Impfverweigerer aus Pflegeeinrichtungen erhielten Bußgeldbescheide

„Es geht um die Gerechtigkeit“

Freitag
23.12.2022, 18:00 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Eigentlich dürfte es das nachfolgende Problem gar nicht mehr geben, denn laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) müssten die Menschen tot sein, die jetzt Bußgeldbescheide erhielten. Sie hatten im Landkreis Nordhausen mit ihrer Weigerung gegen die gesetzlich verordnete einrichtungsbezogene Impfpflicht verstoßen …

Auszug aus dem Bußgeldbescheid des Landratsamtes: 278 Euro sollen die Betroffenen 141 Personen zahlen (Foto: privat) Auszug aus dem Bußgeldbescheid des Landratsamtes: 278 Euro sollen die Betroffenen 141 Personen zahlen (Foto: privat)

„Klar ist aber, dass die meisten Ungeimpften von heute bis dahin (März, d.Red.) entweder geimpft, genesen oder leider verstorben sind, denn das Infektionsgeschehen mit schweren Verläufen betrifft vor allem Impfverweigerer“, verkündete der damals gerade neu ins Amt gesetzte Prof. Dr. Lauterbach im Oktober 2021. Weil sich auf diese fachmännische Expertise hin nicht sofort alle Pflegekräfte impfen ließen beschloss im Dezember die Berliner Koalition unter Federführung des SPD-geführten Gesundheitsministeriums und des FDP-Justizministeriums die „Einrichtungsbezogene Impfpflicht“ für Mitarbeiter des Gesundheitswesens und der Pflegeeinrichtungen.

Nadine N. (Name von der Redaktion geändert) ist seit vielen Jahren Pflegerin und lehnt die Impfung mit einem mRNA-Impfstoff aus Überzeugung ab. „Persönlich sind wir gegen jede gängige Krankheit geimpft. Wir haben Angst vor der mRNA Impfung. Sie ist neu und wir haben große Sorge, durch diese Impfung Schaden zu nehmen“, sagte sie der nnz.

Als es aber März wurde und beispielsweise im Landkreis Nordhausen immer noch 450 Kollegen von Nadine N. lebten, wurden die arbeitgebenden Einrichtungen aufgefordert, diese Personen an die Gesundheitsämter der zuständigen Gebietskörperschaften zu melden. Die ersten Briefe flatterten im Mai und Juni in die Briefkästen der Verweigerer mit der Aufforderung, einen Genesenenstatus oder einen Impfnachweis beim Amt zu erbringen.

Die Mühlen des Verwaltungsapparates begannen auch in der Nordhäuser Behörde zu mahlen. Langsam, aber stetig. Auch Nadine N. füllte ihren Anhörungsbogen wegen einer begangenen Ordnungswidrigkeit aus und sandte ihn fristgerecht zurück ans Gesundheitsamt. „Unser Arbeitgeber hat sich für uns eingesetzt, die Leitung schrieb Briefe an die Bundesregierung und an den Gesundheitsminister Karl Lauterbach. In Absprache mit anderen Sozialverbänden wurde ein Aussetzen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gefordert“, erzählt sie. Obwohl die Betretungsverbote für Pflegeeinrichtungen inzwischen aufgehoben wurden und sich auch Lauterbachs zweite These („das Infektionsgeschehen mit schweren Verläufen betrifft vor allem Impfverweigerer“) als falsch erwies, erhielt sie am 16. Dezember nun ihren Bußgeldbescheid über 278 Euro zugestellt. Frau N. versteht wie viele andere betroffene Kollegen nicht, warum im Landkreis Jena (23. November), im Landkreis Schmalkalden-Meiningen (26. November) sowie im Kyffhäuserkreis (8. Dezember) die Bußgeldverfahren ausgesetzt werden konnten und in Nordhausen nicht. Zumal der Bußgelderlass Ende des Jahres auslaufen soll.

Bei Nichtzahlung will das Amt den Betrag "zwangsweise" eintreiben - die Betroffenen werden Widerspruch einlegen (Foto: privat) Bei Nichtzahlung will das Amt den Betrag "zwangsweise" eintreiben - die Betroffenen werden Widerspruch einlegen (Foto: privat)

Für Landrat Matthias Jendricke ist es rechtlich unerheblich, ob die Maßnahme jetzt ausläuft. Er verweist darauf, dass der Rechtsverstoß der Ungeimpften im Frühjahr stattgefunden hat als die gesetzliche Grundlage eindeutig gegeben war.

