Durchbruch bei der Kernfusion

Eine Revolution für das 21. Jahrhundert

Mittwoch
14.12.2022, 13:37 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Krieg hier, Rohstoffknappheit da, Kalamität und Sorge überall. Die Welt scheint zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Chaos zu versinken und unter all der Spannung liegt allzu oft der Hunger nach Energie, als Ursache für Krise und Krieg. In den USA ist in der vergangenen Woche ein Experiment gelungen, das diesen Hunger stillen könnte. Nur wohl leider nicht allzu bald…



Ein kleiner, wenige Zentimeter breiter Zylinder, darin eine kugelförmige Kapsel. 192 Laserstrahlen werden von beiden Seiten in den Zylinder geschossen, treffen auf die innere Wand und geben Energie ab, Röntgenstrahlung trifft auf die Kapsel, es wird Druck ausgeübt, Fusionsmaterial beginnt zu zünden. „Das war zuvor alles schon einmal passiert, hundert mal. Aber in der letzten Woche wurde das Experiment zum ersten mal so aufgebaut, dass das Fusionsmaterial lange genug heiß genug, dicht genug und rund genug blieb, das es sich entzündete. Und es wurde mehr Energie erzeugt, als die Laser abgegeben hatten.“

Der letzte Satz, den der amerikanische Wissenschaftler Mark Adams gestern in die Mikrofone der versammelte Presse sprach, kommt einem Paukenschlag gleich. Man ist dem Traum, die Kraft der Sterne auf die Erde zu holen, einen bedeutenden Schritt näher gekommen. Dafür hat es gut sechzig Jahre Forschung gebraucht und es dürften noch ein paar mehr ins Land gehen, ehe die Vision kommerziell nutzbar wird.

Ein sauberer Weg, Wasser zu kochen
Seit der Erfindung der Dampfmaschine, sucht die Menschheit nach immer effizienteren und sauberen Wegen, Wasser zum kochen zu bringen, vereinfacht gesagt. Nichts anderes tut auch ein Atomkraftwerk: Hitze, Dampf, Turbine, Strom. Ein für die meisten Menschen unvorstellbar komplexer Teekessel.

Die Fusionstechnik soll der nächste Schritt auf diesem Weg sein. Im Kern geht es darum, die Prozesse nachzuahmen, die im Inneren der Sterne Energie erzeugen. Über die Jahre sind die Nachrichten rund um die visionäre Technik allerdings zu einer Art Treppenwitz geworden: die Fusionsenergie ist noch fünf Jahre entfernt und das schon seit 40 Jahren.

Den US-Forschern der „National Ignition Facility“ (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory scheint nun aber ein wesentlicher Durchbruch gelungen zu sein. Bereits im vergangenen Jahr hatte man verkünden können, dass man ein energetisches Equilibrium erreichen konnte, es wurde soviel Energie erzeugt, wie in den Prozess hineingegeben wurde. Letzte Woche lag man nun zum ersten Mal darüber. Zwei Megajoule gingen hinein, drei kamen heraus. Das Prinzip funktioniert.

Kommt sie also bald, die Revolution, die das 21. Jahrhundert so dringend nötig hätte? Die unseren Energiehunger stillt, uns von der Nadel der fossilen Brennstoffe befreit, die uns sauberen, CO2 freien Strom ohne nuklearen Abfall liefert? Die nicht weniger tun würde, als die Welt auf ein neues Gleis zu setzen, die die Karten ganz neu mischt. Kriege um Gas und Öl? Streit um Abbauflächen, Abgaswerte und Emissionen? Warum, wenn man die Fusion hat?

Leider muss man konstatieren, dass uns der bereits erwähnte Treppenwitz noch eine Weile begleiten wird. Ein weiteres Jahrzehnt Grundlagenforschung und man könne ein Kraftwerk bauen, gab gestern US-Energieministerin Jennifer Grenholm zu Protokoll. Dr. Kim Budil, die Direktorin des Livermore Laboratoriums, sieht eher eine Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten, ehe die Technik kommerziell und in der Breite genutzt werden könne.

Die Wermutstropfen
Das Experiment ist in der vergangenen Woche ein einziges mal gelungen. Um die Technik wirksam und skalierbar zu machen, muss derselbe Prozess dauerhaft und verlässlich viele hunderte Male hintereinander funktionieren und dafür braucht es Technologie, die es so noch nicht gibt. Und der Energiegewinn gilt bisher nur unter den strikten Parametern des Experiments. Um die zwei Megajoule in den Zylinder zu bekommen, waren Laser mit einer Leistung von 300 Megajoule nötig. Die basieren allerdings auf Technik der 80er Jahre, am drumherum lässt sich mit moderner Technik also sicher noch feilen.

Für die USA sind die Experimente auch ein Teil der nationalen Sicherheit und der atomaren Abschreckung, dieser Part der gestrigen Pressekonferenz findet sich im Blätterwald der vielen Zeitungsmeldungen eher selten. Die Erfolge zeigten sowohl möglichen Gegner wie auch den Verbündeten, dass man auf dem Gebiet der Kernfusion auch ohne Atomtests vorankomme, sagte Adams. „Wir wissen was wir tun“, raunte er in die Mikrofone.

Lob aus Deutschland
Trotz allem sollte die Bedeutung des erfolgreichen Experiments nicht unterschätzt werden. Was den Kollegen in den USA gelungen sei, sei „ein wichtiger Schritt“, lobte denn auch Thomas Klinger, der Leiter der deutschen Fusionsforschung in Greifswald.

Mit dem „Wendelstein 7-X“ forscht man hier ebenfalls an der Kraft der Sterne, dem Testreaktor in Greifswald liegt allerdings ein anderes System zu Grunde. Anders als bei den Versuchen der US-Amerikaner setzt man hier nicht auf „Trägheitsfusion“ sondern versucht, dass Plasma mittels Magnetfeldern zu stabilisieren.

Dass es in Europa noch nicht gelungen sei, mehr Energie aus der Fusion herauszuholen, liege vor allem an der Größe der Anlagen. Der Testreaktor „Iter“, der in Frankreich gebaut wird, soll das aber in absehbarer ändern. Also Mitte des nächsten Jahrzehnts, wenn alles gut geht.

Letztlich gilt hier wie dort, was die amerikanischen Forscher Abseits politischer Floskeln in ihrer Pressekonferenz von sich geben: Forschung lohnt sich. Investitionen in Forschung lohnen sich und sind weiter nötig. Aber es braucht nicht allein Geld, sondern auch Geduld, Zeit und kluge Köpfe. Nur so kann aus dem Traum Wirklichkeit werden, vielleicht ja noch in der ersten Hälfte des 21. Jahrunderts. Zu wünschen wäre es unserer Epoche jedenfalls.
Angelo Glashagel