Zugehört

Blechkisten-Musik und Weltmusik

Sonnabend
10.06.2023, 09:49 Uhr
Autor:
psg
veröffentlicht unter:
Der erste Abend des diesjährigen Rolandsfestes hielt für musikverliebte Menschen eine exzellente Mischung parat. Manch Projekt war ein wenig daneben, andere wiederum einmalig. Ich habe zweimal erlebt und wurde einmal beschallt...

Weltmusik mit (fast) allen Sinnen: Embryo spielte in Nordhausen (Foto: nnz) Weltmusik mit (fast) allen Sinnen: Embryo spielte in Nordhausen (Foto: nnz)
Womit beginnen? Wie der Mensch so gestrickt ist, zieht es die meisten unserer Art dorthin, wo schon viele Mitmenschen vermutet werden. Herdentrieb? Keine Ahnung. Bei mir war es gestern Abend ein eher logistischer Grund. Mit dem Rad ist es eben nicht leicht einen Parkplatz zu finden.

Am besten sollte es auf dem Petersberg funktionieren. Fahrrad sicher abstellen? Kein Problem. Der Berg war voll, zumindest die Sitzmöglichkeiten vor der größten Bühne des diesjährigen Festes. Oben hatten sich die Damen und Herren Musiker des Loh-Orchesters versammelt. Sie luden mit vier Solisten zu einer musikalischen Hommage an die Band "Queen" unter dem Label "Rock meets Loh-Orchester" ein.

Rock traf auf Klassik (Foto: nnz) Rock traf auf Klassik (Foto: nnz)
Mit Verlaub: ich hatte mir schon einige ähnliche Veranstaltungen außerhalb der Nordthüringer Musikwelt reingezogen. Dort standen - egal ob in der Wuhlheide oder der Royal Albert Hall - vorn die Rockmusiker und dahinter saßen und standen die Musiker der klassischen Fraktion. Es ging um Rockmusik, begleitet von einem orchestralen Gewebe. Mit dem Loh-Orchester ist das ein wenig anders. Es spielte einfach Queen-Songs, irgendwo versteckt - nicht zu sehen - die E-Gitarre.

Das alles hätte sich vermutlich angenehm angehört, wenn... Ja wenn, die Beschallungsanlage (PA) entweder nicht optimal eingestellt oder die Bedienung sich als zu schwierig erwiesen hätte. Mich erinnerte das, was die Ohren zu hören bekamen, eher an die Töne meines ersten Kofferradios namens "Stern Camping."

Nun gut, vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch, nach den ersten beiden Titeln wurde die zweite Station des musikalischen Freitagabends angesteuert. Fahrrad sicher abstellen auch hier kein Problem. Wo? In der Kurzen Meile. Dort hatte die Mannschaft des Jazzclubs ein besonderes Bonbon nach Nordhausen gelockt. Die Band namens "Embryo".

Die ersten musikalischen Begegnungen mit "Embryo" hatte ich eben in dieser Zeit des tragbaren Radios. 1970 war das. In der DDR gab es die ersten zarten Anfänge einer "Ostmusik", die jedoch mehr in Klubs als in Radios zu finden war. Im Radio (NDR II, Soldatensender oder Saarländischer Rundfunk auf Mittelwelle) gab es nicht nur Udo Jürgens oder Heino, sondern auch Krautrock. Neben Birth Control, Amon Düül II, Faust, Can, Kraftwerk oder Tangerine Dream spielte eine Band namens "Embryo" ganz vorn mit.

Weltmusik in der Kurzen Meile in Nordhausen (Foto: nnz) Weltmusik in der Kurzen Meile in Nordhausen (Foto: nnz)
Was heute als Weltmusik beschrieben wird, war damals das "Probieren". Es gab keine musikalischen Grenzen. Hippie-Kultur trifft Jazzrock, trifft World Music: Die Münchner sollen die einzig wahren Wandermusiker der Krautrock-Ära gewesen sein, nachzuerleben im Film „Vagabundenkarawane“. Gestern stand die junge Generation auf den Teppichen in der Kurzen Meile. Den ersten Ton bei Embryo gab viele Jahrzehnte Christian Burchardt an. Er starb 2018, danach übernahm seine Tochter Marja die Leitung der Band.

Mit nach Nordhausen brachte die Vielfalt-Instrumentalistin dann auch Sascha Lüer (Saxofon) Maasl Maier (Bass), Jakob Thun (Schlagzeug). Es war eine Ohrenweide, was das Quartett da den Instrumenten entlockte und es war zu sehen, welchen Spaß die Vier hatten.

Die alternativen Jazztage zum diesjährigen Rolandsfest werden heute und morgen fortgesetzt. Wer da noch seine musikalische Visitenkarte abgibt, das ist auf den Seiten des Jazzclubs Nordhausen zu erheischen. Eintritt wird nicht erhoben, aber ein Spendenhut wird herumgereicht.
Peter-Stefan Greiner