Insgesamt sind 121 Bescheide in der letzten Woche verschickt worden, berichtete der Landrat der nnz. In dieser Woche herrscht Weihnachtsfrieden, weshalb keine weiteren Bescheide ausgesandt wurden, aber im neuen Jahr folgen zwanzig weitere Bußgeldaufforderungen an Impfverweigerer in den Pflegeeinrichtungen des Landkreises. Diese Menschen sind der Rest der einstmals 450 Verweigerer, die sich inzwischen entweder infiziert haben oder impfen ließen. Drei Beamte mussten in der Verwaltung abgestellt werden, um die Straftäter zu ermitteln und mit Bußen zu belegen. „Ich muss mich an die Buchstaben des Gesetzes halten. So lange Bund und Land nicht anders entscheiden, bleiben die Verfahren anhängig. Die Betroffenen haben jedoch die Möglichkeit, Einspruch dagegen zu erheben. Dann muss ein Richter darüber entscheiden, was aus den Fällen wird. Uns als Verwaltung geht es nicht um die zu zahlenden Bußgelder, sondern um die Durchsetzung geltenden Rechts“, sagte Matthias Jendricke.

Den Glauben an den Rechtsstaat hätten sie teilweise schon im Jahresverlauf verloren, resümiert Nadine N. die Ereignisse seit der Impfpflicht. Zu viele Widersprüche entdeckte sie in den Beschlüssen und Verordnungen der vergangenen Monate. „Wir arbeiten mit Menschen mit Behinderung. Die gehen in den Kindergarten oder zur Schule oder sie arbeiten auf dem freien Arbeitsmarkt. Dort gelten sie nicht als vulnerable Personen. Nur in unserer Einrichtung. Das ist nicht nachvollziehbar.“

Einer ihrer Kollegen wandte sich ebenfalls an die nnz und berichtete: „Wir wurden teilweise richtig beleidigt und hatten Angst. Immer schwebte die Frage im Raum: wie lange dürfen wir noch arbeiten? Das führte zu vielen schlaflosen Nächten, Konzentrationsschwierigkeiten und bei einigen Kollegen auch zu einem erhöhten Alkoholkonsum.“

Auch Nadine N. hat noch viele Fragen an die Politik. „Was macht mein Kollege im Nachbarkreis denn anders auf Arbeit als ich?“, will sie wissen und erzählt das paradoxe Beispiel eines Kollegen. Der wohnt in Sondershausen und arbeitet in Nordhausen, wo er nun mit einem Bußgeld belegt wird. Seine Mutter arbeitet ebenfalls in der Pflege. Sie wohnt in Nordhausen, arbeitet aber in einer Sondershäuser Einrichtung. Sie braucht kein Bußgeld entrichten.

„Warum werden die Pflegekräfte, die man zu Anfang der Pandemie beklatscht hat, jetzt zur Kasse gebeten? Etwa dafür, dass sie unter schwierigen Bedingungen arbeiten, den ganzen Tag Maske tragen, horrende Hygienemaßnahmen befolgen, den Krankenstand der Kollegen ausgleichen müssen sowie dem eklatanten Fachkräftemangel ausgesetzt sind?“, fragt Nadine N. weiter.

Es gehe ihr nicht um das Bußgeld, sagt sie, das könne sie bezahlen. Es ginge ihr vielmehr um Gerechtigkeit für sich und die Kollegen, die in der Pandemie immer gearbeitet hätten, Überstunden schoben und kranke Kollegen vertraten. Sie wollen sich nicht auf einen Impfstatus reduzieren lassen.


In Thüringen waren Ende November fast 14.000 Menschen gemeldet, die wie Nadine N. trotz einrichtungsbezogener Impfpflicht keinen Impfnachweis hatten. Gegen 1.982 sei eine Bußgeldverfahren eingeleitet worden, berichten die Thüringer Medien. Betretungs- oder gar Tätigkeitsverbote für ihre Einrichtungen hatte es für die dringend benötigten Pfleger allerdings zu keiner Zeit gegeben.

Jetzt fordern die Impfverweigerer den Landrat auf, seinen Ermessensspielraum auszunutzen und dem Beispiel der anderen Landkreise zu folgen. Dort sei angesichts der entspannten Coronalage wesentlich mehr Respekt vor dem Pflegepersonal zu spüren als in Nordhausen.
Olaf Schulze