Bemühungen zur Wiederbelebung der Nordhäuser Schlaraffen

Männliche Bürger wollen ein „Reych“ errichten

Freitag
06.01.2023, 21:00 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Nein, die Burgen der Schlaraffen stehen nicht im Schlaraffenland. Sie sind vielmehr über die ganze Welt verteilt und finden sich beispielsweise in Sao Paulo, Erfurt, Bangkok, Weimar oder auch in New York. Überall da, wo sich der ulkige Männerbund Schlaraffia niederließ. Einst gab es auch in Nordhausen eine Burg. Die soll nun möglichst wieder errichtet werden …

Jörg Bauersfeld (rechts) leitet die Nordhäuser Schlaraffen und will sie zu altem Glanz führen (Foto: oas) Jörg Bauersfeld (rechts) leitet die Nordhäuser Schlaraffen und will sie zu altem Glanz führen (Foto: oas)

Bislang haben es die wenigen Nordhäuser Schlaraffen zu einem „Stammtisch“ geschafft, der die Vorstufe für das „Feldlager“ darstellt, aus dem sich wiederum eine „Kolonie“ und später gar ein „Reych“ entwickeln kann. Immer vorausgesetzt, es finden sich genügend Enthusiasten, die den Spaß in einem Männerbund mit zwar strenger Hierarchie, aber basierend auf Humor, Kunst und vor allem Freundschaft mitmachen wollen. Sie werden dort als Pilger einsteigen (das sind beobachtende Besucher), dann zu „Knappen“ und hernach zu „Junkern“ befördert, ehe sie in den Ritterstand erhoben werden und einen eigenen Namen führen dürfen, der mit ihrer profanen bürgerlichen Benennung nichts mehr zu tun hat.

Was den Bund wirklich interessant macht ist die Tatsache, dass in der spielerischen Welt während der Treffen einheimischer und auswärtiger Schlaraffen die Themen Politik, Religion und Arbeit verpönt und laut ausführlicher schlaraffiger Satzung regelrecht verboten sind. Das profane und freudlose Leben bleibt also vor der Tür. Die zwei bis drei Stunden eines Nordhäuser Stammtischs teilen sich in zwei Hälften. Im ersten Teil handeln die Anwesenden ähnlich einer Vereinsversammlung organisatorische Dinge ab und danach werden humoristische Texte oder Lieder oder anderes kurzweiliges Kulturgut vorgetragen und von den Anwesenden mit lauten „LuLu“-Rufen bedacht. LuLu steht im Schlaraffischen für „Lustig-Lustig“.

„Schlaraffen spielen eine Zeit des Mittelalters nach, mit eigener Sprache und Bekleidung (Rüstung) und folgen dabei einem Werdegang vom Prüfling über Knappe und Junker bis zum Ritter. Diese festen Regeln sind seit 1859 gleich geblieben“, erzählt der Nordhäuser Jörg Bauersfeld, der für den einheimischen Stammtisch verantwortlich zeichnet. Bereits zum zwölften Male (immer am ersten Donnerstag des Monats) traf sich gestern sein lustiges Häuflein und wurde zahlreich besucht von Schlaraffen anderer „Reyche“. Der Knappe Bauersfeld hegt indessen die Hoffnung, bald die zehn bis zwölf erforderlichen Schlaraffen beisammen zu haben, die es braucht, um selbst eine Niederlassung zu gründen.

Eine solche gab es bis zur Machtergreifung der spaßbefreiten Nationalsozialisten schon einmal in Nordhausen und sie gehörte zu einer der ersten deutschlandweit. Selbstverständlich haben die Schlaraffen auch eine eigene Zeitrechnung, die mit dem Erscheinen der ersten Schlaraffen 1859 einsetzt, wonach sie derzeit das Jahr 164 schreiben. „Im Februar 1877 fanden sich einige Nordhäuser zusammen und gründeten im „Römischen Kaiser“ am Kornmarkt einen Stammtisch. Da die Schlaraffen gern in andere Reyche reisen waren damals wie heute immer Freunde aus Halle, Erfurt, Leipzig oder Hamburg mit an den Abenden beteiligt. Am neuen Stammtisch begrüßen wir jetzt immer wieder Schlaraffen aus den Reychen aus Weimar, Göttingen, Goslar, Braunschweig, Lübeck und Heidelberg“, erzählt Bauersfeld. Gestern Abend konnten unter anderen auch ein Ritter und ein Junker aus Peine willkommen geheißen werden.

