nnz-Interview

Frohe Botschaften brauchen Raum

Freitag
23.12.2022, 09:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Weihnachten steht kurz vor der Tür und es ist Zeit, Stress und Sorgen hinter sich zu lassen und Herz und Geist auch für frohe Botschaften zu öffnen, meint Andreas Schwarze, Superintendent der evangelischen Kirche. Die nnz hat mit ihm über alte Bauten, offene Räume und festliche Tage gesprochen...

Superintendent Andreas Schwarze im Gespräch mit der nnz (Foto: agl) Superintendent Andreas Schwarze im Gespräch mit der nnz (Foto: agl)


nnz: Herr Schwarze, wie steht es um das Seelenheil im Südharz?

Andreas Schwarze: (lacht) Wenn man das nur so genau wüsste. Letztlich steht jeder selber in der Verantwortung um sein Seelenheil. In Zahlen wissen wir ganz gut Bescheid. Es gibt da eine Langzeitbetrachtung von 2008 bis 2022 und die zeigt leider, dass der Anteil an evangelischen Christen von etwa 25 auf 20 Prozent gesunken ist. Die Gründe für einen Austritt aus der Kirche erfährt man leider selten.

nnz: Was glauben Sie woran es liegt?

Schwarze: Der Hauptgrund ist denke ich die Kirchensteuer. Gerade jetzt, in Zeiten der Teuerung, sieht jeder zu wo er sparen kann. Dann gibt es einige, die persönliche Enttäuschung erfahren haben, sei es nun der Missbrauchsskandal oder die Meinung, dass die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer zu stark unterstützt wurde. Und dann gibt es noch einen dritten Punkt, der den Nutzen der Kirche als solches in Frage stellt. Das bedeutet gar nicht mal, dass der Glaube an sich ab nimmt, das Seelenheil steht für die Leute nicht am Rande, aber den evangelischen Glauben meint man nicht zu brauchen. Werte kann man auch vertreten, ohne Mitglied zu sein. Und dann findet man Einkehr zum Beispiel im Wald statt in der Kirche.

nnz: Die logische Folgefrage muss natürlich sein, warum man die Kirche heutzutage trotzdem noch braucht.

Schwarze: Manchmal geht es schnell und man verliert den Halt zwischen Himmel und Erde. In solchen persönlichen Notsituationen findet mancher der keinen Glauben gebraucht hat, den Weg zur Kirche und dann tut es gut, den „Himmel auf der Erde“ zu spüren und jemanden an seiner Seite zu haben, der sich um die verletzte Seele kümmert. Zum anderen braucht es jemanden, der sich um unsere besonderen Orte kümmert. Kirchen gibt es in jeder Stadt und so gut wie jedem Dorf, manchmal auch mehr als eine. In den wenigsten spielt das Gotteshaus überhaupt keine Rolle mehr. Allein in unserem Kirchenkreis haben wir über 100 Kirchen und wenn man davon ausgeht, dass jedes Haus ungefähr alle einhundert Jahre eine Grundsanierung braucht, dann wird man da nie fertig. Irgendwo muss immer Hand angelegt werden.

nnz: Der Kirchenkreis hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe großer Bauprojekte gestemmt, von der Innensanierung der Blasii-Kirche über die Neugestaltung der Altendorfer Kirche bis zur kleinen Wegekapelle in Elende. In Ellrich soll St. Johannis seine Türme zurückerhalten, damit einher geht aber auch eine Öffnung des Hauses abseits der Religion. Ist das eine grundsätzliche Option für die Zukunft?

Schwarze: Ellrich war ein bisschen ein Sonderfall weil wir da als Kirchenkreis zwar mit im Boot aber nicht primär zuständig waren. Mit den Fördermitteln soll eine „Netzwerkkirche“ entstehen. Und diese Um- oder Zweitnutzung ist etwas Gutes, tatsächlich bringt uns das näher an das, was Kirche einmal war, nämlich ein öffentlicher Raum.

nnz: In Ellrich war davon die Rede das der Raum „tanzt“ und das soll wohl auch ganz praktisch geschehen, also etwas sehr weltliches, was da Einzug hält.

Schwarze: Ich empfand das als einen sehr schönen, emotionalen Moment und eine schöne Metapher. Den Freudentanz kennt auch die Bibel, schon bei Mose. Was das weltliche angeht, dass hat früher auch zum Kirchenalltag gehört. Da war alles vor dem Altar auch „Königshalle“, da wurde Recht gesprochen und da fand öffentliches Leben statt. Das die Kirche allein dem Glauben vorbehalten ist, dass kam später. Insofern ist es gut, wenn bei der Instandsetzung auch Räume geschaffen werden, die über den Gottesdienst hinausgehen und der Begegnung in der Gemeinde dienen.

nnz: Sie sagten die Arbeit an den Kirchen hört nie auf, was steht denn als nächstes auf dem Plan?

