Kleist in der Dichterstätte

Alles liegt in mir verworren

Mittwoch
26.04.2023, 11:42 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Im April will man sich in der Dichterstätte Sarah Kirsch mit Leben und Werk des Heinrich von Kleist. Im Programm am Samstag möchte man einen Eindruck über Eigenart und Qualität dieses Literaten vermitteln...

„Ich trage ein Herz mit mir herum, wie ein Stück nördliches Land den Keim einer Südfrucht. Es treibt und treibt, und es kann nicht reifen. / Alles liegt in mir verworren wie die Wergfasern im Spinnroggen.“ So charakterisiert schon der junge Heinrich von Kleist seine Verfasstheit und damit ist viel von dem vorweggenommen, was sein kurzes Leben beschreibt. Dabei waren von Anfang an seine Vorstellungen vom guten Leben eigentlich schon immer recht klar.

Er wollte sich auf einer Mittelstraße zwischen den Extremen bewegen. Genau das jedoch konnte er nicht einhalten. Immer ist er zwischen Höhenkamm und Abgrund gewandelt, riskierte viel, lebte allen Konventionen zuwider. Der Dichter des „Käthchen von Heilbronn“ ist ein unruhiger Geist.

Er weiß genau, was er will, weiß aber nicht, welchen Weg er wie nehmen muss, um sein Lebensglück zu erreichen. Rastlos irrt er durch die Lande. Seine Fußwege sind ebenso ungebahnt wie die seiner Phantasie. Das macht den Dichter in seiner Zeit für uns ungemein interessant. Seine Lebensumstände in der Krisen- und Katastrophenzeit um 1800 sind heute wieder erschreckend aktuell. Als Adliger gehörte er eigentlich zum privilegierten Stand. Seine persönlichen Anlagen lassen ihm jedoch sein Privileg zum größten Hindernis werden. Die Militärlaufbahn war ihm, dem ältestem Sohn, vorgeschrieben. Als „Kindersoldat“ tritt er im Alter von 15 Jahren als Gefreiter Korporal ins preußische Militär ein, fügte sich, merkte aber bald, dass dieser Weg nicht seiner ist. Nach sieben Jahren, Kleist nennt sie „unwiederbringlich verlorenen Jahre“, quittiert er den Soldatenstand.

„Ich war oft gezwungen, zu strafen, wo ich gern verziehen hätte, oder verzieh(n), wo ich hätte strafen sollen; und in beiden Fällen hielt ich mich selbst für strafbar.“

In dieser Begründung leuchtet sein Problem auf. Er kann sich der geltenden Konvention nicht anpassen, ohne sich selbst zu verraten. Pflichtbewusstsein und Freiheitswille können sich in ihm nicht einigen und so zeigt sich in seinem gesamten Werk die ganze Zerrissenheit seiner Zeit. Da ist auf der einen Seite der berüchtigte „preußische Wartesaal“, andererseits drängen Krieg und Industrialisierung zum Aufbruch ins Unbekannte. Weimarer Klassik und Romantik sind künstlerische Ausdrucksformen, die sich am Erbe orientieren, um Gegenwart zu reflektieren. Kleists literarische Themenwahl spiegelt das wider. Da finden sich historische Stoffe sowohl aus der Antike als auch aus dem Mittelalter.

Neu jedoch ist die Art, wie er diese Themen in seine Sprache gießt – eine Sprache, die es so in der Literatur noch nie gab. Mit äußerster Präzision treffen die Worte, aber gleichzeitig hat man das Gefühl, dass diese Genauigkeit des Ausdruckes ihren Inhalt gnadenlos zerreißt und so ein Zeitkolorit malt, das einem ein Gefühl für die Unbehaustheit des Dichters um 1800 vermittelt.

Kleist ist schüchtern, fühlt sich in seiner lebendigen Umgebung nicht ganz wohl. Sein Äußeres ist unscheinbar, sein Redefluss in Gesellschaft stotternd. Um so reicher jedoch fließen ihm z.B. in seinen zahlreichen Briefen die Worte aus der Feder. Sein Feld ist, um es mit Sarah Kirsch zu formulieren, das „Papiergebiet“.

Kleist ist ein vielseitig begabter Mensch. Virtuos spielt er die Klarinette und auch Naturwissenschaft und Technik begeistern ihn. Ein Kaleidoskop aus seinem künstlerischen Schaffen führt Sie durch das Programm. (Gedichte, Erzählungen, Dramen, Briefe, Schriften.)
Sie sind wie immer alle herzlich eingeladen. Wir freuen uns auf ihren Besuch.

Heinrich von Kleist (1777-1811) : Alles liegt in mir verworren wie die Wergfasern im Spinnroggen
Einladung zur Aprilveranstaltung der Dichterstätte Sarah Kirsch in Limlingerode am kommenden Samstag, dem 29.0423 um 14:30 Uhr, in Limlingerode, Lange Reihe 11
Karin Kisker