Rechtsextremismus damals und heute

Die Sorge vor dem neuen, rechten Terror

Mittwoch
07.12.2022, 14:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Großrazzia in Deutschland, Ermittler wollen eine rechtsextreme Terrorzelle ausgehoben haben, die gewalttätige Umsturzpläne geschmiedet haben soll. Auch in Thüringen schlugen die Beamten heute zu, wohl aber nicht im Norden. Verbindungen zum rechten Terror hat es in der Vergangenheit aber auch hier gegeben…

Aufzüge offen rechtsextremer Organisationen wie dem "III. Weg" 2018 in Nordhausen scheinen selten geworden, die Szene hat sich gewandelt (Foto: nnz-Archiv, Symbolbild) Aufzüge offen rechtsextremer Organisationen wie dem "III. Weg" 2018 in Nordhausen scheinen selten geworden, die Szene hat sich gewandelt (Foto: nnz-Archiv, Symbolbild)


Rund 3.000 Beamte gingen heute in mehreren Bundesländern gegen eine mutmaßliche, rechtsextreme Terrorzelle vor. Die Gruppe soll laut Medienberichten aus rund 50 Personen bestehen. Durchsuchungen gab es auch in Thüringen. Im Norden des Freistaates gab es nach aktuellem Kenntnisstand aber keine Einsätze in Zusammenhang mit den Ermittlungen.

Das Bild, das sich den ersten Berichten nach zeigt ist erschütternd: die Umsturzpläne scheinen umfangreich und detailliert gewesen zu sein, von einer zu etablierenden Machtstruktur samt Postenvergabe und einem „bewaffneten Arm“, bestehend aus ehemaligen NVA Soldaten und aktiven Kräften der Bundeswehr, bis hin zu Mitgliedern des Kommando Spezialkräfte, ist die Rede.

Die Schlagzeilen des heutigen Morgens lassen unangenehme Erinnerungen an den „Nationalsozialistischen Untergrund“ wach werden. Das Trio aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, war von Thüringen aus jahrelang ungestört mordend durch die Republik gezogen. Der „NSU“ bestand aus drei Personen und einem bis heute teils nebulösem Unterstützerfeld, nicht auszudenken was 50 Personen mit ausgebildeten Soldaten an ihrer Seite hätten anrichten können, wenn der Staat heute auf dem rechten Auge so blind gewesen wäre, wie es beim NSU der Fall zu sein schien.

Die Baseballschlägerjahre
"Blind sei man nie gewesen, im Gegenteil", meint Dirk Laabs. Der Journalist und Autor hat sich eingehend mit den Ermittlungen zum NSU und den Hintergründen der rechten Szene in Thüringen befasst, unter anderem ist dabei in Zusammenarbeit mit Stefan Aust das Buch „Heimatschutz - Der Staat und die Mordserie des NSU“ entstanden.

Vergangene Woche war Laabs zu Gast in Nordhausen und sprach im Ratssaal über eine kalte Novembernacht im November 1991, die im Gehege blutig enden sollte und über einen der Täter, der später als V-Mann „Tarif“ in den NSU-Akten auftauchen wird.

Der heißt mit bürgerlichem Namen damals Michael S., ist 17 Jahre alt, in der rechten Szene unter dem Spitznamen „Adolf“ bekannt und gilt als gewalttätig. In der besagten Nacht bekommen das zwei Opfer zu spüren. Mike B. und sein Vater werden im Gehege von S. und zwei weiteren Neonazis attackiert und schwer verletzt.

Volles Haus: im Ratssaal referierte Dirk Laabs vergangenen Montag über die NSU Ermittlungen, den V-Mann "Tarif" und die Neonazi Szene in Thüringen in den 90er Jahren (Foto: agl) Volles Haus: im Ratssaal referierte Dirk Laabs vergangenen Montag über die NSU Ermittlungen, den V-Mann "Tarif" und die Neonazi Szene in Thüringen in den 90er Jahren (Foto: agl)


Für die Bluttat geht S. ins Gefängnis, dreieinhalb Jahre soll er absitzen, wird aber vorzeitig entlassen. Er bleibt überzeugter Neonazi und wird zu einer der Größen in der Szene. Und bis in die frühen 2000er Jahre wird unter dem Namen „Tarif" als Zuträger des Verfassungschutzes arbeiten.

Die Sorge vor neuem Terror
Über die Nacht im November 1991, den Werdegang des jungen Neonazis und seine Verbindungen zu Staatsschutz und NSU und die Ungereimtheiten in den Ermittlungen hatte die nnz vor sechs Jahren schon einmal ausführlich berichtet. Damals sei die Sorge innerhalb des Sicherheitsapparates groß gewesen, dass die „Spontangewalt“ in organisierten Terror umschlagen könnte und eine Art rechte „RAF“ entsteht, sagt Laabs und das sei heute nicht anders.

