Förderverein „Dichterstätte Sarah Kirsch“ muss gehen

„Wer den Junipfad geht, der bleibt grün – ewig“

Montag
17.04.2023, 09:01 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Passend zum gestrigen Geburtstag der aus Limlingerode stammenden Dichterin Sarah Kirsch berichtet Heidelore Kneffel davon, dass der 25 Jahre aktive Verein jetzt aus den Geburtshaus der Dichterin weichen muss. Die Kirchengemeinde vermietet das Haus wieder als Wohnhaus, aus Kostengründen...

Dieser Vers der Dichterin Sarah Kirsch, der den Artikel überschreibt, steht in ihrer unvergleichlichen Schrift auf einem Aquarell, das sie den Mitgliedern des Fördervereins „Dichterstätte Sarah Kirsch“ schenkte. Es leuchtet in ihrem Geburtshaus Lange Reihe 11 in Limlingerode jedem Besucher entgegen.

Erstmals ging sie diesen Weg 1997 mit einem Journalisten, als sie Anfang Juni in der vollbesetzten Kirche mit dem Gedicht „Grüner, grüner Juni“ den Vortrag ihrer Gedichte einleitete. Sie sah die rote Erde wieder, denn sie war 1993 auf einen Abstecher in ihr Geburtsdorf gefahren, nachdem sie den erstmals vergebenen Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung in Weimar überreicht bekommen hatte.

Wir sind von Dank erfüllt, dass wir der weltbekannten Lyrikerin mehrere Male unmittelbar begegnet sind, sei es in Münster zur Auszeichnung mit dem „Annette von Droste-Hülshoff-Preis“, als wir ihr einen verbogenen rostigen Nagel vom Geburtshaus mitbrachten, sei es mehrfach in Limlingerode, sei es einige Male in ihrem Wohnort Tielenhemme an der Eider, dem ehemaligen Schulhaus in den Sümpfen, wo die große Schiefertafel noch immer an der Wand hängt und beschrieben wurde, sei es in Erfurt, als man ihr den Verdienstorden des Freistaates Thüringen verlieh, den sie annahm, weil sie damit die Mitglieder des Fördervereins ehren wollte, sei es in Weimar, sei es in Erfurt, sei es in Otterndorf, wo sie den Johann Heinrich Voß-Preis überreicht bekam. Wenn sie kam, gab es immer besondere Blumensträuße.

Feldblumen für Sarah Kirsch in Nordhausen im Jahre 1997 (Foto: H.Kneffel) Feldblumen für Sarah Kirsch in Nordhausen im Jahre 1997 (Foto: H.Kneffel)

Mit ihrem Einverständnis, mit ihrer ideellen und materiellen Unterstützung trug sie entscheidend dazu bei, die Ruine ihres Geburtshauses, die Lange Reihe 11 auf dem Hügel des Dorfes an der Sete im Südharz Thüringens als Kulturhaus Wirklichkeit werden zu lassen. Zu jedem April seit 1998 wurde aus Anlass des Geburtstages mit ihren Gedichten und Prosaminiaturen ein neues Sarah-Kirsch-Programm für Limlingerode zusammengefügt und vorgetragen. Was für ein Erleben, ihre Verszeilen im Geburtshaus erklingen zu lassen!

Das wird nun nur noch bis Ende Juni dieses Jahres möglich sein, dann müssen wir Sarah Kirschs Geburtshaus verlassen, es sei denn, der Förderverein bezahlt der evangelischen Kirchengemeinde monatlich ca. 900 Euro Miete für unsere seit Ende 2002 bezogenen Vereinsräume, die sollen jetzt eine Mietwohnung vorstellen. Die Rekonstruktion des ruinösen Hauses hat alles in allem ca. 500.000 Euro gekostet, jetzt gehört das Haus wieder der Kirchengemeinde des Ortes als Privathaus. Um dieses Geschehen gibt es sehr viel zu berichten, aber damit möchten wir das Denken an die Dichterin nicht beschweren. Wir sind sowieso ein zu vernachlässigender Teil des Geschehens in Limlingerode seit 1998. „ … einen substantiellen Beitrag des Vereins … gab es nicht“, um das Haus zu rekonstruieren, so die Bürgermeisterin des Ortes. Außerdem bedienen wir nur einen kleinen Kreis eines erlesenen Publikums, so ihre Einschätzung.

Dank Sarah Kirschs hinterlassener Gedicht- und Prosabände, dank ihrer Aquarelle, von denen es in Limlingerode mehrere gibt, dank ihrer Autographen, die ihre wundersame Handschrift überliefern, dank einer Ausstellung über ihr Leben und Werk, die sie uns übereignete, dank einer Schenkung von Fotografien aus ihrer Kindheit, dank der zahlreichen Fotografien, die es in der Sammlung in Limlingerode gibt, könnte jeder Besucher, jede Besucherin vieles von und über sie sehen – aber: Das muss nun raus aus dem Haus!

