Zugehört

Wie aus einer anderen Welt

Sonntag
07.05.2023, 13:26 Uhr
Autor:
psg
veröffentlicht unter:
Volles Programm am Samstagabend in Nordhausen: Vom Bahnhof bis in das Zentrum dieser Rolandstadt waberte gestern Musik. Mal mehr, mal weniger gut gemacht: Mal Konserve, mal Live. Aber irgendwo war sie ganz speziell. Die nnz suchte und fand die Nischen...

Musik aus einer anderen Welt (Foto: nnz) Musik aus einer anderen Welt (Foto: nnz)
Wer sich anschickt, den Pink-Floyd-Song "Wish you were here" dem Volke anzubieten, der sollte selbst bei einem Volksfest wenigstens textsicher sein. Nun gut, nach vier oder fünf halben Litern spielte das vermutlich keine Rolle mehr und das Frühabend-Publikum in der Bahnhofstraße war sowieso nicht in Zuhörlaune.

Im Soge des Bahnhofsfestes gab es selbst in dieser Parytmeile kleine Nischen. Im "Hinterhof" des City-Centers zum Beispiel wurde das Publikum nicht nur mit feiner handgemachter Musik der "Sitzgruppe" unterhalten, sondern die Gäste konnten sich untereinander unterhalten. Eine tolle Atmosphäre.

Im Zentrum angekommen, dröhnte es aus diversen Bassboxen über das Plateau der Stadtbibliothek. Wem das Bumm Bumm galt war nicht auszumachen, denn weder im Lokal noch davor waren Menschen zu sehen, für die diese musikalische Offerte gedacht war. Ob das die Mieter der umliegenden Häuser erfreute? Es war schließlich kurz vor 21 Uhr.

Rund 200 Meter Luftlinie weiter, in der Mangel des Nordhäuser Jazzclubs, war die angebotene Akustik etwas "anders". Sie war eher eine Mischung aus Mumbai, Loops, Ragas, Elektronik, Jazz und einer Prise Krautrock. Dargeboten von vier Musikmenschen, die sich "Ragawerk" nennen und deren Ziel es war, die Zuhörenden mit auf eine Reise nach Indien zu nehmen. Als Reiseleiter agierte Martin Standke samt seines Schlagwerkes, attestiert von Max Clouth mit seinen zweihälsigen Gitarren und Georg Boeßner am Keyboard.

Ragawerk im Nordhäuser Jazzclub (Foto: nnz) Ragawerk im Nordhäuser Jazzclub (Foto: nnz)
Für den "ordnungsgemäßen" Ablauf der Reise war die Frau im Hintergrund verantwortlich. Vroni Frisch hielt mit ihrer Basslinie die Fäden konsequent in der Hand. Vor allem dann, wenn Clouth zu viel Kohle unter den Kessel geschippt hatte.

Alle zusammen, also das Musikpersonal und die Gäste, genossen einen unvergesslichen Abend. Vor allem jedoch das Schwingen der Noten zwischen Indien, Berlin (West) und Düsseldorf der Endsechziger und Anfangsiebziger des vorigen Jahrhunderts.

Die Fachliteratur nannte diese Musik-Zeit einfach Krautrock. Sie war meine erste Begegnung mit elektrischer Musik als Konsument kurz nach der Jugendweihe und ich erinnere mich all zu gern an die Musik von Amon Düül II, Birth Control, Can, Frumpy oder Embryo, die dann unter widrigsten Umständen ihren Weg auf die magnetischen Bänder des ZK 120 fand und wie ein Schatz gehütet wurde.

Dem Jazzclub war es wieder gelungen, Musiker nach Nordhausen zu locken, die durchweg ihr musikalisches Handwerk verstehen und denen man anmerkt, dass sie damit nicht nur Geld verdienen wollen, sondern dem Publikum etwas schenken, was mit keiner Maßeinheit gemessen werden kann.
Peter-Stefan Greiner