Wie die regionale Politik eine absurde Komödie inszeniert

Theaterdonner über Nordhausen

Montag
12.06.2023, 10:00 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Nordhausen ist ein traditioneller Theaterstandort seit Jahrhunderten. Leider gab es hier bis vor kurze keine Schauspielabteilung mehr. Das hat sich seit Ende März gründlich geändert und wir erleben ein bühnenreifes Spektakel, meint Olaf Schulze …

Übernimmt während des Theaterumbaus vorübergehend die Rolle des Schauspielhauses: Das Nordhäuser Rathaus (Foto: S.Dietzel) Übernimmt während des Theaterumbaus vorübergehend die Rolle des Schauspielhauses: Das Nordhäuser Rathaus (Foto: S.Dietzel)

Da sage noch einer, Nordhausen werde nie beachtet und sei nicht in den landesweiten Schlagzeilen! Wenn es um Politpossen geht, hat die nördlichste Kreisstadt des Freistaates schon ein Wörtchen mitzureden und weiß sich in Szene zu setzen. Derzeit verfolgen wir ein interessantes Schauspiel, das hier etwas näher beleuchtet werden soll. Also: Vorhang auf!

1.Akt
Alles begann schon viel früher, aber die Handlung unserer Komödie setzt im März ein. Oder genau gesagt einen Tag vor dem 1. April. Es war dann aber kein Scherz, dass drei Corona-Vollzugsdienstmitarbeiter den (sagen wir’s vorsichtig, weil er hat eine schlagkräftige und fleißige Rechtsabteilung) wenig geliebten Oberbürgermeister Nordhausens aus seinem Büro und dem Rathaus eskortierten. Der Arbeitstag des Kai Buchmann war zehn Minuten nach Beginn schon wieder vorbei und seitdem hat er das Rathaus nur von außen gesehen. Uns erinnert das an den „Hauptmann von Köpenick“, nur eben umgekehrt. Der Protagonist marschiert unter militärischer Begleitung nicht ein ins Rathaus, sondern heraus.

Gesehen hatte das ein Bildreporter und Fotos des von ungetaner Arbeit heimkehrenden Stadtoberhaupts geschossen. Darüber herrschte fast mehr Aufregung in Nordhausen als über die Tatsache, dass dem Manne 14 Vergehen im Dienste vorgeworfen wurden (also: nicht dem Reporter, sondern dem Oberbürgermeister). Angestrengt und durchgeführt hatte die Suspendierung die Kommunalaufsicht, eine Behörde im Landratsamt angesiedelt, diesem aber nicht unterstellt. Das war der Fama aber egal, denn wenn der Oberbürgermeister abgesetzt wird, dann steckt immer der Landrat dahinter. Das hat in Nordhausen zwar keine Tradition, fühlt sich aber so an. Ganz klar: der Landrat Jendricke will dem Buchmann eine reinwürgen, weil er seine eigene Kandidatin zur Oberbürgermeisterin machen will. Jendricke also in der Rolle des finsteren Intriganten, wie etwa der Jago einer war in Shakespeares „Othello“. Seine protegierte Figur ist die Bürgermeisterin Alexandra Rieger, die aktiv bisher gar nicht auftaucht und eher den Part des Godot aus dem Meisterwerk des absurden Theaters „Warten auf Godot“ übernimmt. Ob sie am Ende noch die Szenerie betritt weiß man nicht und es erhöht die Spannung ungemein.

2.Akt
Im Herbst sind wieder Oberbürgermeisterwahlen. An denen will auch Herr Buchmann teilnehmen und, wie man im Sport sagen würde, den Titel verteidigen. Deshalb hat er beim Verwaltungsgericht einen Eilantrag gegen seine temporäre Absetzung gestellt, der aber erst Anfang Juni eingereicht werden konnte, weil es die 14 Anschuldigungspunkte zu entkräften bzw. zu widerlegen galt. Das ist nun von Buchmanns Anwälten vollbracht worden. Wie schnell es in Meiningen zu einer Entscheidung kommt und ob der Oberbürgermeister bald wieder in sein Büro darf, wird Bestandteil der Schlussakte unseres Schauspiels werden.