Eine Handzeichnung von Gerd Mackensen im Besucherbuch der Dichterstätte (Foto: Heidelore Kneffel) Eine Handzeichnung von Gerd Mackensen im Besucherbuch der Dichterstätte (Foto: Heidelore Kneffel)


Die Anfragen an den Förderverein „Dichterstätte Sarah Kirsch“ zu Leben und Werk der Dichterin von Schülern, Lehrern, Studenten u. a., auch aus dem Ausland, die von Anfang an und seit der Eröffnung des rekonstruierten Geburtshauses Ende 2002 vermehrt gestellt werden, halten an. Außerdem gibt es zahlreiche vom Förderverein herausgegebene Publikationen, in denen festhalten ist, was von 1997 bis heute in dem „Kulturhaus“ unter der Regie des Fördervereinsmitglieder geschah.
In Sarah Kirschs bibliophilen Bändchen „Kuckuckslichtnelken“, einer biographischen Erzählung, im Steidl Verlag erschienen, heißt es anfangs: „Ich bin 1935 im Pfarrhaus zu Limlingerode geboren worden, in einem südländisch anmutenden Fachwerkbau auf einer Anhöhe am Rande des Waldes. Es handelt sich um den letzten Amtssitz meines Großvaters vor dem Ruhestand, und es wohnten auch meine Eltern in diesem Haus.“ Im Prosaband „Kommt der Schnee im Sturm geflogen“, in der Deutschen Verlags-Anstalt, München, erschienen, wurde mit dem Text „Lieber Donny“ die „dreitägige Eröffnung sog. Dichterstätte“ literarisch festgehalten. „Die roterdige gewellte Landschaft dort war … hübsch, Pfützen wie Blut hab ich gesehn. Und mein Herz ist jetrudelt, als ich das Haus … wieder sah. Weil ich es nur als Schutthaufen kannte … Die Treppe ne Freitreppe fast … Die Fachwerkbalken ein südliches Gelb mit einem Touch Zitscheringreen. Oh das Geburtshaus sieht elegant aus! Hat also hingehaun, dass ich for es mein Pseudonym dargebracht habe.“ Ja Sarah Kirsch, so kann man sich irren!
Aber damit noch nicht genug. In einem Beitrag des mdr, im Thüringer-Journal gezeigt, sahen die Zuschauer keine Meisterleistung der Recherche über das Geschehen im Haus, sondern nur die Wiederholung „Wir haben kein Geld“ von den Gemeinden. Nach dem Kurzfilm kam ein Abspann als Text. Da erfuhr man aus der Staatskanzlei Thüringens, von wem auch immer: „Dass die Kirsch zwar eine der großen Lyrikerinnen unserer Zeit ist, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde …“ Man beachte das zwar, sie erhielt Preise, aber, was ihr Dichten einmalig macht, erfährt man nicht. Die Floskelstrecke reicht. Nun aber kommt der Höhepunkt der Aussage: Dass „ … die „Dichterstätte Sarah Kirsch“ aber mit Blick auf die Vielzahl der Kulturinstitutionen im Freistatt Thüringen nicht zu den landesbedeutenden Einrichtungen gehört."

Ja, wir sind seit 1998 ja auch nur als ehrenamtlicher Förderverein tätig. Sind allerdings durchaus bekannt mit unseren abwechslungsreichen Programmen über Thüringen hinaus. Der Personenkreis, der zu uns kommt, ist ansehnlich. Die Poeten, bildenden Künstler und Musiker treten sehr gern in dem besonderen Haus auf. Aber, das muss man in der Staatskanzlei nicht wissen. Ehrenamtlich, was soll das darstellen!? Auch der Brief, den wir an den Ministerpräsidenten mit unseren Sorgen schon im Februar schrieben, blieb unbeantwortet. Wie sagt das Sprichwort: „Ein Schelm, der Böses dabei denkt!“ Wir denken, dass man an diese Dichterin praktischer Weise nur als theoretische Person denken soll, sie ist ja auch schon gestorben. 1977 wurde sie in der DDR aus politischen Gründen zur Unperson, weil sie die Protestnote wegen der Biermannausweisung unterschrieben hatte. In der mit viel Freude und Enthusiasmus errichteten Sarah-Kirsch-Stätte in Limlingerode braucht man sie nun auch nicht mehr, dieses Mal wegen des Geldes.

Den Förderverein „Dichterstätte Sarah Kirsch“ gibt es natürlich weiter. Wir werden sehen, wer uns aufnimmt. Angebote gibt es.
Heidelore Kneffel