Sortimente geeignet seien, die Käuferscharen ins Eigelb zu locken und die Personen, die mit diesen Sortimenten Einzelhandel betrieben sind in der Innenstadt (also im Eigelb) willkommen, die anderen nicht. Im Umkehrschluss gilt aber auch, dass Händler mit eigelben Sortimenten keine Läden im Eiweiß, also außerhalb des Zentrums errichten dürfen, damit der Strom der Käufer nicht etwa umgeleitet wird.

Die Frage, wo in Nordhausen bitte das Zentrum ist, wurde den Nordhäusern schon tausendfach von vielen Ortsfremden gestellt und sorgt dabei meist für Kopfzerbrechen. Das Planungsbüro hat deshalb festgelegt: Zentrum ist, was sich zwischen den beiden Ankerverkaufszentren, der Südharz Galerie und der Marktpassage befindet. Schon die neuere Geschäftszeile „Rolandstor“, einst viel unpoetischer Busbahnhof genannt, zählt nicht mehr zum eigelben Zentrum. Im Klartext heißt das: Die Geschäfte dort haben Bestandsschutz, wenn sie die zentrumsrelevanten Sortimente vertreiben. Sie können auch an einen Nachfolger übergeben werden, der das selbe Sortiment vorhält. Stehen sie aber zwei Jahre leer, ist es mit diese Nachfolgeregelung vorbei und es darf sich hier nur noch ein unrelevantes Sortiment ansiedeln.

Was uns zu dem Punkt führt, welches Sortiment relevant ist und welches nicht. Natürlich ist die Versorgung mit den früher so genannten „Waren des täglichen Bedarfs“ relevant; auch Geschäfte wie Buchläden, Apotheken, Optiker, Juweliere und ähnliches. Vergessen wurden übrigens in der Nordhäuser Auflistung die Einrichtungen zum Erwerb von Schnittblumen, die auch zentrumsrelevant sein sollen, weshalb es Nachbesserungen durch das Planungsbüro geben wird.

Andersherum heißt das dann nach dem schon bestehenden Grundsatz „Kein Einzelhandel im Gewerbegebiet!“, dass beispielsweise ein neu auf den Nordhäuser Verkaufsmarkt drängender Juwelier seine Ware nur innerhalb der Kernzone (Eigelb) feilbieten darf. In der unteren Altstadt nicht und auch nicht in Bielen, oder im Scheunenhof - sollte der einstmals wieder belebt werden.

Skeptische Mienen mit ausgeprägten Fragezeichen auf der Stirn machten sich auch schon bald im Rund des Ratssaals breit. Zukunftsamtsleiter Martin Juckeland will die Ansiedlung neuer Händler in der Kernzone fördern. „Die Innenstädte leiden, wenn nicht richtig gesteuert wird“, sagte der Mann vom Planungsbüro. Die anwesenden Ausschussmitglieder fragten nach, ob sie das richtig verstanden hätten und eine städtische Juwelierin trat ans Mikrofon (nachdem bestimmt worden war, ob Gäste das Wort ergreifen dürfen - muss ja alles seine Richtigkeit haben!) und erklärte, sie sei dafür, dass die Händler selbst entscheiden dürften, wo sie sich ansiedeln. Der Ausschussvorsitzende Andreas Wieninger verteidigte das Bebauungskonzept als einen „Baustein auf dem Wege zum Oberzentrum“ für Nordhausen.

Wir wissen nicht, welche Stimmabgabe die Ausschussmitglieder ihren Fraktionen zu diesem Konzept vorschlagen werden; wir wissen auch nicht, wie viele Tausend Euro die Planung des externen Büros seit fünf Jahren gekostet hat. Und wir wissen nicht, wie stark der Ansturm von Einzelhändlern auf die Rolandstadt in den nächsten Jahren sein wird (derzeit hält er sich freilich in Grenzen). Aber ob die quadratmetergenaue Steuerung einer Einzelhandelsansiedlung durch die geplanten zentrumsrelevante Bannmeile sinnvoll sein wird, wagen wir dann doch zu bezweifeln.

NUV-Chef Niels Neu war im Anschluss ebenso verwundert und sagte: „Ich dachte immer, wir hätten uns die Entbürokratisierung auf die Fahnen geschrieben. Das hier wird doch das Gegenteil bewirken.“ Weiterhin bemängelt der Geschäftsmann, dass kaum Händler an der Zubereitung dieses Spiegeleis der Stadtplanung beteiligt wurden. Nun will er sich beim Sommerfest seiner Unternehmervereinigung bei den Oberbürgermeisterkandidaten erkundigen, welchen Standpunkt sie zu diesem Vorhaben einnehmen.
Olaf Schulze

Update:
In einer früheren Fassung hieß es »Optikerin« es war aber wohl eine »Juwelierin«. Wir haben das korrigiert.