nnz-Forum

Ratlos im Rathaus

Freitag
28.04.2023, 09:05 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Die deutsche Bürokratie treibt mitunter besondere Blüten. Die entfalten sich gerne auch mal im "Bürgerservice" des Nordhäuser Rathauses, wie uns nnz-Leser Eckart Holstein berichtet, der zeitnah ein amtliches Ausweisdokument beantragen wollte...

In meiner Heimatstadt, die ich 1976 verließ, um in Nordhausen dem Gelderwerb nachzugehen und mein Leben zu genießen, besitze ich ein kleines Stück Land am Rande der Stadt, dass ein fleißiges Bäuerlein gegen eine Pacht beackert, um einen Beitrag zur Volksernährung ups. zur Ernährung der bundesrepublikanischen Bürger zu leisten.

Vor wenigen Wochen ließ mich die Verwaltung nämlicher Stadt wissen, dass sie den Kauf des Grundstückes begehrt. Flugs war mit der Verwaltung und einem ansässigen Notar ein Kaufvertrag aufgesetzt, dessen Beurkundung mich in den Besitz einer erklecklichen Summe zur Versüßung meiner letzten Lebensjahre bringen soll. Der Termin der Beurkundung verzögert sich derzeit, weil der einzige ortsansässige Notar im Krankenstand ist. Aber man stellte mir im Juni einen Termin in Aussicht.

Aus einem vorgestern stattgefundenen Gespräch am Stammtisch wurde ich sensibilisiert zu prüfen, wann die Gültigkeit meines Personalausweises endet.

Eine sofortige Inaugenscheinnahme zeigte mir, dass das Plastekärtchen, welches zu meiner Legitimierung beim Notar unabdingbar ist, am 30.6. dieses Jahres unbrauchbar weil ungültig wird. Meine Freunde wiesen mich darauf hin, dass man sich zur Abwicklung des bürokratischen Vorgangs der Beantragung eines neuen Dokumentes seit Corona Zeiten online beim Bürgerservice der Stadt Nordhausen anmelden muss.
Da es mir trotz meines fortgeschrittenen Alters nicht an Grundkenntnissen im Gebrauch der Instrumente des www gebricht, habe ich mich noch am selben Abend über die Website der Stadt Nordhausen eingeloggt und nach dem Durchlauf des notwendigen Prozederes einen Terminvorschlag 8.6.23, also in 6 Wochen erhalten. Meine erste Vermutung war, dass entweder der zuständige Computer ein update benötigt bzw. die KI auf Grund der fortgeschrittenen Zeit, es war gegen 23 Uhr, im Tiefschlaf verharrt.

Aus Erinnerungen an vor Corona Zeiten, als man im Bürgeramt eine Nummer zog und dann nach längstens einer Stunde an den Tisch des vollziehenden Beamten treten durfte, denen man bis dahin bei ihrem fleißigen Tun zuschauen konnte, hatte ich deutlich kürzere Fristen erwartet.

Auf Grund der für mich absehbaren Terminkollision, Notartermin und gültiges Personaldokument, wurde ich am nächsten Tag im Bürgerservice vorstellig.
Dort konnte man durch bauliche Veränderungen, offensichtlich Corona bedingt, den Beamten nicht mehr beim Schaffen zuschauen, auch gab es keine Nummernzugmaschine. Dafür gab es einen Computerterminal, um die Dinge digital zu verrichten, die am Abend vorher für mich schon ein unbefriedigendes Ergebniss geliefert hatten.

Daneben saß hinter einem Spuckschutz ein junger freundlich lächelnder Mann. Dem trug ich meine Befindlichkeiten kurz und komprimiert vor (Ablaufdatum, Notartermin etc.). Nachdem er das System befragt hatte teilte er mir mit, dass es ist wie es ist, der 8.6.23 wäre der nächstmögliche Termin. Ich könne ja ab nächster Woche täglich mal gegen 8:30 Uhr digital vorbeischauen, denn manchmal würden Termine zurückgegeben, aber sicher wäre das nicht. Meinem Hinweis auf die zügige Terminvergabe in vor Corona Zeiten konterte er mit Arbeitskräftemangel.

Eine simple Rechnung, dass in der Wartezeit von 6 Wochen je 5 Arbeitstage 4 Beamte (so viel sah ich vorher oft im Bürgerbüro) pro Arbeitstag mindestens 15 Vorgänge bearbeiten konnten, zeigt eine digitale Warteschlange von 1.800 Bürgern an. Dieser vorgetragenen Rechnung entgegnete der junge Mann mit Schulterzucken. Ich zog mit dem genannten Termin ratlos von hinnen.

Im Übrigen wurde ich auch darüber informiert, dass die in Berlin stattfindende Herstellung der mich indentifizierenden Chipkarte 4 Wochen in Anspruch nimmt. Unter den genannten Fristen hilft es mir auch nicht, dass der Auskunft gebende junge Mann vorschlug, dass ich doch bei schriftlicher Vorlage eines Notartermins nochmals vorstellig werden sollte, um gegebenen Falls zu schauen, ob und wie sich etwas machen lässt.

Fazit: Die Digitalisierung der Verwaltung schreitet zügig voran! Der Nutzen für den Bürger ist nicht nur nicht homöopathisch, er ist schlicht und einfach nicht vorhanden. Die Veränderungen im Detail fügen sich saugend in das gesamtgesellschaftliche Disaster ein.
Eckart Holstein

PS: Nach dem Debakel habe ich mir bei Foto Kopyra die für die Verfertigung des Identitätskärtleins notwendigen biometrischen Passbilder unter Umgehung des fotochemischen Prozesses digital in Minutenschnelle herstellen lassen. Auf dem als Bonus beigelegten Porträtfotos lächele ich schon wieder milde. Digitalisierung ist doch gut (-:!