Über 8.000 die deutsche Sprache nutzende Männer in der ganzen Welt haben immer noch Spaß an diesem Rollenspiel, das etwas aus der Zeit gefallen scheint, weil es so analog ist und auf echte physische Begegnungen und Freundschaften statt Tausender von „likes“ setzt. Egal ob in Basel, Kapstadt oder Mallorca; überall gibt es Schlaraffen, die ihresgleichen mit Freuden und in deutscher Sprache in ihren Burgen empfangen. „Natürlich auch in Mallorca und in Kapstadt könnt ihr unsere Abende erleben“, versichert Bauersfeld.

Die „Schlaraffia Nordhusia“ löste sich nach sechzigjähriger Aktivität und vierjährigem Verbot schließlich 1937 auf und ihre Burg neben dem heutigen Kino wurde durch einen Bombentreffer 1945 völlig zerstört. Einige wenige Artifakte des alten Reychs haben die lange Zeit bis heute überstanden und Jörg Bauersfeld entwickelte in seiner Leidenschaft für die Sache im Laufe der Jahre regelrecht detektivische Fähigkeiten. Erst fand er das Zeremonienschwert der „Nordhusia“ in Chicago - wohin es ein GI nach dem Kriege mitnahm - und vor zwei Jahren entdeckte er in einer Gartenlaube einen Sessel aus dem Nachlass der Nordhäuser Schlaraffen. Neuester Coup ist das Auftauchen eines originalen „Helms“, den er kürzlich erwarb.

Ein wiederentdeckter "Helm" der alten Nordhusia mit einem originalen Gesangsbuch aus dem frühen 20. Jahrhundert (Foto: J.Bauersfeld) Ein wiederentdeckter "Helm" der alten Nordhusia mit einem originalen Gesangsbuch aus dem frühen 20. Jahrhundert (Foto: J.Bauersfeld)

So nahm es auch nicht wunder, dass der im Knappenstand stehende Bauersfeld gestern Abend den Erfurter Freunden ein Fotoalbum präsentieren konnte, das Zeitdokumente aus den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts zeigt, als sich die dortigen Schlaraffen quasi im Untergrund trafen. Denn auch die Kommunisten fanden eine unpolitische und auch noch lustige Männerrunde mehr als suspekt. Im Internet hatte Bauersfeld das angebotene Album gefunden und für die Erfurter Schlaraffen erstanden. Was deutlich beweist, dass die Sassen (so nennen sich die Mitglieder des Bundes selbst) durchaus nicht von gestern sind. Groß war die Freude der landeshauptstädtischen Vertreter, die gestern Abend im Promenadeneck eingeritten waren.

„Jede männliche Person ab 18 Jahren ist recht herzlich zu unseren Abenden eingeladen. Da der Ratskeller geschlossen ist, halten wir unsere Treffen ab dem Januar (Eismond) im Promenadeneck in der Bar ab“, lockt Bauersfeld alle Neugierigen, doch einmal einen Blick auf das illustre Treiben zu werfen. Und wer weiß? Vielleicht findet ja der eine oder andere Gefallen daran, seine Freizeit mit fröhlichen Treffen auszufüllen, in deren Hauptteil Lieder und Schwänke und humorige Vorträge stehen.

Schon der Alltag der Bewerbung des Nordhäuser Stammtischs entbehrt nicht einer gewissen, wenn auch unfreiwilligen Komik. So versuchte der Begründer der neuen Nordhäuser Schlaraffen sein Anliegen in Facebook-Gruppen zu verbreiten, die sich um Nordhäuser Belange kümmern. Aufnahme fand er dort allerdings bisher nicht; die Macher haben sich noch Bedenkzeit ausgebeten. Vermutlich hat die toxische Kombination der Worte „Männer (Bürger)“ und „Reych“ dort schlimmste Befürchtungen ausgelöst. Es kann aber jeder Mann persönlich überprüfen, dass es sich bei den verspielten Schlaraffen beileibe nicht um eine Verschwörergruppe handelt. Lediglich auf die Ernsthaftig- und Humorlosigkeit haben es die Sassen abgesehen. Schauen Sie doch selbst mal vorbei und überzeugen Sie sich. Lulu!
Olaf Schulze

Kontakt zur Nordthüringer Schlaraffen-Welt kann über Jörg Bauersfeld unter der Rufnummer 0170 - 14 52 166 aufgenommen werden.