Die Szene hat sich derweil gewandelt, Bomberjacke, Glatze und Springerstiefel gehören der Vergangenheit an. Die geistigen Kinder der „Baseballschlägerjahre“ sind nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen. Vielfach agiere man heute „unterhalb der Sichtschwelle“, erklärt der Journalist, die erste Radikalisierung finde häufiger über das Internet „im Kinderzimmer“ statt. Über das Web sei man zudem international vernetzt. Der junge Attentäter, der in München 2016 neun Menschen erschießt, war so ein Fall. In der gemeinsamen Chatgruppe im Netz fabulierte man über die „Überlegenheit der arischen Rasse“ und ließ den Mörder nach der Tat als Held hochleben. Ein Forumsteilnehmer aus den USA, mit denen der Münchner in Kontakt steht, wird 2017 selber zur Waffe greifen und in New Mexico um sich schießen.

Der Journalist und Autor Dirk Laabs in Nordhausen (Foto: agl) Der Journalist und Autor Dirk Laabs in Nordhausen (Foto: agl) 2018 fliegt die Gruppe „Nordkreuz“ und in der Folge auch das „Hannibal“ - Netzwerk auf. In deren Reihen finden sich auch Soldaten, Polizisten und sogenannte „Prepper“. Man will geheime Munitionsdepots anlegen und führt „Feindeslisten“ mit rund 25.000 Namen. Bei der Bundeswehr verschwindet derweil reichlich Munition. 2019 wird der Politiker Werner Lübke von einem rechtsextremen aus Hessen ermordet, 2020 wird gegen 20 Mitglieder des Kommando Spezialkräfte wegen rechtsextremistischer Vorfälle ermittelt, weitere Ermittlungen folgen im Jahr darauf. Und immer wieder sorgen rechte Chatgruppen für Wirbel, zuletzt im Mai diesen Jahres, als gleich 67 solcher Gruppen bei der hessischen Polizei bekannt werden, Ausmaß und Umfang seien „besorgniserregend“ hieß es aus der Politik.

Déjà vu
Für die Schlagzeilen des heutigen Tages passe die Überschrift „Déjà vu“, schreibt Laabs am morgen auf Twitter. Die Bilder gleichen sich, wieder einmal. Wieder führten die Spuren zur KSK-Kaserne nach Calw, wieder waren Verdächtige in „Vorläufereinheiten“ des KSK aktiv. Und wie schon beim „Hannibal“ Netzwerk gibt es Kontakte und Überschneidungen zur Reichsbürgerszene, Verbindungen zu Mitgliedern der AfD und den Versuch, zivile Mitverschwörer zu finden.

„Wir haben in den letzten Jahren eine klare Verschiebung des Diskurses gesehen, aber es passiert einfach nichts. Kritik wird schlicht abgekanzelt.“, sagte der Autor vergangene Woche in Nordhausen. Nach all den Vorfällen sei man „abgestumpft gegen das Mögliche“, die Vorstellung dass es bei Polizei, Bundeswehr und Behörden Neonazis gibt und das eine Einheit wie die KSK im Verdacht steht, von Rechtsextremen durchsetzt zu sein, habe sich „normalisiert“. „Aber es gibt in der Szene Verschwörungserzählungen vom „Tag X“ und das ist gefährlich. Es geht hier klar gegen die freie Gesellschaft und das sollte alle angehen“, mahnt der Journalist in Nordhausen. Die Szene sei groß und habe sich über die Jahre in der Gesellschaft verästelt.

Die Gefahr werde auf Seiten der Behörden durchaus gesehen, man habe hier große Sorgen das „einer der Spinner durchrutscht“, sagt Laabs. Das V-Männer wie „Tarif“ weiter Mittel zum Zweck sein werden, darf vermutet werden, es liegt aber in der Natur der Sache, dass man hier nichts genaueres weiß. Für Laabs ist das Handeln der Behörden, insbesondere der Geheimdienste, ein zweischneidiges Schwert. Grundsätzlich müsse man innerhalb der rechten Szene davon ausgehen, dass jeder zweite ein potentieller Verräter sei, was abschreckend wirke.

Auf der anderen Seite seien die Ermittlungen zum NSU letztlich ein „deprimierender Tiefpunkt“ und eine „Niederlage für die Demokratie“ gewesen. „Es wurde wirklich viel Aufwand betrieben, um die Verflechtungen aufzuklären aber die Exekutive hat sich am Ende durchgesetzt und ihrer Verantwortung entzogen. Der V-Mann Michael S., alias „Tarif“ sei immer noch „ein vom Staat gedeckter Gewalttäter, der sich nie ernsthaft mit seinen Taten auseinandersetzen musste“ und sich stattdessen mit Steuermitteln in Schweden ein Leben habe aufbauen können.

Der Verfassungsschutz müsse mindestens durch die Staatsanwaltschaft, besser noch durch das Parlament effektiv kontrolliert werden. Für Laabs bedeutet das: anlasslose Kontrolle, ohne das Informationen zurückgehalten werden. Gänzlich ohne klandestine Dienste werde man aber nicht auskommen.

Dass Wachsamkeit nötig ist, haben die heutigen Durchsuchungen erneut gezeigt. Im Ratssaal schloss Dirk Laabs mit einem Lichtblick: nach all den Jahren, vielen Recherchen und manchen Rückschlägen sei er doch der Überzeugung, dass die Gesellschaft stärker ist, als wir ahnen.
Angelo Glashagel