Die Herausforderer beginnen sich unterdessen zu postieren. Da ist der ehrenwerte Herr Trump für die CDU im Rennen, der von der politischen Nebenfigur gern zum Hauptdarsteller aufsteigen möchte. Als Erster meldete sich jedoch der Mirko Welsch aus Saarbrücken, der wohl in der Kandidatenschar eher die Rolle des klassischen Narren (in den Dramen des großen William Shakespeare immer wieder zu finden) übernimmt. Doch dann steigerte sich die Dramatik plötzlich, denn der für die meisten Kleindarsteller als das personifizierte Böse, eine unheilvolle Mischung aus Macbeth, Mephisto und Godzilla angesehene Herr Prophet warf für die AfD seinen Hut in den Ring.

Daraufhin - und das kam dann doch etwas überraschender als Prophets Nominierung - wagte sich Marcel Hardrath (Verkehrsplaner im Landratsamt) aus der Deckung und verkündete seine Kandidatur um die OB-Krone. Erst mal privat, aber er will seine Partei, die FDP, noch fragen, ob die seine Kandidatur vielleicht unterstützt. Erinnert uns irgendwie an den Schreiber Licht aus Kleists „Der zerbrochene Krug“, wenngleich sich Hardrath schon deutlicher und markiger als dieser äußerte. Der Spannungsaufbau ist in vollem Gang und der Zuschauer in den Bann der Handlung geschlagen.

3.Akt
Doch zurück ins Rathaus. Hier wurden neben dem Oberbürgermeister noch zwei leitende Mitarbeiter von der Arbeit freigestellt und ihre Büros durch Versieglung dem Verstauben preisgegeben. Das gefiel dem ersten ehrenamtlichen Beigeordneten nicht mehr, der quasi als dritter Bürgermeister im Falle der Suspendierungen das Sagen übernahm, weil die Bürgermeisterin (Godot) als Vertreterin des Oberbürgermeisters - und von diesem selbst mit einem Disziplinarverfahren belegt - sich für befangen erklärte. Der Herr Michael Kohlhaas, der eigentlich Kramer heißt, ließ also die Siegel an den Türen erbrechen, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun und wie der Götz von Berlichingen für die Freiheit zu kämpfen. Was umgehend im Landratsamt auf Missfallensäußerungen stieß, in deren Verlauf dem Manne nun mit rechtlichen Konsequenzen für sein ehrenamtlich Tun gedroht wird.

Währenddessen wollte der Corona-Vollzugsdienst (hier so genannt, weil es vor dem Auftauchen des Virus eine solche Abteilung wehrhafter Männer im Landratsamt noch gar nicht gab) die Gunst der Stunde nutzen und jetzt doch die Räume der beiden inzwischen wieder ins Rathaus, jedoch nicht in ihre Büros zurückgekehrten Mitarbeiter durchsuchen. Mit Genehmigung des Verwaltungsgerichts. Aber ohne die des Herrn Kohlhaas bzw. Kramer. Der verjagte die Vollzieher zum Ende des dritten Aktes aus dem Rathaus.

4. und 5. Akt
Wir dürfen nun gespannt sein zu erleben, wie in den Schlussakten weitere Oberbürgermeisterkandidaten, mehr Anzeigen, noch mehr Klagen, Verfahren und Eilanträge die Bühne der öffentlichen Aufmerksamkeit erobern werden und wie (wahrscheinlich!) am 24. September die Stichwahl zur Ernennung eines neuen Oberbürgermeisters den furiosen Schlusspunkt dieser Komödie setzt. Möglich auch, dass noch eine überraschende Wendung eintritt und mit einer deus ex machina (Gottesmaschine) eine andere Lösung vom politischen Schnürboden herunterrauscht. Wer aber wohl nicht auftreten wird in diesem Drama ist der alte Attinghausen aus Schillers „Wilhelm Tell“,der noch sterbend den Schweizer Stämmen zurief. „Seid einig, einig, einig!“

Denn Nordhausen hat viel Theatertradition und die muss schließlich gepflegt werden. Programmhefte zu diesem Politstück provinzieller Prägung sind im Landratsamt oder dem Rathaus der Stadt nachzufragen.
Olaf Schulze