Schwarze: St. Michaelis in Heringen steht ganz weit oben auf der Liste, einen Probeanstrich für die Fassade kann man schon sehen, drinnen sind noch statische Aufgaben zu bewältigen. Außerdem wird es auch in Auleben, Bielen und einigen anderen Orten weitergehen.

nnz: Weg vom weltlichen hin zum geistlichen: die letzten Jahre waren für niemanden leicht. Wie ist man im Kirchenkreis damit umgegangen und wie geht es aktuell weiter?

Schwarze: Wir haben viele einzelne Gespräche geführt, es war wichtig das wir dafür Zeit hatten. Inzwischen merkt man, dass die Lust bei den Menschen wieder da ist, rauszugehen. Die Adventsmärkte waren sehr gut besucht, es gibt eine Freude auf Begegnung, dafür müssen wir Raum schaffen und man merkt auch die Freude auf Weihnachten. Ich denke das geht in diesem Jahr endlich wieder mit einem leichteren Herzen, wenn auch nicht gänzlich unbeschwert.

nnz: Hat der Krieg in der Ukraine in der Seelsorge seinen Niederschlag gefunden?

Schwarze: Wir hatten ein regelmäßiges Friedensgebet vor der Herzschlag-Kirche aber da kamen nicht unzählige Leute, sodass wir das verlagert haben. Die Bitte um Frieden ist freilich immer dabei und wenn die Blasii-Kirche wieder völlig frei nutzbar ist, dann wird es auch die Gebete vor der Weltkugel wieder geben. Die Menschen haben Sorge um den Frieden und Angst vor dem, was vor Ort passiert. Das reicht von der Diakonie über die Seelsorge bis zu grundsätzlichen Existenzfragen. Aber wir wollen, gerade in diesen Tagen, auch eine andere Stimmung verbreiten und nicht nur Unheil sondern die „frohe Botschaft“ verkünden. Wir können fröhlich Christen sein und den Friedensgedanken ernst nehmen. Das bedeutet nicht nur sagen, sondern auch tun, jeder für sich. Eine Spaltung der Gesellschaft überwinden wir nur, wenn wir nicht aufhören zu reden und zu diskutieren. Wir müssen aufeinander hören und miteinander reden. Das klingt sicher alles ein wenig fromm aber wer sollte fromme Wünsche haben wenn nicht wir.

nnz: Ist es mit reden allein schon getan?

Schwarze: „Lasst euch nicht vom bösen überwinden, sondern überwindet das Böse mit Gutem“. Den Satz muss man mit Lebenswirklichkeit füllen und dafür braucht es Dialog. Was gut ist, muss im Konsens angefangen werden. Wir haben da in den letzten Jahren einen Umbruch gesehen. Weg von einer Konsenskultur hin zu einer Positionskultur. Wir reden nicht mehr miteinander, wir teilen einander nur noch unsere Positionen mit. Es wäre schön, wenn wir aus beiden Teilen eine Dialogkultur machen könnten. Dazu müssen wir lernen, selber sprachfähig zu bleiben und auch auf die zugehen, die sich abgewandt haben. Es reicht nicht nur mit denen zu reden, die schon die eigene Position einnehmen.

nnz: Dialog ist schön und gut, aber gibt es für Sie da auch Grenzen?

Schwarze: Gottes Liebe ist grenzenlos, die menschliche Perspektive hat aber Grenzen und es gibt Positionen, die in der Kirche nichts zu suchen haben. Vor allem extremistische Radikalität neigt dazu, dass sie dort, wo sie einmal Fuß fasst, bald nichts anderes mehr zu lässt. Extremismus macht den Raum eng, genau das wollen wir nicht, eine Gemeinschaft muss Weite haben können.

nnz: Kurz vor dem Fest soll es auch noch eine festliche Frage geben. Wie verbringt man als Superintendent die Feiertage? Gibt es bei ihnen auch Weihnachtsstress und -trubel?

Schwarze: (lacht) Das ist bei uns nicht weniger stressig als bei alle anderen. Ich freue mich natürlich auf die Gottesdienste gerade an Heiligabend. Und ich freue mich darauf, mit der Gemeinde auch einfach als Mitglied feiern zu können und natürlich wird es Zeit für die Familie geben. Und dann wirft das neue Jahr auch schon seine Schatten voraus. Für 2024 steht nach zehn Jahren die nächste Superintendentenwahl an und wir haben bis dahin noch viel zu tun.

nnz: Im Kirchenkreis werden größere Veränderungen diskutiert…

Schwarze: Ja, wir reden darüber ob man einen Kirchenkreis Nordthüringen schaffen sollte. Da geht es um vier Regionen, rund 60.000 Mitglieder und 90 Mitarbeiter im Verkündigungsdienst. So ein Schritt würde manches einfacher machen, birgt aber auch enorme Herausforderungen mit sich. Wir müssen da sehr genau hinhören und nach Innen schauen, das ist ein Prozess der man über die nächsten Jahre anstoßen und gestalten muss, ehe eine so gewichtiger Schritt umgesetzt werden kann.

nnz: Herr Schwarze, wir Danken Ihnen für das Gespräch und wünschen gesegnete Feiertage.

Das Interview führte Angelo Glashagel